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SPIELE/010: Olympias gebrochene Ringe - Leistungsschau der Klassengesellschaft (SB)


Ein Loblied auf die Arbeit ... zu Lasten der Lohnsklaven



Leistung soll sich lohnen, predigen die Sachwalter des neoliberalen Kapitalismus, und wie sehr dies der Fall ist, kann man dieser Tage in London beobachten. Anläßlich der Olympischen Spiele geben sich die Leistungsträger des transnationalen Kapitals ein Stelldichein fernab von normalen Menschen, könnte diesen doch in Anbetracht des zur Schau gestellten Reichtums einfallen, nicht nur vor Ehrfurcht zu erstarren, sondern auf unerfreuliche Weise ausfallend zu werden. Wer etwas auf sich hält, reist mit der eigenen Jacht an, um zum gemeinen Volk so weit wie möglich Distanz zu halten.

Mindestens sieben sogenannte Superjachten liegen an der Themse vor Anker, und natürlich führen auch Herren dieser Preisklasse gerne vor, daß das eigene Schiff größer und schöner ist als das des anderen. Den auf ein Vermögen von 14,2 Milliarden Dollar geschätzten Microsoft-Mitbegründer Paul Allen hat seine - nomen est omen - Dollar Bay zwar nur das Kleingeld von gerade mal 200 Millionen Dollar gekostet, doch dafür muß er auch damit vorliebnehmen, daß ihm der russische Oligarch Roman Abramowitsch die Show stiehlt. Zumindest verfügt Allen auf seiner Jacht mit zwei Hubschraubern und einem U-Boot, das mit zehn Mann Besatzung zwei Wochen unter Wasser bleiben kann, über genügend Möglichkeiten, das Weite zu suchen, wenn es einmal eng wird. Dafür ist die fast 200 Meter lange Jacht Eclipse des russischen Multimilliardärs mit nicht nur einem, sondern zwei Swimming Pools ausgestattet. Vor allem jedoch verfügt sie über ein eigenes Raketenabwehrsystem, ein Privileg, das die Londoner Bürger erst kürzlich mit der Einrichtung entsprechender Stellungen auf diversen Wohnhäusern für sich reklamieren konnten. Wäsche aufhängen darf man in den neuen militärischen Sicherheitszonen auf dem Dach des Mietshauses zwar nicht mehr, dafür kann man aber sicher sein, im Kriegsfall als erstes von feindlichen Kampfbombern angegriffen zu werden.

Doch wir schweifen ab, denn wenn hier von einem Krieg die Rede ist, dann nicht von der befürchteten Wiederholung eines 9/11-Ereignisses, sondern vom sozialen Krieg. Er drückt sich aus in den Arbeits- und Lebensbedingungen Hunderttausender Menschen in fernen Ländern, wo zu Hungerlöhnen Maskottchen, Sportbekleidung und andere Konsumartikel eigens für diesen Anlaß produziert wurden. Leistung im Sinne der neoliberalen Arbeitsdoktrin lohnt sich vor allem dann, wenn am Anfang der globalen Wertschöpfungskette Kosten auf das Niveau notdürftigster Reproduktion der dabei verbrauchten Arbeitskraft gedrückt werden, während an ihrem Ende so viel Geld verdient wird, daß so manche Luxusjacht dabei abfällt.

Einem Feldlager im Krieg ähnelt der Containerpark, in dem die für die Spiele angeworbenen Reinigungskräfte untergebracht sind [1]. Wie die Daily Mail berichtete, werden den zum Teil aus dem Ausland eingereisten Saisonkräften 18 Pfund am Tag für eine Unterbringung in Rechnung gestellt, die den Aussagen der Betroffenen jeder Beschreibung spottet. 25 Personen müssen eine Minitoilette und 75 Personen eine Dusche miteinander teilen, die doppelstöckigen Betten stehen so eng auf eng wie die Container, zwischen denen gerade mal Platz zur Fortbewegung bleibt. Bezahlt werden die Reinigungskräfte nur für die konkret verrichtete Arbeit, was für einige bedeutet, tagelang Kosten für die Unterbringung aufzubringen, ohne dabei Einkommen zu haben.

