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BERICHT/583: Turnfest-Geschichte als Sammelgebiet (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 16 / 14. April 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Turnfest-Geschichte als Sammelgebiet
Günter Herbers Traum von einer Dauer-Ausstellung in der DTB-Zentrale

Von Andreas Müller


Das deprimierende Erlebnis in einem Düsseldorfer Auktionshaus geriet für Günter Herber zu einer Schlüsselszene. Mitte der 80er Jahre wollte er seine Olympia-Sammlung um einige Prachtexemplare erweitern und musste miterleben, wie der Mann neben ihm von den angebotenen alten Goldmedaillen eine nach der anderen ersteigerte. "Er bot im Auftrag des Internationalen Olympischen Komitees. Er hob praktisch pausenlos die Hand, egal bei welchem Preis", erinnert sich der 67-Jährige. Gegen die Gebote seines Nachbarn hatte Herber keine Chance. Wieder daheim in Wiesbaden, veräußerte er seine olympischen Devotionalien und warf sich fortan auf ein anderes Sammelgebiet: Deutsche Turnfeste und Mittelrheinische Kreisturnfeste, so heißt seine große Passion. Inzwischen ist der Betriebswirt und Bilanzbuchhalter, der bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2003 bei der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes als Revisor arbeitete, zuhause von deutscher Sportgeschichte geradezu umzingelt. In jedem Zimmer sind die "frisch, fromm, fröhlich, frei" verkörpernden vier großen "F" der deutschen Turnbewegung so selbstverständlich zuhause wie Günter Herber selbst. Der Mann lebt in einem wahren Museum der Turnfest-Geschichte, die einst 1860 mit der Premiere in Coburg begann und in diesem Jahr mit der 33. Auflage vom 30. Mai bis 5. Juni 2009 in Frankfurt am Main ihre Fortsetzung finden wird.


Turnfest-Krüge sind Herbers Spezialität

"Von jedem dieser Ereignisse gibt es Exponate in meiner Sammlung. Manchmal sehe ich das alles schon gar nicht mehr, wenn ich durch die Wohnung gehe. Dann wieder nehme ich einzelne Stücke in die Hand und betrachte sie und erfreue mich daran", sagt der Hausherr. Im Wohnzimmer sticht sofort eine kleine weiße Büste von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn ins Auge. Daneben eine schöne antiquarische Originalausgabe von dessen 1816 erschienenen und fundamentalen Werkes "Die deutsche Turnkunst". In einer Vitrine sind eher kuriose Erinnerungsstücke aufbewahrt: Seidentücher, Ringe, Manschettenknöpfe, Fahrradklingeln, Pfeifen verschiedenster Gestalt, Zigarrenabschneider, ein Stammtischständer und sogar eine uralte Turnfest-Schokolade künden von der fast 150-jährigen Geschichte des Großereignisses. Welch ideellen Wert und welche Bedeutung diese großen Feste für die Teilnehmer und im Leben des deutschen Sports darstellen, wird besonders anhand der rund 130 Turnfestkrüge deutlich, die Herber zusammentrug. Wahre Kunstwerke sind diese bis zu zwei Liter fassenden Stücke aus Porzellan, Zinn oder Glas in verschiedenen Größen und Formen, mit und ohne Deckel und den immer wiederkehrenden Motiven - Turnvater-Porträt und das Rücken an Rücken gelehnte "Vierfach-F". Von 1863 (Leipzig) grüßt ein elegant anmutender Krug ganz in Weiß, die Gefäße von 1889 (München) strotzen vor Farbenpracht mit dem "Kindl" in der Mitte. Daneben grüßt ein Trinkbecher von 1880 (Frankfurt), in den kunstvoll und grazil die vier F eingraviert sind.

Das Büro wird von Fest- und Teilnehmerkarten geschmückt und einer besonders schönen Urkunde von 1894 (Breslau) im großen Rahmen. Die meisten Stücke sind im Keller aufbewahrt, etwa der große Wandbehang mit den Festabzeichen und Nadeln von sämtlichen deutschen Turnfesten einschließlich der Turn- und Sportfeste in der DDR, die zwischen 1954 und 1987 insgesamt acht Mal in Leipzig stattfanden. An einer anderen Wand hängt ein Stich, der den Einzug der Teilnehmer beim 1. Deutschen Turnfest in die Festung Coburg zeigt. Neben vielerlei Literatur und Ansichtskarten sind Sammeltassen, eine wunderschöne Zigarrenkiste und eine ganze Batterie herrlich bestickter Turnfestgürtel zu sehen. Von den Wänden grüßen Fahnenbänder, Wimpel, Siegerkränze und Siegerschleifen Aus zwei Vitrinen schauen wertvolle historische Helme hervor, wie sie Mitglieder der so genannten Turner-Feuerwehren früher getragen haben. "Und hierzu hätte ich gern noch ein passendes Hemd", sagt der Hausherr, während er eine lange weiße und einhundert Jahre alte Leinenhose hochhält, in der sich die Turner dereinst bewegten. So wie Herbers Opa August Müller mit seiner Riege "Vorwärts" vom Turnverein Eintracht Wiesbaden.


