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BERICHT/361: Strukturen wie im Drogenhandel (Marburger UniJournal)


Marburger Uni Journal Nr. 29 - Mai 2007

"Strukturen wie im Drogenhandel"

Von Dieter Rössner


Doping schadet Sportlern und dem Sport und begünstigt kriminelle Machenschaften. Der Strafrechtler und Kriminologe Professor Dr. Dieter Rössner über ein Problem, das selbst den Breitensport erfasst hat und dem nur beizukommen ist, wenn die "Selbstreinigungskräfte" der Verbände durch Möglichkeiten zur strafrechtlichen Verfolgung ergänzt werden.


Doping im Sport, also die Verabreichung oder Anwendung von Dopingmitteln oder -methoden zum Zweck der künstlichen Leistungssteigerung, gerät immer dann ins Blickfeld, wenn die fatalen Auswirkungen des Gangs auf dem schmalen Grat zwischen Hochleistung und Selbstzerstörung die Öffentlichkeit wachrütteln oder sportliche Helden des Dopingbetrugs überführt werden. Die Probleme sind nicht neu. 1967, vor 40 Jahren, starb der Brite und Tour-de-France-Fahrer Tom Simpson kurz vor dem Gipfel des Mont Ventoux - der Körper voll mit Amphetaminen, ebenso wie die Taschen seiner Kleidung. Vor 20 Jahren, im April 1987, kam die junge hessische Siebenkämpferin Birgit Dressel nach vermutlich intensiver Einnahme leistungssteigernder Mittel zu Tode.

Dieses Ereignis markiert, ebenso wie die Aufdeckung des systematischen Staatsdopings in der ehemaligen DDR einige Jahre später, einen Wendepunkt in der Diskussion über Doping im Sport. Rekorde und Höchstleistungen werden nicht mehr nur bejubelt, sondern es wird auch gefragt, wie sie zustande gekommen sind. Zu recht, denn die Dimension des Dopingbetrugs lässt sich mittlerweile ermessen: Nach einer aktuellen Dunkelfeldstudie von Sportwissenschaftlern der Universität Saarbrücken ist bei einer Leistungssportkarriere in mindestens jedem 4. Fall vom Einsatz unerlaubter Mittel auszugehen.

Ebenfalls stellt sich inzwischen heraus, dass Doping kein Spitzensportphänomen, sondern auch im Freizeitsport und insbesondere in Fitnessstudios weit verbreitet ist. Einer Studie zufolge nimmt etwa jeder 5. Besucher solcher Studios Testosteronderivate und Stimulanzien ein. Es lässt sich so begründet schätzen, dass etwa eine Million Freizeitsportler verbotene Dopingpräparate im Sport benutzen.

Bei den Freizeitsportlern ist besonders fatal, dass sie anders als Spitzenathleten meist nicht unter ärztlicher Kontrolle stehen und damit gesundheitlich weitaus mehr gefährdet sind. Das Dunkelfeld dopingbedingter Gesundheitsschäden und Todesfälle - letztere werden vor allem dann nachgewiesen, wenn Mediziner nach der Todesursache junger Menschen fahnden - ist nicht zu überschauen und könnte das Problem des Doping im Spitzensport noch weit überragen.


Verbote ohne Folgen

Nachdem Ende der 80er Jahre also feststand, dass Dopingmittel nicht nur den sportlich fairen Wettkampf, sondern auch die Gesundheit beeinträchtigen, wurde erstmals über staatliche Antidopingmaßnahmen nachgedacht. Handlungszwang ergab sich zudem aus der am 1. März 1990 verabschiedeten Anti-Doping-Konvention des Europarats. In diesem von Deutschland ratifizierten Vertrag wird die gesetzliche Kontrolle des Umgangs mit Dopingmitteln verlangt. Seit 1998 resultiert daraus das strafrechtliche Verbot des Verbreitens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken nach den Paragraphen 6 und 95 des Arzneimittelgesetzes. So will der Gesetzgeber den Markt für Dopingmittel kontrollieren und die Gelegenheiten zu ihrer Verwendung im Sport reduzieren.

Bis heute allerdings hat dieses Verbot sein Ziel nicht erreicht. Vielmehr ist nach Dunkelfelduntersuchungen und punktuellen Feststellungen etwa bei den staatlichen Ermittlungen im Fall des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes, der 250 Athleten in Europa, darunter möglicherweise Jan Ullrich, beliefert haben soll -, davon auszugehen, dass der Vertrieb von Dopingmitteln heute ähnlich kriminelle Strukturen aufweist wie der illegale Drogenhandel.

