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BERICHT/391: Olympische Spiele für Jugendliche (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Olympische Spiele für Jugendliche
Ein Thema von hoher Dringlichkeit und großer Diskussionsbedürftigkeit

Von Prof. Dr. Helmut Digel


Immer häufiger schreiben Journalisten über Sachverhalte, von denen sie selbst wenig verstehen. Zumindest haben sie sich nicht ausreichend mit der Materie vertraut gemacht, um kompetent über sie schreiben zu können. Bei der Berichterstattung über das Dopingproblem ist dies schon seit längerem zu beklagen. Kaum kompetenter wird in jüngster Zeit über die vom IOC beschlossenen Olympischen Jugendspiele berichtet. Selbst das offizielle Organ des DOSB - die DOSB PRESSE - wird mit solcher Berichterstattung nicht verschont. Die Olympischen Jugendspiele wurden keineswegs, wie es in diesem Organ heißt, sorgfältig vorbereitet und inhaltlich in den internationalen Verbänden ausreichend diskutiert, so dass man wissen könnte, über was man überhaupt spricht, wenn zukünftig diese Spiele veranstaltet werden sollten.

Die Idee der Spiele, die mit ihnen zu verfolgenden Ziele, die möglichen Inhalte, die Rahmenbedingungen, ihre Finanzierung und ihr Modus, all dies liegt gerade erst seit zwölf Monaten in schriftlicher Form vor; aus naheliegenden Gründen müsste solch ein großes Vorhaben jedoch berechtigte Fragen wenigstens einiger Beteiligten und Beobachter hervorrufen. Doch das war bislang kaum der Fall.

Das höchste Gremium des IOC hat sich mittlerweile allerdings entschieden. Wie in internationalen Sportorganisationen üblich, wurde der Beschluss einstimmig gefasst: Die Olympischen Jugendspiele werden zum ersten Mal bereits im Jahr 2010 stattfinden. Ihre Rahmenbedingungen sollen in der Olympischen Charta verankert werden. Auf diese Weise sollen die Jugendspiele vor einigen Entwicklungen geschützt werden, die sie gefährden könnten. Ihre Größe könnte damit begrenzt, die Teilnehmerzahl klein gehalten, das Programm ausgewählt und verbindlich festgelegt und die finanziellen Bedingungen vernünftig definiert werden. Immerhin benötigt man eine Zweidrittelmehrheit, wenn man die Regularien der Olympischen Charta ändern möchte. Der vom IOC-Präsidenten Jacques Rogge dabei eingeschlagene Weg zur Durchsetzung eines seiner wichtigsten Anliegen ist deshalb durchaus zu begrüßen und benötigt dringend Unterstützung.

Die Fragen, die im Vorfeld des IOC-Beschlusses von Guatemala gestellt wurden, haben damit jedoch nicht ihre Berechtigung verloren, und Bedenken gegenüber diesen Spielen sind deshalb auch nicht zurückzustellen. Viele Fragen sind nach wie vor unbeantwortet. Doch zu ihrer Beantwortung ist nunmehr Eile geboten. Denn bereits im September haben sich die Kandidatenstädte für die Olympischen Jugendspiele in Lausanne getroffen. Eine Expertengruppe bearbeitet ihre technischen Aspekte. Eine weitere Gruppe soll sich mit der inhaltlichen Gestaltung der Spiele selbst auseinandersetzen. Bis Ende Oktober sind die endgültigen Bewerbungen der Bewerberstädte einzubringen. Sie sollen bis zum 13. November begutachtet sein. Eine Expertengruppe wird dann jene Städte empfehlen, die als die engere Wahl zu gelten haben. Die engere Wahl bedarf dann einer sorgfältigen Evaluierung, wobei zu klären ist, ob der Evaluierungsprozess in Qualität und Form jenem entspricht, wie bei den Olympischen Spielen, oder ob man eine Kurzform der Evaluierung als geeignet erachtet. Bereits Ende Januar muss dann ein Abschlussbericht dem Exekutivkomitee des IOC vorgelegt werden. Die Entscheidung über die Vergabe der Spiele wird Ende Februar 2008 erfolgen.

Dies ist ein anspruchsvoller, aber auch äußerst knapp bemessener Zeitplan. In wenigen Monaten ist dabei viel zu leisten. Das Wichtigste wird dabei allerdings sein, dass man - in äußerst kurzer Zeit - eine Antwort auf die Frage findet: "Welche Art von Spielen sind gewollt, mit welchen Inhalten soll die ausgewählte Stadt im Jahr 2010 im Auftrag des IOC diese Spiele organisieren?".

Man hätte sich gewünscht, dass diese Frage vor dem Bewerbungsverfahren beantwortet wird, doch dem war nicht so. Dabei müssten die Bewerberstädte eigentlich wissen, für welche Spiele sie sich bewerben, welches Produkt von ihnen erwartet wird und durch welche Qualitätsmerkmale man sich dabei auszeichnen muss. Im Nachhinein ist diese Voraussetzung nicht mehr zu korrigieren.

