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SPIELE/011: Olympias gebrochene Ringe - Blutgold der Sponsoren (SB)


Olympische Sponsorspiele 2012 - nachhaltig, wie wir es definieren



Grüne, nachhaltige, ethisch einwandfreie Spiele verheißen die Organisatoren des Londoner Olympia-Spektakels der Weltöffentlichkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, bleibt offenbar selbst der berühmte britische Humor und der liebenswerte Sinn der Insulaner für Skurriles auf der Strecke. Das mußte auch die Handvoll Aktivistinnen und Aktivisten erfahren, die am 20. Juli vor der Olympia-Uhr auf dem Trafalgar Square eine Siegerehrung der besonderen Art zelebrierte, die Verleihung des "Greenwash Gold Award", und dafür von völlig humorlosen Ordnungshütern verhaftet wurde.

Den ersten Platz der Siegerehrung hatte der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto errungen, gefolgt von dem Chemieriesen Dow Chemical und, auf der untersten Stufe des Treppchens, der Erdölkonzern BP. Alle drei Sponsoren, symbolisch vertreten durch zwei Aktivisten und eine Aktivistin, erhielten eine Goldmedaille für ihre herausragenden Fähigkeiten des Greenwashings. Statt mit Sekt wurden die Sieger, die bei einer dreimonatigen Internetumfrage zu den schlimmsten Konzernsponsoren der diesjährigen Olympischen Spiele ermittelt worden waren - und die Konkurrenz schläft nicht, sie war wirklich beeindruckend groß -, mit grün gefärbter Vanillesoße übergossen. Eine recht plakative Inszenierung des dargebotenen Themas "Greenwashing"!

Zwar haben die Veranstalter im Anschluß an die Zeremonie den geringfügig (ansonsten vorzugsweise von Taubenkot) bekleckerten Platz mit Papierwischtüchern gesäubert, aber für solche Aktionen hatte die geballte Staatsgewalt nichts übrig. Etwa eine Viertelhundertschaft uniformierter Beamter war zunächst aus- und dann angerückt und hat insgesamt sechs Personen verhaftet [1]. Damit war der Spuk auf dem Tiananmen-Pl..., pardon, auf dem Trafalgar Square bereinigt. Die sauberen Spiele waren wieder im Lot.

Aber was ist unter "sauber", "grün" oder "nachhaltig" zu verstehen? Offenbar haben die drei Organisationen hinter dem Greenwash Gold Award (London Mining Network, Bhopal Medical Appeal und UK Tar Sands Network) einen ziemlich empfindlichen Punkt getroffen. Und daß als Moderatorin dieser alternativen Goldmedaillenverleihung ausgerechnet Meredith Alexander fungierte, dürfte den Offiziellen dieser alle vier Jahre stattfindenden menschlichen Höchstleistungsschau im Zeichen der fünf Ringe im nachhinein noch übel aufgestoßen sein. War doch Alexander ein "ethical zsar", das heißt eines der offiziell einberufenen zwölf ehrenamtlichen Mitglieder der Olympiakommission für Nachhaltigkeit. Anfang dieses Jahres war sie wegen der höchst umstrittenen Sponsoren und ihrem vergeblichen Versuch, die Kommission umzustimmen, von ihrem Posten zurückgetreten.

Das Gold, Silber und die Bronze, die den Siegern des neuzeitlichen Arenawettkampfs in einer Vielzahl von "Disziplinen" - welch treffendes Wort! - als Medaille um den Hals gehängt wird, hat der für seine Umweltverschmutzungen und die Beteiligung an bzw. Mitwisserschaft von schwersten Menschenrechtsverletzungen wiederholt in die Kritik geratene britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto gestiftet. Als Gegenleistung darf er sich am allgemeinen Greenwashing unter dem Label "die grünsten Spiele aller Zeiten" beteiligen.