Ohnehin werden diese Arbeiterinnen, die sich zumeist aus drängender ökonomischer Not bei den Olympischen Spielen verdingen, lediglich bezahlt, weil sich für Reinigungsaufgaben kaum Tausende von Freiwilligen hätten finden lassen. Der Anreiz, daß ihre Arbeit sie bisweilen in die Nähe berühmter Athleten führt, wie das Jobangebot der Organisatoren verheißt, kann in Anbetracht dessen, daß die Reinigungskräfte einem strikten Zeitregime unterworfen sind, um "den Austragungsort sauber und hygienisch zu halten, damit die Zuschauer ihre Erfahrungen vollständig genießen können" [2], kein großer Trost sein.

"Dabeisein ist alles" - 70.000 freiwillige Hilfskräfte können sich darüber freuen, bei rund 250.000 Bewerbungen den Zuschlag für eine Arbeit erhalten zu haben, die sie nicht nur unbezahlt verrichten, sondern die - bis auf die Nutzung der Londoner Verkehrsbetriebe - An- und Abreise wie Unterbringung auf eigene Kosten erfordert. Die sogenannten Games Maker erhalten keinen freien Zutritt zu den Sportereignissen, doch immerhin ist ihnen neben Essensgutscheinen eine Uniform sicher, auf daß sie eine ansehnliche Staffage für die wirklich wichtigen Menschen abgeben. Zweifellos ist keinem Helfer sein Engagement für eine vermeintlich gute Sache vorzuhalten, doch bedeutet der massenhafte Einsatz unbezahlter Arbeitskräfte auch, daß der ohnehin fragwürdige Nutzen dieser Spiele für die einheimische Bevölkerung auch noch dadurch geschmälert wird, daß normalerweise bezahlte Arbeit unbezahlt verrichtet wird.

Während den Sportfunktionären und Sponsorenvertretern eine Flotte von BMW-Limousinen mit Chauffeur zur Verfügung gestellt wird, die auf für das normale Volk gesperrten Straßen schnell von Ort zu Ort gelangen, während die Herrschaft der McDonald's, Coca-Cola, Visa, General Electric und was der olympischen Markenikonen mehr sind mit Restriktionen und Strafandrohungen durchgesetzt wird, zelebriert die Welt in den Stadien und Sportstätten die Leistungsreligion in ihrer reinsten Form. Fernab jedes Verhältnisses zu den drängenden Widersprüchen kapitalistischer Vergesellschaftung werden Gladiatoren und Einzelkämpfer zum Idol einer Jugend erhoben, denen die Moral der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft auch noch abverlangt, die Schuld für nichtvorhandene Erwerbsarbeit auf die eigene Kappe zu nehmen.

Wären die Olympischen Spiele ein Fest des Friedens und keine Leistungsschau der Klassengesellschaft, dann würde der schöne Schein des olympischen Ethos nicht ohne seine praktische Verwirklichung glänzen und sich damit als Vorwand für ganz andere Zwecke überflüssig machen. Wo sich 250.000 Menschen für freiwillige Dienste bewerben, scheint sogar das Potential dafür vorhanden zu sein, doch das bedeutete, daß die Funktionärs- und Kapitalelite bei dieser Feier keinen Platz fände. Allein das Entfachen des Wettkampfes als zentrales Motiv sportlicher Leistungssteigerung belegt jedoch, daß altruistischer und humanistischer Idealismus nicht deplazierter sein könnte als an dieser Stelle.

Fußnoten:

[1] http://www.dailymail.co.uk/news/article-2174034/London-2012-Olympics-10-room-1-shower-75-people-Inside-slum-camp-Olympic-cleaners.html#ixzz20nmW6Jat

[2] http://www.london2012.com/about-us/jobs/working-for-a-contractor/cleaning-and-waste/

1. August 2012