Auf was es nunmehr vor allem noch ankommen kann ist die Herausforderung, dass in wenigen Wochen und Monaten eine intelligente inhaltliche Füllung des vom IOC beschlossenen Rahmens erfolgt, der durch die Beschlüsse fest vorgegeben ist. Welche Art von Wettkämpfen in den olympischen Sommer- bzw. Wintersportarten finden bei diesen Spielen statt? Sind es lediglich Weltmeisterschaften der Verbände im verkleinerten Format oder werden ganz neue Wettkampfformate entwickelt? Bleiben die Geschlechter getrennt oder gibt es neue gemeinsame Wettbewerbe? Welche Qualität haben diese Wettkämpfe? Wie qualifizieren sich die Athleten für diese Wettkämpfe? Welche Rolle spielen dabei die Kontinente? Wie sind die Wettkämpfe eingebunden in ein Ereignis der Begegnung, in dem die von Dr. Jacques Rogge formulierten Ziele angestrebt werden können? Wird auf Hymnen und Fahnen verzichtet? Sucht man neue Formen zur Ehrung der Sieger oder verzichtet man völlig auf sie? Wie findet der kulturelle Austausch der Jugendlichen angesichts der polyglotten Situation ihrer Teilnehmer statt, die aus den verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Kulturen und Religionen kommen und deren Alter äußerst unterschiedlich sein kann? Was wird dabei ausgetauscht? Will und vor allem kann man, wie angestrebt wird, tatsächlich bei diesen Spielen junge Menschen erziehen? Soll die Erziehung im Sinne von "intentionalen" Akten erfolgen, bei denen die Erziehungsprozesse und -ergebnisse auch einer Kontrolle zu unterliegen haben, und sie dann als gelungen zu bezeichnen sind, wenn die Ziele erreicht sind? Oder geht es lediglich um eine Atmosphäre der Aufklärung und der Wissensvermittlung? Wie kann das naheliegende individuelle Ziel der Athleten, besser zu sein als die Gegner und möglichst Olympiasieger zu werden mit den anspruchsvollen Zielen der Olympischen Bewegung - Fairness, gegenseitiger Respekt, Völkerverständigung, Frieden - verknüpft werden? Diese Jugendspiele dürfen ganz gewiss nicht eine Kopie olympischer Erwachsenenspiele im kleineren Format sein. All diese Fragen bedürfen intensiven Nachdenkens, kreativer Ideen und verschiedener Planspiele.

Diese Fragen darf man nicht nur einzelnen offiziellen Repräsentanten überlassen, deren fachliche Kompetenz darüber hinaus meist fragwürdig und aus naheliegenden Gründen kaum ausreichend sein dürfte. Wer die Bedenken ausräumen möchte, die Pädagogen, Sport- und Trainingswissenschaftler gegen diese Wettkämpfe formuliert haben, wer sicherstellen möchte, dass nicht auch diese Wettkämpfe am Ende von Dopingbetrug, Unfairness und nationalem Prestigedenken beeinträchtigt werden, wer will, dass diese Spiele sich durch eine neue kulturelle Qualität auszeichnen, der muss seine Ideen zur Diskussion stellen und zulassen, dass auch er sich selbst auf den Prüfstand stellt. Deshalb muss auch vom DOSB erwartet werden, dass er am kritischen Dialog interessiert ist.

Aus diesem Grunde wäre es wünschenswert, dass sich alle im DOSB organisierten olympischen Sportverbände an dieser Diskussion beteiligen, dass Ideen eingereicht werden, dass Foren gegründet werden, um möglichst schnell das bestmögliche aus dem zu machen, was uns als Rahmen vorgegeben ist. Zu Recht könnte hierbei nach der Rolle und Aufgabe der neu gegründeten Deutschen Olympischen Akademie gefragt werden. Warum hat sie sich bislang zu all diesen und anderen olympischen Fragen nicht geäußert? Sicherlich können diese olympischen Jugendspiele für die Olympische Bewegung eine große Chance sein, und für die Jugendlichen der Welt, die an ihnen im Jahr 2010 teilnehmen werden, können diese Spiele über den Sport hinaus schöne Erlebnisse, wichtige Erinnerungen und wegweisende und damit nachhaltige Erfahrungen ermöglichen. Damit sie diesem Anspruch genügen, müssen jedoch kritische Fragen erlaubt sein, und die Spiele selbst müssen im wahrsten Sinne des Wortes ein Forum der Begegnung des Dialogs, des Gesprächs des kulturellen Austauschs und der Solidarität mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus den armen Ländern dieser Welt mit ihren für den Jugendsport meist völlig unzureichenden Möglichkeiten sein. Dann erst würden sie auch dem Grundsatz Coubertin's gerecht, dass die Olympische Idee eine pädagogische Idee ist; einem Grundsatz, der in der Olympischen Charta fest verankert ist. Es geht deshalb um die konstruktive Ausgestaltung dessen, was das IOC mit seinem Beschluss von Guatemala vorgegeben hat. Platitüden, hohle Worte und Phrasen sollten dabei keinen Platz haben.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 42, 16. Oktober 2007, DOKUMENTATION I-III
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2007