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BERICHT/447: Heidelberger Ringvorlesung zur Dopingthematik wurde zu einem Highlight (idw)


Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg - 16.05.2008

Fünfte Veranstaltung der Heidelberger Ringvorlesung zur Dopingthematik wurde zu einem Highlight


Ringvorlesung "Doping" in Heidelberg am 15. Mai zum Thema "Doper - Täter oder Opfer?" - Rechtsanwalt Michael Lehner zeigte Schwächen des Sportrechtssystems auf - Nicht alle Dopingtests sind zuverlässig - Patrick Sinkewitz: Wir hatten praktisch keine Angst vor Kontrollen

Die fünfte Veranstaltung der Ringvorlesung von Universität und Pädagogischer Hochschule Heidelberg zur Dopingthematik wurde zu einem Highlight, denn der Referent Rechtsanwalt Michael Lehner hatte seinen Mandanten Patrick Sinkewitz mitgebracht, und im Publikum saßen auch Prof. Dr. Werner Franke und sein Mitarbeiter Hans Heid, der unter anderem im Fall des kenianischen Weltklasseläufers Bernhard Lagat Fehler beim Analyseverfahren nachgewiesen und damit den Läufer vor einer Sperre gerettet hatte.

So kam es nicht nur zu einem interessanten Vortrag, sondern auch zu intensiven Diskussionen und umfangreichen Fragen der Zuhörer an Lehner und Sinkewitz. Und am Schluss waren alle etwas ratlos, denn beide hatten aufgezeigt, dass das gegenwärtige Kontroll- und Analyseverfahren nur sehr unzuverlässig funktioniert und immerhin des Öfteren sich auch falsch positive Fälle ereignen können. Und in einem solchen Falle haben Sportler ohne die kompetente Hilfe von Wissenschaftlern wie Werner Franke oder von Juristen wie Michael Lehner praktisch keine Chance, von der Schippe zu springen.

Lehner behauptet dabei nicht, dass alle seine Klienten Unschuldslämmer sind. Er sieht seine Aufgabe als Anwalt aber darin, Unschuldige zu schützen und Schuldige in der Konfrontation mit der von ihm als brutal bezeichneten Verbandsgerichtsbarkeit zu unterstützen. Dabei will er auch auf Schwächen dieser Gerichtsbarkeit hinweisen und deren Verbesserung veranlassen.

Lehner erörterte Fälle aus seiner beruflichen Praxis, um zu zeigen, dass das Schwarz-Weiß-Schema "Täter - Opfer" zur Analyse von Dopingfällen nur unzureichend funktioniert. Das größte Problem sieht er bei zu Unrecht als positiv erklärten Sportlern in dem Prinzip der "strict liability", mit dem die Grundsätze des staatlichen Rechts umgekehrt werden - was letztlich gegen das Grundgesetz verstößt. Für einen Sportverband oder die NADA reicht eine positive Probe bei einer Kontrolle aus, um den Sportler zum Doper zu erklären und ihn zu bestrafen. Nicht der Verband oder die nationale Antidopingagentur müssen nachweisen, dass der Sportler wissentlich und willentlich sich gedopt hat, sondern der Sportler muss seine Unschuld beweisen. Das heißt, Risiko und Kosten trägt in jedem Fall der Athlet, und zwar er allein.

Der Heidelberger Rechtsanwalt will das Dopingproblem nicht herunterspielen, aber dafür sensibilisieren, dass die Dinge oft wesentlich komplizierter sind als von der Öffentlichkeit wahrgenommen. Die Athleten sind einem Rechtssystem unterworfen, an dessen Entwicklung sie nicht beteiligt waren. Bei zu Unrecht beschuldigten Athleten oder bei Minderjährigen, die ohne ihr Wissen gedopt wurden, ist klar, dass sie Opfer sind. Schwieriger ist die Situation bei Erwachsenen wie z.B. Jörg Jaksche oder Patrick Sinkewitz, ob sie nur als Täter oder auch als Opfer anzusehen sind. Ähnlich wie schon der Systemtheoretiker Karl-H. Bette wies Lehner darauf hin, dass Athleten sich am Ende der Verantwortlichkeitskette befinden. Doper sind nicht nur Täter, sie werden letztlich auch Opfer eines auf die unendliche Steigerungslogik des Spitzensports fixierten Systems.

Am Anfang der Verantwortungskette stehen Staat, Sponsoren, Medien, aber letztlich auch die Zuschauer, die einen Erwartungsdruck aufbauen helfen. Ebenfalls am Anfang befinden sich die eigentlichen Täter, skrupellose Mediziner, Funktionäre, Trainer, manchmal auch Eltern. Aber büßen müssen fast immer nur die - ob zu Recht oder Unrecht - erwischten Athleten, die zudem meist nie richtig aufgeklärt wurden über die Risiken des Dopings (Gesundheit, gesellschaftliche Ächtung, Karrierebruch oder -ende), wie auch Sinkewitz bestätigte.

