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BERICHT/604: Doping - Erkenntnisse, die nachdenklich stimmen müssen... (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 29 / 14. Juli 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Erkenntnisse, die nachdenklich stimmen müssen...
Dopingbekämpfung - im geistes- und naturwissenschaftlichen Verbund betrachtet
ein Workshop in Berlin

Von Bernd Röder


Unter der Themenstellung "Eine neue Kontrollkultur in der Dopingbekämpfung? Zum Diskurs über verpflichtende Bluttests aus natur-, rechts- und naturwissenschaftlicher Sicht" fand am 9. Juli 2009 auf Einladung des Sportwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin ein Workshop statt. Dieser war Teil des Verbundprojekts "Translating Doping - Doping übersetzen" und bezweckte, am exemplarischen Fall der Dopingproblematik aus inter- und transdisziplinärer Perspektive die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit und gesellschaftliche Bedeutung der spezifischen Übersetzungskompetenz der Wissenschaften aufzuzeigen und einzubringen. Unter Leitung von Prof. Dr. Elk Franke (HU) referierten und diskutierten Prof. Dr. Giselher Spitzer, der Arzt und Endokrinologe der Charité Prof. Dr. med. Christian Strasburger, der Strafrechtler Prof. Dr. Martin Heger (HU), der Anthropologe, Sprach- und Sozialphilosoph Prof. Dr. Gunter Gebauer (FU) und wissenschaftliche Mitarbeiter der HU. Der Workshop gliederte sich in drei Themenblöcke: (1) "Geht das? Naturwissenschaftliche Voraussetzungen", (2) "Dürfen wir das? Juristische Begründung" und (3) "Sollen wir das? Sportethische Rechtfertigung" nebst Diskussionsrunde und Ausblick.

Ausgehend von den medizinischen Auswirkungen von Doping im Organismus und den Arten von Dopingsubstanzen wurde die Aussagekraft von Urin- und Bluttests und die Bedeutung für den Sport dargestellt. Im Gegensatz zu Bluttests haben sich Urintests als durchaus manipulationsfähig erwiesen, da sowohl der Vorgang der Urinabgabe wie auch die Unbrauchbarmachung der abgegebenen Urinprobe faktisch nicht ausgeschlossen werden können. Entsprechende Manipulationen sind bei Blutabnahmen, die nur per Injektion oder Kanüle erfolgen können, von vornherein ausgeschlossen. Zur Frage der Akzeptanz von Doping und der Risikobereitschaft von Athleten schilderte Prof. Strasburger das Ergebnis einer Umfrage aus 1995: Unter der Prämisse, in den kommenden fünf Jahren unbemerkt dopen zu können und dass gewährleistet sei, in dieser Zeit hierdurch jeden Wettkampf gewinnen zu können, hatten immerhin 195 von 200 befragten Athleten eingeräumt, die Einnahme von Dopingmitteln in Erwägung zu ziehen. In einer zweiten Frage, die mit dem zusätzlichen Hinweis versehen war, dass nach den fünf Jahren mit Todesfolge infolge Dopings zu rechnen sei, waren immerhin noch 50 Prozent dazu bereit. Dies zeigt die psychologisch-soziologische Komponente der latenten Akzeptanz und Risikobereitschaft von Athleten, sich auf Doping letztlich doch einzulassen.

Prof. Heger erläuterte den (straf-)rechtlichen Maßstab für Blutentnahmen und deren Untersuchung. Blutentnahmen selbst stellen Eingriffe in körperliche Integrität und erfüllen den Tatbestand der Körperverletzung. Diese sind regelmäßig durch entsprechende Einwilligung des Athleten gerechtfertigt. Rechtsgrundlage bildet die Verbandsregelung. Die Weigerung zur Durchführung der Blutentnahme und damit Widerruf der Einwilligung führt zur Sperre. Dass der Athlet zwecks Startberechtigung und Teilnahme an Wettkämpfen 'genötigt' ist, Blutproben zu dulden, erfüllt im Gegenzug nur dann den Straftatbestand der Nötigung, wenn diese das Merkmal der Rechtswidrigkeit erfüllt. Doch weder der Zweck der Nötigung, die Gewährleistung sauberen Sports, noch das Mittel, die Blutprobe selbst, sind per se rechtswidrig. Ebensowenig auch die Relation aus beiden, denn der normative Wille der Athleten ist darauf gerichtet, in einem gerechten, d.h. sauberen, Wettkampf teilzunehmen. Dies gilt selbst für Doper, da sie nach außen hin ihren vermeintlich redlichen Willen zur Teilnahme im fairen Wettkampf kundtun.

Als Sonderthema wurde die Einwilligung des minderjährigen Athleten angesprochen. Da es hier auf die Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen ankommt, kann dieser, soweit er z.B. als 13-Jähriger bereits den Vorgang einer Blutentnahme abschätzen kann, wirksam einwilligen. Auf der anderen Seite wird bei einem 16-Jährigen die Einwilligung allein der Eltern gewiss nicht mehr genügen können. Prof. Heger erörterte weiter die Frage, was mit Blutproben unternommen werden darf. Problematisch ist die namentliche Zuordnung von Proben, die eingefroren nach Jahren zu Forschungszwecken erneut überprüft und deren Ergebnis veröffentlicht wird. Prof. Franke und Prof. Gebauer fragten unter sportethischem Ansatz, ob die Eigenweltlichkeit des Sports Bluttests aus ethischer Sicht rechtfertigen Sicht kann. Herausgestellt wurde zunächst die Besonderheit der Welt des Sports. Dieser wird von konstitutiven sowie regulativen Regeln unterschiedlich bestimmt. Am Beispiel des Fußballsports: Handspiel - konstitutive Regel, Größe des Tores oder Abseitsregel - regulative Regeln. Die dauernde Verletzung konstitutiver Regeln entstellt die Sportart, nicht hingegen die Missachtung regulativer Regeln.

Interessant ist die Gegenüberstellung zur Alltagswelt: Der 400m-Lauf im Stadionrund würde auf der Alltagswelt die Sinnlosigkeit dokumentieren, wenn man der Zielpunkt des Laufs zwangsläufig wieder zum Startpunkt führt. Oder die unterschiedliche Bewertung von willentlichem Handeln und bloßem Affekt: Ein Torwart, der vom Gegner provoziert, zurückschlägt, wird im Alltag nachsichtig behandelt, im Fußball erhält er die Rote Karte und muss vom Platz. Der Sport hat sich zum Zwecke seiner Durchführung eigene Regeln geschaffen. Die Teilnehmer der Sportart teilen das gemeinsame Regelverständnis, das nicht kongruent zum Regelverständnis der Alltagswelt ist. Dies gilt ebenso für das Erfordernis der Gewährleistung der Regeln des Sports, zu denen die Fairness und der Kampf gegen das Doping zählen. Aufgezeigt wurde weiter die Frage der Wettkampfethik als Handlungsethik oder Vertragsethik, d.h. in Form der Regelakzeptanz als Sozialvertrag, sowie Doping im Spiegel individueller Handlungsmoral und konstitutiver Gefährdung der Wettkampfwelt.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 29 / 14. Juli 2009, S. 18
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2009