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BERICHT/655: Neue Trainingsmethoden für Fechter - Mit Adleraugen und mentaler Stärke zum Erfolg (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 28 / 13. Juli 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Mit Adleraugen und mentaler Stärke zum Erfolg

Der Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim präsentiert neue Trainingsmethoden für Fechter


Sekundenbruchteile und Weitenvorsprünge unterhalb der Millimetergrenze entscheiden im Spitzensport schon lange über Sieg oder Niederlage. Neben Konditions- und Krafttraining sowie den sportartspezifischen Übungen haben Experten inzwischen auch die positiven Auswirkungen der optimalen Sehfunktion und eines strukturierten mentalen Trainings, im allgemeinen Sprachgebrauch als Stressmanagement bezeichnet, erkannt und Methoden entwickelt, von denen die Sportlerinnen und Sportler bei erfolgreicher Anwendung profitieren können. In der Fachsprache "talkingeyes sports (Perceptual Learning)" und "relax do - Medizinisches Stressmanagement" genannt, werden beide Methoden jetzt im Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim in einem ersten Schritt bei einem Programm für die Damenflorett-Nationalmannschaft eingesetzt.

Zur Vorstellung und Erläuterung waren Professor Dr. Georg Michelson (Interdisziplinäres Zentrum für augenheilkundliche Präventivmedizin und Imaging der Universität Erlangen-Nürnberg), Dr. Martin Laser (Praxis für Kardiologie, Stressmanagement und Prävention in Nürnberg), Matthias Bär (Unternehmensberater, Taekwondo-Trainer) und Young-Sun Cho (Physiotherapeut und Taekwondo-Meister) in das Fechtzentrum an der Tauber gekommen. Für den Deutschen Fechter-Bund nahm Florett-Fachbereichstrainer Jochen Behr an dieser Veranstaltung teil, die Gastgeber vertraten Diplom-Psychologin Silvia Amend und Matthias Behr.

"Es kommt auf das schnelle und konsequente Erkennen an, diese Fähigkeit kann man trainieren", sagte Professor Michelson. Allerdings hänge die Sehfähigkeit auch vom Grad der Entspannung abhänge. Er und Martin Laser erklärten zu diesem "neuen, weltweit einzigartigen Trainingskonzept auf neuronaler und mentaler Ebene", dass eine optimale Sehfunktion, technische Perfektion und mentale Stärke die entscheidenden Voraussetzungen für den Erfolg im Leistungssport seien. Gerade in Kampfsportarten wie dem Fechten komme es auf eine optimale Signalverarbeitung über das Auge, gefolgt von einer technisch perfekten Reaktion, basierend auf einer ausgewogenen Verfassung an.

"Gerade aber die Sehfunktion sowie die mentale Verfassung, die wiederum die Sehfunktion beeinflusst, werden bislang im Leistungssport kaum trainiert," betonten die Experten. Die talkingeyes GmbH in Kooperation mit der Universität Erlangen-Nürnberg und "relax do" unter der Leitung von Laser hätten es sich mit Matthias Bär und Young-Sun Cho zur Aufgabe gemacht, die neuen Möglichkeiten zur Leistungssteigerung im Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim zu etablieren.

Dazu werden einmal zum Anfang spezielle Messungen durchgeführt, dann wird das Kontrastsehen trainiert und der Fortschritt ständig überprüft. Die zweite Komponente mit "relax do" beinhaltet ein strukturiertes mentales Training, bei dem die Weltneuheit "Qiu", eine in der Hand gehaltene Kugel, eingesetzt wird, die es möglich macht, den Stressstatus online mit einem Pulssensor zu messen.