Nach einer italienischen Untersuchung werden nur etwa zehn Prozent des insgesamt hergestellten und in der Krebstherapie benötigten Wirkstoffs Erythropoietin, kurz EPO, für medizinische Zwecke verwendet, sodass der größte Teil wohl auf den illegalen Dopingmarkt kommt. Trotz dieser Erkenntnisse jedoch gibt es im Zusammenhang mit der Dopingkontrolle nur wenige Strafverfahren, denn die wirksame Bekämpfung der Kriminalität in solchen Netzwerken setzt systematische Ermittlungen, verdeckte Beobachtungen, Vertrauensleute in der Szene, Telefonüberwachung und Sonderzuständigkeiten der Staatsanwaltschaft voraus.

In ihrem Abschlussbericht 2005 forderte die "Rechtskommission des Sports gegen Doping", die vom Deutschen Sportbund (jetzt: Deutscher Olympischer Sportbund) initiiert worden war und der ich angehörte, daher vor allem die Reduzierung des Vollzugsdefizits als ersten Schritt zur Dopingprävention. Der zweite Schritt indessen betrifft ein kriminalpolitisches Defizit, dessen sich die Bundesregierung noch nicht angenommen hat. Ein unübersehbares Problem der Dopingkontrolle liegt darin, dass die Einnahme von Dopingmitteln in Deutschland weder bei Freizeitsportlern noch bei Spitzenathleten strafbar ist. An dieser Frage entzünden sich derzeit ganz besonders kontroverse Diskussionen.

Ausgangspunkt ist, dass Selbstschädigungen vom deutschen Strafrecht generell nicht erfasst werden. Jeder darf sich durch Alkohol, Rauchen, Risikoverhalten oder eben auch Dopingmittel zugrunde richten, ohne dass er dafür belangt wird. Wendet man diesen Grundsatz auf den Sport an, so sind nur Hintermänner wie Ärzte oder Trainer mit der strafrechtlichen Figur der "mittelbaren Täterschaft" wegen Körperverletzung zu erfassen; dann zum Beispiel, wenn sie vor allem minderjährige Athleten heimlich oder ohne Aufklärung über die Folgen behandeln, wie dies etwa in der ehemaligen DDR in großem Umfang und mit erschütternden körperlichen Dauerfolgen für die Opfer geschah. Der dopende und eigennützig auf künstliche Leistungssteigerung zielende Athlet indessen bleibt stets straflos.


Wollen wir es wirklich wissen?

Kurz und krass gesagt: Nach staatlichem Recht ist Doping im Leistungssport erlaubt. Unter diesem Aspekt hätte Jan Ullrich immer Recht mit seiner Selbstrechtfertigung, dass er niemanden betrogen habe. Der Sportler reiht sich ein in die Leistungsgesellschaft, wo nur der Erfolg zählt, wo aber niemanden interessiert, wie er zustande gekommen ist; wie Studierende ein hervorragendes Examen geschafft haben, wie der tolle Body entstanden ist, wie Politiker, Topmanager und Wissenschaftler ihren 16-Stunden-Tag bewältigen. Will es die Gesellschaft beim Sport denn wirklich wissen? In einer Umfrage des Hessischen Rundfunks war die Hälfte der Zuhörer dafür, das Doping im Sport endlich freizugeben.

Dass dies keine Option ist, erscheint mir allerdings als selbstverständlich: Sport als traditionelles kulturelles Gut in seiner faszinierenden Eigenwelt basiert auf den Grundnormen der natürlichen Leistung, der Chancengleichheit, des Fairplay und schließlich des Zufalls. Nicht wenigen gilt er, zumindest im Prinzip, als Insel der Natürlichkeit in einer künstlichen Welt, in der Aufputschmittel, Antidepressiva und vieles mehr an der Tagesordnung sind. Entsprechend werden Doping und andere Betrügereien als Angriff auf die Grundnorm und die Sportkultur gesehen.

