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SPIELE/015: Olympias gebrochene Ringe - Ares auf Medaillenjagd (SB)




Über die Instrumentalisierung des Spitzensports für nationale Medaillenziele, die in geheimen Kungelrunden zwischen Bundesinnenministerium (BMI), Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) und den Sportfachverbänden verhandelt werden, ohne daß selbst Parlamentarier davon erfahren, wird gegenwärtig heiß diskutiert. Journalisten, die wissen wollten, wie die Zielvereinbarungen konditioniert sind, legte das Innenministerium auf jede nur denkbare Weise Steine in den Weg. Ein aktueller Entscheid des Verwaltungsgerichts Berlin soll das BMI nun zwingen, seine Medaillenvorgaben für die einzelnen Sportverbände offenzulegen.

Da hochgesteckte Medaillenziele auch den Anreiz zu Doping erhöhen, medizinisch unkontrollierte Applikationen leistungssteigernder Mittel aber eine Gefahr für die Gesundheit der Athleten darstellen können, gerät die staatliche Förderpolitik mehr und mehr ins Kreuzfeuer der Kritik. Eine weitere Instrumentalisierung des Sports, die durchaus Gefahren für Leib und Leben birgt, bleibt indessen weitgehend hinter dem Schleier gesellschaftlicher Konsensproduktion verborgen. So hat der DOSB insgesamt 391 Sportlerinnen und Sportler an die Medaillenfront nach London geschickt, darunter etwa ein Drittel Sportsoldaten. Während das Innenministerium rund 132 Millionen Euro in den Spitzensport steckt, steuert die Bundeswehr insgesamt ca. 100 Millionen Euro bei. Damit ist das Verteidigungsministerium neben BMI und Stiftung Deutsche Sporthilfe (SDS) einer der größten Sponsoren des Hochleistungssports in Deutschland.

Die neugestaltete Bundeswehr, die mit dem Slogan "Wir. Dienen. Deutschland." um Anerkennung und Identifikation wirbt, versucht auch mit Hilfe des Sports eine positive Grundstimmung in der Bevölkerung zugunsten der Streitkräfte zu erzeugen. So veranstaltet oder unterstützt die Bundeswehr eine Vielzahl von Sportevents und -wettbewerben, um Kinder und Jugendliche für den Soldatenberuf zu begeistern und die weitere Militarisierung der Gesellschaft voranzutreiben. Sportsoldaten, die in London unter dem Motto "Wir für Deutschland" erfolgreich um Medaillen kämpfen, eignen sich in besonderer Weise für die Rekrutierung des Nachwuchses und für Imagekampagnen der Bundeswehr. Als Sympathieträger, die auch von der Unterhaltungsindustrie und Werbewirtschaft auf allen Kommunikationskanälen gepuscht werden, erzielen sie eine große Breitenwirkung. Mit Hilfe der sportlichen Vorbilder bekommen auch die im Namen der Freiheit geführten Kriege der Bundeswehr etwas Sympathisches - selbst wenn die Einsätze manchmal das Äußerste erforderten, was ein Mensch geben könne, nämlich "das Leben, das eigene Leben", wie Bundespräsident Joachim Gauck unlängst erklärte [1].

Nicht nur das Siegen, sondern auch das Sterben für Deutschland soll mit Hilfe der Spitzensportler emotional verdaulich gemacht werden. Im vergangenen Jahr hatte Diskus-Weltmeister Robert Harting in einem Fernsehinterview seine Medaille einem befreundeten Soldaten gewidmet, der in Afghanistan gefallen war. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière zeigte sich sehr erfreut und bedankte sich mit einem persönlichen Brief bei Stabsunteroffizier Robert Harting. "Das sind Aktionen, die hundertmal wirksamer sind, als wenn ich eine Rede halte und für die Soldaten im Einsatz werbe. Ich hoffe, andere nehmen sich daran ein Beispiel", sagte de Maizière vor wenigen Tagen der "Aktuell - Zeitung für die Bundeswehr". Befehlen möchte er das nicht. "Denn das muss vom Herzen kommen". [2]

Trotz der rigiden Sparpolitik zu Lasten immer größerer Bevölkerungsanteile will Thomas de Maizière an den 750 Stellen festhalten, die die Bundeswehr zur Förderung des medaillenträchtigen Hochleistungssports bereitstellt. Der CDU-Politiker rechtfertigt die Fördermillionen mit nationalen Repräsentationsaufgaben. Er könne die Streitkräfte nicht nur nach den Kriterien der Effektivität führen, sagte de Maizière der "Welt am Sonntag". "Man braucht auch Traditionen, Geschichte, Repräsentation. Unser Land als nüchterne Demokratie ist arm an Symbolen, an Gemeinschaft stiftenden Ereignissen. Und der Sport ist ein Teil nationaler Repräsentation, er dient auch der Gemeinschaftsstiftung. Dafür kann und soll die Bundeswehr einen Beitrag leisten." [3]

