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BERICHT/407: Tagung - Sport macht schlau, Kunst macht klug ...! (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Fachtagung der GEW-Niedersachsen
Sport macht schlau, Kunst macht klug ...! "Weiche Fächer" im Abseits?

Von Prof. Lorenz Pfeiffer


"Unter deutschen Gebildeten, Akademikern, Intellektuellen herrscht hartnäckig, trotz empirischer Gegenbeweise, die wiederholt erbracht wurden, die Auffassung, dass 'Muskeln' und 'Gehirn' sich fast zwangsläufig umgekehrt proportional entwickeln." In dieser negativen Einstellung der deutschen geistigen Eliten gegenüber Bewegung und Sport als Teil des Erziehungs- und Bildungsprozesses sah von Krockow schon vor über 30 Jahren die Ursache für die notorische Schulsportmisere in Deutschland. Die aktuelle schulische Realität spiegelt diese fatale Fehleinschätzung immer noch wider. Wie falsch diese Einschätzung ist, darauf weisen Hirnforscher seit einigen Jahren hin und knüpfen damit wieder an die Erziehungsphilosophie von Pestalozzi "Erziehung mit Kopf, Herz und Hand" an - allerdings jetzt auf der Basis gesicherter empirischer Untersuchungen.

Der heutige Schulalltag ist weitgehend gekennzeichnet durch einen betriebswirtschaftlichen Bildungsbegriff. Messen, wiegen und vergleichen sind die Parameter, mit denen der schulische Lernfortschritt evaluiert wird. Schülerinnen und Schüler sollen fit gemacht werden für den Arbeitsprozess, aber nicht für das Leben! Diese Forderung des großen deutschen Erziehungswissenschaftlers Hartmut von Hentig, die jungen Menschen an den Schulen auf das Leben vorzubereiten, wird an den deutschen Schulen häufig mit Füßen getreten: mit dem Ergebnis, dass sogenannte "weiche Fächer" wie Sport, Kunst und Musik zunehmend an den Rand gedrängt werden und der Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Schülerinnen und Schüler überlassen bleiben.

Im Bundesvergleich sind die niedersächsischen Schülerinnen und Schüler weniger fit, als die Schülerinnen und Schüler in anderen Bundesländern - zu diesem Ergebnis kam der niedersächsische Kultusminister Busemann im Jahre 2006 im Anschluss an den landesweit durchgeführten Fitnesstest, um im gleichen Atemzug die dritte Sportstunde an den niedersächsischen Grundschulen zu streichen. Mit der Einführung der eigenverantwortlichen Schule in Niedersachsen verschwand dieser Fitnesstest, der ursprünglich als Langzeitstudie angelegt und angekündigt war, auf wundersame Weise wieder in den Niederungen der kultusministeriellen Bürokratie.

Über die Sinnhaftigkeit und Aussagekraft des niedersächsischen Fitnesstests lässt sich nach wie vor trefflich streiten, an der allgemeinen Erkenntnis, dass unsere Schülerinnen und Schüler zunehmend dicker und unbeweglicher werden, ändert das jedoch nichts. Der niedersächsische Kultusminister sieht jedoch keinen staatlichen Handlungsbedarf. Statt durch Verbesserung der Rahmenbedingungen die Voraussetzungen für einen 'guten' Sportunterricht zuschaffen und damit einen eigenen Beitrag zur Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit der Kinder zu leisten, erwartet der Kultusminister, dass durch Eigeninitiativen diese Defizite ausgeschlichen werden und zieht sich damit letztlich aus der politischen Verantwortung. "Wer Sportstunden streicht, dem sollte die Lizenz zur Beeinflussung des politischen Lebens entzogen werden!" Mit dieser eindeutigen Forderung hat der ehemaligen Präsident des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, bereits vor einigen Jahren auf die bundesweite Kürzungen des Schulsports reagiert.

Auf diese bildungspolitische Entwicklung in Niedersachsen hat die niedersächsische Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW) mit einer bildungspolitischen Offensive geantwortet und zu einer landesweiten Fachtagung nach Hannover eingeladen. Im Mittelpunkt der Tagung stand der Vortrag "Das bewegte Hirn. Anmerkungen zu Bewegung, Denken und Lernen" des Hirnforschers Martin Korte (Universität Braunschweig). Korte wies zunächst darauf hin, dass aktuelle Untersuchungen ergeben hätten, dass "ein Drittel aller Sechsjährigen unter Muskel- und Haltungsschwächen, Wahrnehmungs- und Koordinationsstörungen, Übergewicht, Kreislaufschwäche oder emotional-soziale Störungen" leiden, und dass über ein Drittel der getesteten Kinder und Jugendlichen "nicht rückwärts zwei oder drei Schritte auf einem drei Zentimeter breiten Brett balancieren (können) und bei einer Rumpfbeuge nur 43% der Kinder mit beiden Händen bis zum Boden" kommen. Die Ursachen für diese Defizite sieht Korte in einem grundlegenden Bewegungsmangel, der wiederum dazu führt, dass die Entwicklung physischer Fertigkeiten zurückbleibt und damit einhergehend sich auch die räumliche Vorstellungskraft nur unzureichend entwickelt. Im weiteren zeigte Korte eindrucksvoll die Zusammenhänge von geistiger und motorischer Entwicklung auf. So lösen Bewegungsreize nicht nur Wachstumsreize für das Gehirn aus, fördern sportliche Bewegungen jeglicher Art nicht nur die Gehirnreifung, das Lernen von Bewegungssequenzen ist nach Korte ebenso wie Musizieren eine "gute Übung um Sprachen zu lernen, langfristige Planungen aufzustellen und kreatives Denken".

Im Anschluss an den Vortrag hatten die über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gelegenheit in verschiedenen Arbeitsgruppen die theoretischen Erkenntnis in der Praxis zu erproben. Dazu wurden Arbeitsgruppen u.a. zu den Themen "Bewegte Schule", "Zugänge zu Bildern - Kunst macht kompetent", "Klatschen, Trommeln, Musizieren - Rhythmus & Co" und "Schule - Offene Räume" angeboten.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 50, 11. Dezember 2007, DOKUMENTATION XVI-XVII
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2007