Während im Freizeit- und Amateursport auf die Selbstreinigungskraft der Sportgemeinschaft und die Vernunft des Einzelnen gesetzt werden kann, ist das im hochkommerziellen Spitzensport allerdings nicht möglich. Hier wird mit schmutzigem Geld manipuliert, das aus dem Dopinghandel stammt. Korrupte Strukturen und kriminelle Netzwerke im Umfeld können mit ihren Verlockungen die Sportkultur und Spielregeln von hinten her aufrollen. Die zerstörerischen Angriffe des Gewinn- und Prestigestrebens können im Bereich des Hochleistungssports mit seinen immensen Gewinnmöglichkeiten nicht vom Sport allein abgewehrt werden!

Doping wirft ähnliche Probleme auf wie Korruption, hier wie dort wird der freie Wettbewerb in vergleichbarer Weise manipuliert. Das in der Wirtschaft anerkannte Rechtsgut des chancengleichen Wettbewerbs (Paragraphen 298 und 299 des Strafgesetzbuchs) ist im wirtschaftlich orientierten Wettkampf- und Spielbetrieb genauso wichtig wie in der Wirtschaft selbst. Im Sport ist die Manipulation sogar besonders sozialschädlich: Sie verzerrt nicht nur die auf natürlicher Leistung basierenden Wettbewerbschancen, sondern kann das ganze System in Frage stellen und wirkt sich, indem sie die Sportkultur und die Erziehung zum Fairplay unterläuft, letztlich verheerend auf das Bewusstsein der Bevölkerung aus.

Die völlige Freigabe des Dopings wäre erst recht keine Lösung: Ein Sportsystem des erlaubten Dopings im Interesse wirtschaftlicher oder staatlicher Macht hätte mit grundrechtlichen Prinzipien der Persönlichkeitsentfaltung und Menschenwürde nichts mehr zu tun. Solche Strukturen fragen nicht nach Schäden für den Einzelnen, sondern bilden skrupellose Partner mit gleichen Interessen aus - vom Funktionär und Trainer bis hin zum Arzt.


Unwiderstehliche Sogwirkung

Das stärkste Argument für eine staatliche Bestrafung des Dopingbetrugs ergibt sich mit dem Blick auf die Situation der Spitzensportler und die damit verbundenen Zwänge. Ohne sanktionsbewehrtes Dopingverbot steht der saubere Berufssportler vor der Entscheidung, entweder ebenfalls den Wettbewerb zu verfälschen oder alternativ wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen. Erstmals wurde diese unwiderstehliche Sogwirkung hin zum unerlaubten Mittel und zum kollektiven Doping ausgerechnet von den viel geschmähten Radsportlern erkannt. Jetzt, nämlich kurz vor der drohenden Zerstörung des Radsports, setzten sie beim ersten Tourklassiker dieses Jahres, der Fernfahrt Paris-Nizza, ein Zeichen und protestierten gegen die Einstellung des Strafverfahrens in der Dopingaffäre "Fuentes".

Natürlich ist nicht zu übersehen, dass auch der innersportliche Kampf gegen Doping Fortschritte gemacht hat. Dabei ist insbesondere auf das seit dem 1. April 2004 geltende Musterregelwerk des Welt-Anti-Doping-Codes (WADC) zu verweisen. Das hier vorgesehene Verfahren ist mit dem deutschen Verbandsrecht ebenso konform wie es die Sanktionen bei Dopingverstößen sind. Wie bei der staatlichen Strafverfolgung hängt aber auch hier die Effektivität weitgehend vom Vollzug ab, von der Kontrolldichte also und von den verfügbaren medizinischen Nachweisverfahren. Die Stärke der Sportgerichtsbarkeit wird davon abhängen, wie die Institutionalisierung eines deutschen Sportschiedsgerichts voranschreitet und wie gut dessen Verzahnung mit der internationalen Sportgerichtsbarkeit ist.

Das Manko der Sportgerichtsbarkeit bei der Dopingverfolgung liegt darin, dass regelmäßig nur Einzelfälle nach einer positiven Probe aufgedeckt werden können. Es besteht nicht die Chance einer "Systemkontrolle" durch größer angelegte Ermittlungen. Diese sind nur mit staatlichen Zwangsmitteln möglich, wie sich beim Aufdecken des Dopingrings um Fuentes ebenso zeigte wie bei den früheren "Razzien" im Radsport, beim Giro d'Italia und der Tour de France, sowie bei den olympischen Winterspielen in Turin: Hier wurden jeweils ganze Arsenale von Dopingmitteln entdeckt.