Vom Großvater und eigenem Turnfest-Erleben angeregt

Der sportliche Großvater ist es gewesen, der seinen Enkel mit der Sammlerleidenschaft infizierte. Die Hinwendung zu den Wurzeln des Turnens - zur Keimzelle des deutschen Sports also - und zur Historie der Deutschen Turnfeste lag nahe. Schließlich turnte Herber selbst jahrelang beim TV Wiesbaden-Bierstadt. Im Turnerbund Wiesbaden, wo er jetzt noch Mitglied ist, amtierte er vorübergehend sogar als Oberturnwart. Überdies erlebte er 1958 als Teenager in München erstmals die Fest-Atmosphäre und war als Geräteturner 1983 in Frankfurt am Main, 1987 in Berlin und 1990 in Dortmund/Bochum in seiner Altersklasse stets einer der Besten. "Ich bin allerdings nur ein Sammler und kein Historiker", betont Günter Herber. Trotz seiner Raritäten fühlt er sich in Sachen Sport- und Turnfestgeschichte keineswegs als Experte. Diesen Anspruch will er den Spezialisten überlassen.

Seinen Lieblingspart sieht er darin, den Wissenschaftlern bei Bedarf zur Hand zu gehen und einen Teil seiner Schätze gegebenenfalls einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. "Einen solchen Mann zu finden, ist für jemanden, der Ausstellungen zur Geschichte des Turnens und der Turnfeste oder zur Historie des deutschen Sports macht, ein wahrer Glücksfall. Was seine Exponate und Bestände angeht, kann selbst das umfangreiche Archiv des Deutschen Turner-Bundes nicht mithalten ", berichtet Thomas Bauer. Der Historiker plant mit Hilfe von Leihgaben aus dem "Hause Herber" und einiger ergänzender Stücke aus dem Bestand des Historischen Museums und des Instituts für Stadtgeschichte Frankfurt eine Schau, die in der Zeit des Sportfestes Ende Mai/ Anfang Juni in der Paulskirche zu sehen sein wird. Im Mittelpunkt werden dabei die bisherigen vier großen Feste in der Main-Metropole stehen. Hier war man zuvor bereits 1880, 1908, 1948 und 1983 Gastgeber. "In der Vorbereitung einer solchen Ausstellung auf einen wie Günter Herber zu stoßen, der seine Sammler-Stücke bereitwillig zur Verfügung stellt, das ist für einen Ausstellungsmacher ein Sechser im Lotto", freut sich Bauer. Begeistert ist er zum Beispiel von den ungewöhnlich gut erhaltenen Original-Siegerkränzen aus dem Jahr 1948. "So etwas findet man ganz selten. Normalweise zerbröseln diese Kränze und sind kaum über die Zeit zu retten. Das sind schon sehr ungewöhnliche und sehr seltene Stücke."


Dauerleihgabe-Offerte an den Deutschen-Turner-Bund

Parallel zur Schau, die auf Frankfurter Geschichte begrenzt ist, wird es im Mai und Juni 2009 zwei Monate lang eine größere Ausstellung im Dreieich-Museum in Dreieichenhain geben. Bei dieser Gelegenheit bekommt Günter Herber die Chance, die Resultate seiner Leidenschaft ausführlich vorzustellen. Dort wird der Besucher auch ungewöhnliche Objekte bestaunen können wie das aus dem Jahr 1913 stammende Hinweisschild, das die Turnfest-Teilnehmer vor den Prostituierten im Leipziger Stadtgebiet warnt. Schon jetzt ist Herber vollauf mit der Konzeption und Vorbereitung beschäftigt. Sein größter Wunsch ist, die im Laufe von mehr als 20 Jahren zusammengetragenen Sammlerstücke einmal dauerhaft an einem besonders würdigen Platz zu präsentieren. Wo diese großen Glas-Vitrinen später einmal stehen könnten, hat er sich schon gut überlegt - im künftigen Domizil des Deutschen Turner-Bundes (DTB), das gerade in der OttoFleck-Schneise in Frankfurt am Main entsteht.

Im Foyer des Neubaus würden sich die seltenen, in mühsamer Katalog- und Kleinarbeit herbei geschafften Stücke bestens ausnehmen. Außerdem könnten sich auf diese Weise die Besucher an der wertvollen Dauerleihgabe erfreuen. Allein für manch einen der prächtigen Turnfest-Krüge musste der Liebhaber mitunter bis zu 2.000 Euro berappen. "Ich hoffe", sagt Herber, "dass der Verband die Idee aufgreift und auf diese Weise etwas tut, um die großen Traditionen der deutschen Turnbewegung hochzuhalten. Mein Angebot wäre eine Dauer-Leihgabe."

Sagte es und ist schon wieder auf der Pirsch nach neuen Steinchen für sein großes Mosaik. Die jüngsten Errungenschaften sind ein Spitzentüchlein von 1880 und ein Kissen von 1913. Beides sei "gerade rein gekommen", erzählt Herber und streichelt zärtlich über den alten Stoff. Flohmärkte grast er, im Unterschied zu den 90er Jahren, jetzt nur noch in Ausnahmefällen ab. Längst hat der Sammler über seine ungezählten privaten Kontakte hinaus die modernen Kommunikationsmittel für sich entdeckt. Er nimmt an Internet-Auktionen teil und schickt auch schon mal ein Fax mit einem Gebot für eine Versteigerung in den USA. Wenn er von einem der Uralt-Krüge spricht, der im Nachbarort Erbenheim steht und der ihm noch in seiner Sammlung fehlt, dann blitzt es in Günter Herbers Augen. "Ich bin kein Historiker, ich bin ein Jäger", skizziert er sein Credo. "Ich möchte die Geschichte der Turnbewegung und ihrer Feste gern anhand von Gegenständen dokumentieren und auf diese Weise der Nachwelt ein anschauliches Bild davon vermitteln."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 16 / 14. April 2009, S. 19-20
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2009