Das Erz für die etwa 4700 Medaillen, die bei den Olympischen Spielen 2012 und den anschließenden Paralympics vergeben werden, stammt zu 99 Prozent aus dem tiefsten, menschengemachten Loch der ganzen Welt, der Bingham Canyon Mine im US-Bundesstaat Utah, die von dem Rio Tinto-Ableger Kennecott betrieben wird. Der Rest des Erzes wurde aus der Oyu Tolgoi-Mine in der Mongolei hinzugefügt - "abgeschmeckt" wurde das Gemisch mit einer Prise Zinn aus England.

Umweltorganisationen wie Moms of Utah for Clean Air (Mütter aus Utah für sauberer Luft) und Utah Physicians for a Healthy Environment (Utah Ärzte für eine gesunde Umwelt) machen die Mine in den USA für mehrere hundert vorzeitige Todesfälle pro Jahr allein in der Region um Salt Lake City verantwortlich [2]. Ein Vorwurf, den der Konzern entschieden zurückweist: "Wir führen unser Geschäft nach sehr hohen ethischen Standards und betreiben die Minen verantwortlich. Unser Ziel ist es, den Kommunen, Regionen und Ländern, in denen wir tätig sind, dauerhaft positive soziale, wirtschaftliche und die Umwelt schützende Vorteile zu bringen", heißt es in einer Presseerklärung des Unternehmens [3].

Eine Einschätzung, die nicht von jedem geteilt wird. Beispielsweise nicht vom norwegischen Finanzministerium. Vor vier Jahren hat es beschlossen, Rio Tinto aus dem norwegischen Pensionsstaatsfonds "Government Pension Fund - Global" herauszunehmen. Die Begründung: "Das Finanzministerium hat beschlossen, das Unternehmen Rio Tinto vom Government Pension Fund - Global wegen des Risikos, daß es zu schweren Umweltschäden beiträgt, auszuschließen. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß sich die Unternehmenspraktiken in Zukunft ändern oder daß Maßnahmen ergriffen werden, die den Schaden an Natur und Umwelt entscheidend verringern." [4]

Aufgrund einer ähnlichen Einschätzung des Konzerngebarens hat der globale Gewerkschaftsverband IndustriALL an seine Mitglieder appelliert, sich an der Kampagne gegen den Konzern als Sponsor der Olympischen Spiele zu beteiligen. So hatte Südafrikas Nationale Bergarbeitergewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers) das Olympische Komitee seines Landes aufgefordert, sich gegen die Beteiligung des umstrittenen Konzerns zu wenden. Rio Tinto präsentiere sich als verantwortungsvolles und ethisches Bergbauunternehmen, das einer nachhaltigen Entwicklung verpflichtet ist, aber seine Bilanz erzähle eine andere Geschichte, sagte NUM-Generalsekretär Frans Baleni laut dem "Independent". Rio Tinto werde in Ländern rund um den Globus für Umweltverschmutzungen, Menschenrechtsverletzungen und Verletzungen des Arbeitsrechts kritisiert und verklagt [5].

Im Februar vergangenen Jahres wurde Salt Lake City von der Wirtschaftszeitung Forbes als die elftschmutzigste Stadt der Vereinigten Staaten bezeichnet. Als führender Haupt"sponsor" der Umweltschadstoffe gilt Rio Tintos Bingham Canyon Mine. Von der Grube, den Abraumhalden, den Erzbearbeitungsstätten und nicht zuletzt dem Schwerlastverkehr auch außerhalb des Minengeländes werden Mengen an Staub in die Umwelt getragen. Der enthält krankmachende, teils radioaktive Schwermetalle wie Quecksilber, Uran und Thorium, die großflächig die Umwelt kontaminieren.

Dr. Brian Moench von der Organisation Utah Physicians for a Healthy Environment berichtete laut der Website londonminingnetwork.org [6], daß der Amerikanischen Herzvereinigung zufolge jedes Jahr zwischen 1000 und 2000 Einwohner Utahs aufgrund von Luftverschmutzung sterben. Auf die Kappe Rio Tintos entfielen etwa 100 bis 200 Einwohner. Die Ärztevereinigung und die Organisation der Mütter für saubere Luft haben Klage gegen Rio Tinto wegen der mutmaßlichen Auswirkungen des Betriebs der Bingham Canyon Mine auf die menschliche Gesundheit eingereicht. Das Anliegen wird als um so dringlicher angesehen, als daß Rio Tinto plant, den Betrieb der Mine bis mindestens 2029 zu verlängern.

