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BERICHT/600: Ausstellung "Vergessene Rekorde" - die Latte liegt immer noch auf 1,62 m (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 27 / 30. Juni 2009


Vergessene Rekorde - die Latte liegt immer noch auf 1,62 m
Interessante Ausstellung in Berlin über drei erfolgreiche jüdische Top-Athletinnen

Von Hansjürgen Wille


Mit der Ausstellung "Vergessene Rekorde" wurde im Centrum Judaicum der Neuen Synagoge Berlins ein Teilaspekt des reichhaltigen Kulturprogramms anlässlich der Leichtathletik-Weltmeisterschaft der Öffentlichkeit vorgestellt. Die von den Medien viel beachtete Präsentation gedenkt jene drei jüdische Frauen, die allesamt sportliche Ausnahmeerscheinungen während der Weimarer Republik waren und später von den Nazis verfolgt, verdammt, gedemütigt und in voreiligem Gehorsam gegenüber der braunen Machtherrschaft von ihren Vereinen ausgeschlossen wurden. Dabei handelt es sich um die beiden Berlinerinnen Lilli Henoch (BSC), die 1942 während der Deportation nach Riga ermordet wurde, Marta Jacob (SC Charlottenburg) sowie Gretel Bergmann (Schild Stuttgart), die heute 95-jährig in New York lebt. Wegen ihres hohen Alters verzichtete sie aus verständlichem Grund auf eine Reise in die deutsche Hauptstadt, wünschte jedoch der Bild- und Wortdokumentation, die von den drei Potsdamer Wissenschaftlern Prof. Dr. Hans-Joachim Teichler, Berno Bahro und Dr. Jutta Braun zusammengestellt wurde, viel Erfolg und Aufmerksamkeit.

Gerade an Bergmanns Beispiel lässt sich die gesamte Problematik der damaligen Zeit nachvollziehen. Sie, die einst ihre Karriere im schwäbischen Laupheim begann, anschließend zum FV Ulm wechselte und als eine der besten deutschen Hochspringerinnen galt, musste 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft den Verein verlassen und ging nach London, wo sie ein Jahr später die britische Meisterschaft mit 1,55 m gewann. Die Nazis, inzwischen auf die guten Leistungen aufmerksam geworden, drohten ihrer in Deutschland verbliebenen Familie (der Vater war Fabrikbesitzer) offen mit Repressalien und verlangten eine Rückkehr, um im Hinblick auf Olympia als weltoffenes, tolerantes Land dazustehen. Die Athletin tat wie ihr geheißen, allerdings widerwillig. Sie stellte mit 1,60 m auch den deutschen Rekord ein, jener Höhe, mit der übrigens die Medaillen in Berlin weggingen. Kurz vor Beginn der Spiele wurde ihr allerdings die Startberechtigung mit der fadenscheinigen Begründung entzogen, "dass ihr Leistungsstand nicht ausreichend sei.". Die Furcht vor dem Sieg einer Jüdin war den Verantwortlichen wohl doch zu groß.

Tief enttäuscht flüchtete Gretel Bergmann 1937 in die USA, heiratete dort den Arzt Dr. Bruno Lambert, nahm dessen Namen an und schwor sich, "nie wieder ein Wort Deutsch zu sprechen. Vor genau zehn Jahren bekam die hochbetagte Dame, die jetzt Margaret Lambert heißt, den Georg von Opel-Preis "Unvergessene Meister" verliehen und war ein letztes Mal in Deutschland. "Unser Ansinnen war es, nicht nur die Opferrolle der jüdischen Sportlerinnen darzustellen, sondern auch das Aufblühen der Frauen-Leichtathletik in den zwanziger und dreißiger Jahren zu beleuchten, die untrennbar mit diesen drei Namen verbunden ist", erklärte Teichler, der zu der Ausstellung auch einen 200-seitigen Begleitband herausgab, in dem die einzelnen Stationen und Schicksale von Lilli Henoch, der zehnfachen Deutsche Meisterin (Kugel, Diskus, Weitsprung und Staffel), der Speerwerferin Martha Jacob sowie Gretel Bergmann festgehalten sind.

Genau beschrieben wird natürlich die Zeit vor den Olympischen Spielen, als die Nazis vor der Weltöffentlichkeit gewisse Zugeständnisse machten, die Jahre bis zur Progromnacht 1938 und auch danach, als sich jüdische Sportler und Sportlerinnen in rein-jüdischen Vereinen noch betätigen konnten, ehe auch diese Klubs auf Befehl von oben gänzlich aufgelöst wurden.

In einem Vorwort schreibt Dr. Clemens Prokop, der DLV-Präsident: "Ich begrüße die Ausstellung, die an das Schicksal dreier jüdischer Leichtathletinnen erinnert, die Deutschland international vertreten haben und im Falle von Gretel Bergmann dies gern getan hätte... Es freut mich vor allem, dass heute alle drei Heimatvereine sich ihrer Vergangenheit stellen und in geeigneter Form an ihre Aushängeschilder erinnern. Die deutsche Leichtathletik ist gut beraten, die Lehren zu ziehen und allen rassistischen Tendenzen vorzubeugen."

Dr. Herrmann Simon, der Direktor des Centrum Judaicum freute sich ebenfalls über die Ausstellung. "Die Neue Synagoge wird jährlich von hunderttausend Menschen besucht, ich hoffe, dass viele auch einen Blick in den ehemaligen Repräsentationssaal der Jüdischen Gemeinde werfen, um sich einen Eindruck von der damaligen Zeit zu verschaffen."

Neben vielen informativen Bildtafeln ist auch die Original-Hochsprunganlage von 1936 im Berliner Olympiastadion zu sehen. Auf den uralten Ständern liegt die Latte nach wie vor auf 1,62 m, jener Höhe, die für den notwendig gewordenen Stichkampf aufgelegt werden musste (da es die Fehlversuchsregel noch nicht gab) und nur von der Ungarin Ibolya Csak gemeistert wurde, während die Engländerin Dorothy Odum und Elfriede Kaun aus Deutschland daran scheiterten und mit ihren überquerten 1,60 m in die Medaillenwertung kamen.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 27 / 30. Juni 2009, S. 29
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009