Daß umgekehrt ein Schuh daraus wird und der Spitzensport von der Bundeswehr zielgerichtet eingesetzt wird, um zwischen Sport- und Militärerfolgen gefühlsmäßige Gleichheitszeichen beim Publikum entstehen zu lassen, liegt auf der Hand. Und so hat der Verteidigungsminister auch keine Scheu, mit stolzgeschwellter Brust zu verkünden: "Wenn der Silbermedaillengewinner im Turnen, Marcel Nguyen, Sohn eines Vietnamesen und einer Deutschen, im Interview sagt, er sei stolz, Sportsoldat zu sein und ohne die Bundeswehr sei diese Leistung nicht möglich, dann macht das auch mich stolz. Es ist natürlich auch eine glänzende Werbung für die Truppe." [3]

Falls Marcel Nguyen tatsächlich "stolz" darauf ist, Sportsoldat zu sein, dann wäre schon zu fragen, ob der Turner angesichts mangelnder Alternativen nicht lediglich gemeint hat, heilfroh zu sein, Sportförderung durch die Bundeswehr erhalten zu haben. Andererseits könnte es aber durchaus sein, daß der 24jährige voller Stolz ist. Wohl nicht von ungefähr hat sich der Stabsgefreite eine Tätowierung auf seine Brust stechen lassen mit dem geradezu lebensverkennenden Schriftzug: "Pain is temporary - Pride is forever" (Schmerz vergeht - Stolz bleibt für immer).

Thomas de Maizière indes scheint sich des Tarnanstrichs der Bundeswehrsportförderung durchaus bewußt. In einem dpa-Bericht zeigte er sich rund eine Woche vor Abschluß der London-Spiele zufrieden mit dem Abschneiden der Sportsoldaten, die bisher knapp 40 Prozent der Medaillengewinner im deutschen Team stellten: "Das freut mich, das macht mich stolz. Das ist auch eine Rechtfertigung für die diskussionswürdige Art und Weise, wie wir fördern." [4]

Der Minister steht uneingeschränkt zur Bundeswehrsportförderung und möchte offensichtlich wie bei den umstrittenen Auslandseinsätzen oder der Frage, ob sich die Bundeswehr ethisch saubere Kampfdrohnen anschafft, auch im Leistungssport Nägel mit Köpfen machen. "Entweder macht man das, dann macht man das richtig, oder man lässt das sein", so der Minister. Der Sproß einer Soldatenfamilie unterstreicht, daß er "nicht aus Nächstenliebe" handele: "Wir wollen dann auch Leistungen sehen. Wir fördern echte Leistungssportler und sind nicht dafür da, gehobene Freizeitsportler zu finanzieren." [4]

Was "richtig" für einen Hochleistungssport bedeuten könnte, der seinen Protagonisten ein Höchstmaß an Opferbereitschaft und kämpferischem Einsatz abverlangt, läßt sich denken. Kosten-Nutzen-Kalküle, die der Verteidigungsminister mit Blick auf künftige Kampfeinsätze der Bundeswehr anstrengt, lassen Schlimmstes befürchten. So erklärte Thomas de Maizière kürzlich im MDR Inforadio (01.07.2012), daß Militäreinsätze prinzipiell an jedem Ort der Welt möglich seien. Es müsse nur abgewogen werden, wie hoch die Kosten "an Geld und Blut" seien und welche weiteren Faktoren zu berücksichtigen wären.

Kaum anders sehen die Nutzerwägungen aus, denen Kaderathleten in den Stellvertreterkriegen des Hochleistungssports im Dienste übergeordneter Interessen ausgesetzt sind. Wenn Thomas de Maizière mit Blick auf den verbesserungswürdigen Medaillenspiegel fragt, wie stark der "Leistungsbegriff" und die "Siegermentalität" ausgeprägt seien und wie die "Rolle der Trainer" in Deutschland aussehe [4], dann läuten bei Menschen, die den symbolträchtigen Sport nicht als Reklameträger für Kriege mißbraucht sehen möchten, alle Alarmglocken.

Fußnoten:

[1] Bundespräsident Joachim Gauck, 12. Juni 2012, in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg

[2] http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYy9DoJAEISfhQfwFhpFOwiNLdEgdstxOddwP1kXaHx47wpnkinmyww8IdnjRhaFgscFHjBquky7mtxm1TusnFrlyNNHDNPqYMib2SgdvJGcYrxQSssogVUMLEsmK3MiimYYy6pry6r8q_rWw625H- vzqbu2fT6MjNYhjD4cNOqXgehcvTdF8QNzWoZg/

[3] http://www.welt.de/politik/deutschland/article108480750/Anregung-an-alle-Einfach-die-Arbeit-tun.html

[4] http://olympia.de/de-maizieres-zwischenbilanz-konnte-mehr-gold-sein/

9. August 2012