Zu diesem in Deutschland noch neuen, in Amerika, Kanada oder Australien schon länger bekannten Seh- oder Visualtraining hat die südafrikanische Hockeyspielerin Sherylle Calder geführt: "Ihr fiel," darüber berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Anfang Juni, "eines Tages auf, dass sie den Ball immer ein bisschen früher sah als andere. Auch wenn es nur Sekundenbruchteile waren, es verschaffte ihr Vorteile auf dem Hockeyfeld." Sie habe selbst nicht gewusst, warum sie schneller gewesen sei, "aber sie begann, sich für den Zusammenhang zwischen visueller und sportlicher Leistung zu interessieren - es sollte ihr Lebensthema werden."

Schließlich beschäftigte sie sich auch in ihrer Doktorarbeit mit der Möglichkeit, durch das gezielte Trainieren der Augenmuskulatur die Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. Den heutigen Stand dieser Forschungen können jetzt die deutschen Damenflorett-Spitzenfechterinnen in Anspruch nehmen.

Professor Michelson und Laser, der selbst aktiver Herrenflorett-Kaderfechter in Tauberbischofsheim war, sind mit ihrem Team zu dem Ergebnis gekommen, dass durch gezieltes visuelles Training das Erkennen von kritischen Situationen schneller und besser funktioniert. "Bei vielen Sportarten, darunter auch Fechten, ist eine überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit der Sehbahn notwendig, um schnell und perfekt reagieren zu können", stellen sie heraus. "Speziell die Sportart Fechten benötigt sehr gutes Sehen im Sehzentrum und im peripheren Gesichtsfeld. Das schnelle und perfekte Erkennen von feinsten Bewegungen des Gegners ermöglicht bereits, den Ansatz eines Angriffs im Fechtduell zu erkennen und Ausweichbewegungen zu starten."

Der Fachmann formuliert die Vorgehensweise so: "Talkingeyes koppelt die Ergebnisse der retinalen Gefäßuntersuchung mit den Ergebnissen des peripheren Bewegungssehens und der zentralen Kontrastsehfähigkeit. Mit dieser Kombination aus Funktion und Morphologie kann man einerseits überdurchschnittliche Leistungsfähigkeiten der Sehbahn oder - nun frühzeitiger als bisher - erste Veränderungen der Mikrozirkulation und der neuronalen Sehfunktion erkennen und behandeln und bei den Sportlern trainieren."

Das damit bei diesem neuen Programm einhergehende Stressmanagement basiert auf einem strukturierten mentalen Training im Leistungssport. Grundlage ist eine Ausgangsbestimmung des Stresspegels, gemessen an dem Verhältnis von Sympathikusanteil (Stress) und Parasympathikus (Entspannung) des autonomen Nervensystems. "Nur in einem ausgewogenen Verhältnis ist eine optimale motorische und mentale Leistungsfähigkeit möglich", erklärt Laser.

Der "Qiu" biete neben der Erfassung des aktuellen Zustands auch gleich die Möglichkeit zur Übung mittels Biofeedback. "Dadurch lässt sich ein erhöhter Stresspegel durch Aktivierung des Parasympathikus mit Hilfe von Atem- und Mentaltechniken sichtbar reduzieren. Die Kugel schlägt von einer roten Farbe (Stress) in eine grüne Farbe (ausgeglichener Zustand) um. Mit diesem Programm können den Sportlerinnen und Sportlern die spezifischen Mental- und Atemtechniken vermittelt werden, die im Bereich der asiatischen Kampfsportarten lange Tradition haben und bis heute im Taekwondo-Sport gepflegt werden."

Michelson und Laser kommen zu dem Schluss, "dass gerade im Hinblick auf die Olympiade 2012 eine Verbesserung der Sehfähigkeit sehr wünschenswert wären. Beides könnte einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil für die deutschen Fechterinnen und Fechter bei technisch kaum noch zu verbesserndem Niveau bringen." Eine Anlage zum Sehtraining sowie die Ausstattung für den Damenflorett-Kader um Bundestrainer Lajos Somodi zum Biofeedback-Training sind im Olympiastützpunkt Tauberbischofsheim vorhanden.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 28 / 13. Juli 2010, S. 21
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2010