Auch wegen des Betriebs der im Aufbau begriffenen Oyu Tolgoi-Mine, die ab 2018 in die voll Produktion gehen soll, wird Rio Tinto kritisiert. Unter anderem weil aus einem nahegelegenen Grundwasserspeicher ungeheure Mengen Wasser entnommen werden sollen. Das könnte in dieser teils staubtrockenen Region der Wüste Gobi sehr gut anderweitig Verwendung finden.

Weitere Kritikpunkte seitens der Umwelt- und Menschenrechtsgruppen betrifft radioaktives Wasser, das von der Ranger Uranium Mine in Australien in die Umwelt läuft und den Lebensraum der Aborigines kontaminiert, Verletzungen der Indianerrechte im US-Bundesstaat Michigan, Umweltschäden in Wisconsin, Menschenrechtsverletzungen und ebenfalls Umweltschäden durch die Grasberg-Mine in West-Papua, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Auch hinsichtlich der Arbeitsrechte ist Rio Tinto in die Kritik geraten, beispielsweise in seiner Aluminiumschmelze Alma in Quebec, Kanada. Dort bietet das Unternehmen den Arbeitern neue Verträge an, so daß sie für die gleiche Arbeit, die sie vorher gemacht haben, nur noch die Hälfte des Lohns erhalten. Ausscheidende Mitglieder der Belegschaft werden durch niedriger entlohnte Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter ersetzt. Weil sie das unmoralische Angebot nicht annehmen, sind rund 780 Metallarbeiter seit Ende vergangenen Jahres von ihrem Arbeitsplatz in der Metallschmelze ausgesperrt [5].

Es wäre gewiß ein eindrucksvolles Zeichen, wenn sich eine Sportlerin oder ein Sportler entschiede, die Medaille nicht anzunehmen. Damit ist allerdings überhaupt nicht zu rechnen, müßte doch der oder die Betreffende anschließend mit einer gewaltigen Medienhetze und sozialen Stigmatisierung rechnen. Solch ein Schritt bedeutete vermutlich das Ende einer beruflichen Laufbahn, bei der das Zu-Markte-Tragen der eigenen Arbeitskraft in Form sportlicher Leistung so erfolgreich vollzogen wurde, daß sich profitorientierte Sponsoren eingefunden haben und die Verwertung der Sportlerin oder des Sportlers begleiten, solange es gut fürs Geschäft ist.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen - diesen Preis entrichten die Sieger auf dem olympischen Podest immer wieder gern. Vergolten wird ihnen die grenzenlose Aufopferungsbereitschaft mit Medaillen aus Gold, Silber und Bronze, um den Hals gehängt wie eine Fessel und blitzblank poliert, damit man das Blut nicht sieht, das für ihre Produktion vergossen wurde. Die Olympischen Spiele 2012 in London sind nur deshalb ethisch sauber, grün und nachhaltig, weil Konzerne und ihnen wohlgesonnene Interessen die Definitionshoheit beanspruchen.


Fußnoten:

[1] http://www.greenwashgold.org/index.php/blog/30-olympic-protesters-arrested-for-spilling-custard

[2] http://www.abc4.com/content/news/top_stories/story/Utah-environmental-advocacy-groups-sue-Kennecott/6PeTR4Vf9k-LIYTxywKoHA.cspx

[3] http://www.riotinto.com/london2012/index_london2012.asp

[4] http://www.regjeringen.no/en/dep/fin/press-center/press-releases/2008/the-government-pension-fund-divests-its-.html?id=526030

[5] http://www.iol.co.za/business/companies/num-wants-rio-tinto-off-olympic-committee-1.1342464#.UBkvg7ShXHg

[6] http://londonminingnetwork.org/2012/04/rio-tinto-and-the-2012-olympic-medals/

2. August 2012