Auch ein weiteres gravierendes Problem stand im Mittelpunkt: Wenn heute von einer früher hoch gedopten Sportlerin wie der Weitsprungolympiasiegerin Heike Drechsler, die zudem (in Heidelberg) wegen uneidlicher Falschaussage verurteilt wurde, gesprochen wird, erwähnt niemand mehr ihre eindeutig belegte Doping-Vergangenheit, sie ist ein bis in höchste Kreise gerne gesehener Gast. Wer darauf verzichtet, die Mauer des Schweigens zu brechen, wie der Radprofi Ivan Basso (in den Fuentes-Skandal verwickelt), wird gnädig wieder in den Kreis der "Familie" aufgenommen.

Sportler dagegen wie der Olympiasieger Dieter Baumann (nach Ansicht von Lehner und Franke eindeutig Opfer eines Anschlags und in Deutschland frei gesprochen) oder die geständigen Radprofis Jörg Jaksche und Patrick Sinkewitz, die sich wehren oder geständig sind, werden immer wieder als Doper bezeichnet, werden als Außenseiter behandelt und haben kaum eine Rehabilitierungschance. Kurz gefasst: Basso fährt wieder, Jaksche und Sinkewitz haben keine Chance, noch einmal einen Rennstall zu finden. Damit wird an andere Sportler, die auch auspacken könnten, das Signal ausgesendet: Halte die Klappe und Du wirst wieder in die Familie aufgenommen, wenn nicht, hast Du keine Chance mehr - ein fatales Signal für potentielle Kronzeugen; die Kronzeugenregelung dürfte damit komplett gescheitert sein.

Der Rechtsanwalt Lehner will für die da sein, die ungerecht behandelt werden, was auch Dopern widerfahren kann. Und er setzt sich für eine zweite Chance für Sportler ein, die einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheit geleistet haben. Dafür lässt sich nicht umgehen, Schwächen des Sportrechts aufzudecken.

Ein ganz spezielles Problem stellen die Nahrungssupplemente (Nahrungsergänzungsmittel - NEM) dar, wie Lehner an den Fällen des Triathleten Jürgen Zäck oder des Fußballers Cornelius aufzeigte. Verbände werben zum Teil mit Hochglanzbroschüren für NEM, obwohl längst bekannt ist, z.B. durch Untersuchungen des Dopinglabors in Köln, dass weit über 20% der NEM Verunreinigungen aufweisen, die zu positiven Kontrollen führen können. Tappt ein Athlet in eine solche Falle (auch z.B. durch den Genuss eines Mohnkuchens oder die Verwendung eines Haarwuchsmittels mit der Substanz Finasterid), wird er vom Rechtssystem des Sports allein gelassen, von der Wissenschaft meist ebenso. Cornelius hatte durch die Unterstützung der Wissenschaftler des DKFZ Glück - sein Verfahren wurde eingestellt. Absurd erscheint auf jeden Fall, dass eine Körperverletzung im Fußball im Zweifelsfall nur zu einer Sperre von drei Spielen führt, die Verwendung des Haarwuchsmittels (ohne leistungssteigernde Wirkung) zu sechs Monaten Sperre. Für die Zeit vor der Weiterentwicklung des EPO-Tests geht Lehner von einer Fehlerquote von 20 - 30 % aus.

Lehner zwingt keinen Mandanten auszupacken. Aber er versucht sie so zu beraten, dass nach Möglichkeit ein Beitrag zur Wahrheitsfindung in der Dopingproblematik geleistet wird. Ein Beleg hierfür sind die Radprofis Jaksche und Sinkewitz. Hätten sie geschwiegen, wäre ihnen manches erspart geblieben. So aber stellte sich Sinkewitz den neugierigen und kritischen Fragen der Zuhörer.

Täter oder Opfer? Ein Opfer ist auf jeden Fall auch der unkritische Zuschauer, der an das Gute im Sport glauben und mit seinen Sporthelden nationale, regionale oder lokale Erfolge bejubeln will - Liebe macht blind! Die geringe Zahl an positiven Dopingtests gibt in keiner Weise das Dopinggeschehen im Spitzensport wieder: Wie sagte Sinkewitz gegen Schluss der Diskussion auf die Frage einer Studentin: "Vor Dopingkontrollen hatten wir eigentlich nie Angst gehabt. Uns war ja gesagt worden, dass praktisch nichts passieren kann." Außer bei Pannen, wie in seinem Fall, oder wenn staatliche Behörden wie Polizei oder Zoll eingreifen wie beim Festinaskandal, dem Balcoskandal oder dem Fuenteskandal.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution5


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Dr. Michael Schwarz, 16.05.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2008