Da sowohl die staatliche als auch die innersportliche Dopingkontrolle Vor- und Nachteile hat, sind beide auf ein Zusammengehen angewiesen. Die möglichen Erfolge zeigten sich im Bundesliga-Wettskandal: Hier nutzte der Sport intensiv seine Möglichkeiten in der verbandseigenen Sportgerichtsbarkeit und setzte da, wo er an seine Grenzen stieß - beim Einsatz von Zwangsmitteln wie Festnahmen und Durchsuchungen - auf staatliche Ermittlungen. Die Kooperation wurde zum Erfolgsmodell. Es entspricht den Ergebnissen der kriminologischen Korruptionsforschung, dass strafrechtlicher Ermittlungsdruck gepaart mit Selbstreinigungskräften der betroffenen Institution die besten Wirkungen zeigt. Wir können froh sein, dass beide Kontrollsysteme in Deutschland eine ordentliche Basis haben.


Korrupte Netzwerke

Freilich entbindet das nicht von der Diskussion über weitere Verbesserungen angesichts der Bedrohungen durch internationale korrupte Netzwerke vor allem im kommerzialisierten Leistungssport. Einen ersten Schritt hat die Bundesregierung unternommen und im Februar 2007 einen Gesetzesentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport vorgelegt. Der Staat wolle ein Zeichen gegen das Doping setzen, so hieß es, auch weil der Hochleistungssport Vorbildfunktion für die Bevölkerung habe. Danach sollen im Rahmen des Arzneimittelgesetzes schon der Eigenbesitz bestimmter Dopingsubstanzen ab bestimmten Grenzwerten sowie das banden- und gewerbsmäßige Handeln bestraft werden.

Die Richtung stimmt. Nach wie vor allerdings bleibt das zentrale Unrechtsgeschehen unbeachtet, nämlich der Dopingbetrug des Sportlers an Konkurrenten und Zuschauern. Der Gesetzgeber nämlich bewegt sich eigentlich nur auf einem Nebenschauplatz: Die Bekämpfung des Dopings allein durch Maßnahmen, die sich gegen die Verbreitung der verbotenen Substanzen richten, ist nichts anderes, als würde er Körperverletzungen nur mit Verboten im Waffengesetz zu verhindern suchen.

Die Marburger Forschungsstelle für Sportrecht wird sich dieser Thematik darum weiterhin widmen. Derzeit schließen wir ein Forschungsprojekt zur Situation und Reform der Dopingkontrolle in Deutschland ab und legen dem Bundesinstitut für Sportwissenschaften bald einen umfassenden und demnächst auch öffentlich einsehbaren Forschungsbericht vor. Darin schlagen wir die Einführung von Tatbeständen gegen Sportbetrug vor. Diese sollten dann auch in einen Zusammenhang mit Delikten gegen den unlauteren Wettbewerb im Strafgesetzbuch (StGB) gestellt werden. Anders als nämlich das Arzneimittelgesetz, das lediglich ein so genanntes Nebenstrafrecht ist, ist das StGB ein Kernstrafgesetz - Zuwiderhandlungen werden mit entsprechend höherem Nachdruck verfolgt.

Ebenfalls kurz vor dem Abschluss steht die Arbeit des am Stuttgarter Olympia-Zentrum tätigen Mediziners und Juristen Dr. Heiko Striegel. Diese bemerkenswerte empirische Dissertation, die an unserem Fachbereich entsteht, sammelt methodisch höchst aufwändig aktuelle Daten zum Ausmaß des Dopings in Fitnessstudios. Darüber hinaus entwickelt sie ein Persönlichkeitsprofil der zum Doping geneigten Freizeitsportler und legt so die Basis für die Entwicklung wirksamer Präventionsansätze.

Kontakt
Professor Dr. Dieter Rössner
Fachbereich Rechtswissenschaften,
Institut für Kriminalwissenschaften
Tel.: (06421) 2823 106
E-Mail: roessner@staff.uni-marburg.de


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Quelle:
Marburger UniJournal Nr. 29, Mai 2007, Seite 21-24
Herausgeber: Der Präsident der Philipps-Universität Marburg
gemeinsam mit dem Vorstand des Marburger Universitätsbunds
Redaktion: Pressestelle der Philipps-Universität Marburg
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Veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2007