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BERICHT/657: Doping - Leistungssport in der Krise (spektrum/Uni Bayreuth)


spektrum 1/2010 - Universität Bayreuth

WEGE AUS DER KRISE
Leistungssport in der Krise
Ist das Dopingproblem zu lösen?

Von Walter Schmidt


In den letzten Jahren sind Leistungsmanipulationen zu dem größten und einem durchaus existenzbedrohenden Problem des Leistungssports geworden. Zunehmende Berichte bewirken, dass das öffentliche Interesse an von Doping betroffenen Sportarten abnimmt, eine negative Spirale in Gang gesetzt wird und die Sportart Gefahr läuft, aus dem öffentlichen Leben zu verschwinden.


Generell lässt sich ein vollständig manipulationsfreier Sport niemals erreichen; es muss jedoch dahingehend differenziert werden, ob der Betrug von einzelnen Athleten durchgeführt wird und von der Mehrheit der Konkurrenten abgelehnt sowie von höherer Stelle verfolgt und sanktioniert wird, oder ob die Manipulation im System verankert ist und Voraussetzung dafür ist, an Spitzenveranstaltungen überhaupt teilnehmen zu können.

Wenn man sich die Rekord- und Leistungslisten in den Kraft- und Schnellkraftdisziplinen, wie z.B. in den leichtathletischen Wurfdisziplinen der Frauen, anschaut, findet man einen kontinuierlichen Anstieg der Leistungen mit einer Plateaubildung bis Anfang der 70ger Jahre, nach denen dann ein zweiter Schub offensichtlich wird, der erst Ende der 80ger Jahre wieder abflacht. Seit der politischen Wende mit dem Fall der Mauer sind die internationalen Spitzenleistungen in diesen Disziplinen drastisch zurückgegangen. Eine deutsche Athletin, die heutzutage die Goldmedaille im Kugelstoßen gewinnen würde, hätte sich mit dieser Weite kaum für die Olympischen Spiele von 1980 bis 1988 qualifizieren können. Athletinnen, die damals unter Dopingeinfluss teilnahmen, sich aber nicht unter den Medaillengewinnern wiederfanden, wurden auch von westdeutschen Boulevardzeitungen als Olympiatouristen verspottet. Es steht mittlerweile fest, dass in allen Kraft- und Schnellkraftdisziplinen zwischen 1970 und 1990 nahezu alle internationalen Spitzenleistungen nur unter Dopingeinfluss erbracht werden konnten, was von staatlicher Seite entweder gefördert oder zumindest wohlwollend geduldet wurde.

Mit der politischen Wende und den verbesserten Nachweismethoden für anabole Steroide (Muskelaufbauende Präparate) und, was entscheidend war, dem Willen diese Methoden auch sinnvoll einzusetzen, konnte der Einfluss dieser Substanzen insbesondere bei den Frauen zurückgedrängt werden, so dass die heutigen Spitzenleistungen, z.B. in den leichtathletischen Wurfdisziplinen, gegenüber denen von 1988 um 10-20% geringer sind. Zeitgleich mit dem sich verringerndem direkten politischen Einfluss nahm jedoch der ökonomische Einfluss in den publikumsträchtigen Sportarten kontinuierlich zu. Dabei zeigt sich in wissenschaftlichen spieltheoretischen Ansätzen, dass ein Athlet mit großer Wahrscheinlichkeit manipulieren wird, wenn das Ziel lohnend und das Risiko gering ist. Beispiele sind hier die Sprintdisziplinen der Männer und Frauen, bei denen ausgesprochen hohe Profite locken. Ganze Teilnehmerfelder von erwachsenen Männern mit Zahnspangen, die getragen wurden, da aufgrund von Wachstumshormonmissbrauch das Zahnfleisch wucherte und sich die Zahnstellung veränderte, zeugen von der Dopingmentalität. Mittlerweile sind fast alle 100m-Weltmeister und Olympiasieger der vergangenen 30 Jahre des Dopings überführt oder sie werden mit Doping in Verbindung gebracht.

Die aktuellen Probleme erwachsen insbesondere aus dem Ausdauersport, der bis in die 90ger Jahre noch häufig als rein und asketisch angesehen wurde. Doch schon in den frühen Jahren war der Radsport wegen seiner immens hohen Beanspruchung äußerst dopinggefährdet. In den 90ger Jahren wurde hier von fast allen Fahrern manipuliert und diejenigen, die nicht dopten, hatten (und haben wahrscheinlich auch heute) noch keine Gewinnchance. Ein sehr ähnliches Bild zeigte sich auch in den anderen großen Ausdauerdisziplinen, wie dem Skilanglauf und der Leichtathletik, in denen schubweise ganze Nationen (Finnland im Skisport, Russland in der Leichtathletik) ihre internationalen Starter wegen Dopingmissbrauchs verloren.

All diese Dopingpraktiken waren von gravierenden gesundheitlichen Gefährdungen mit Todesfolge begleitet. Beispielhaft seinen nur 17 Todesfälle im Radsport aus dem Jahr 1989 allein in Belgien und den Niederlanden genannt, die mit größter Wahrscheinlichkeit auf Erythropoietin (EPO)-Missbrauch zurückzuführen sind.

In den letzten 30 Jahren wurde daher sehr engagiert die Frage diskutiert, ob nicht durch eine Legalisierung alle Probleme mit einem Schlag gelöst werden könnten. In diesem Fall wäre Chancengleichheit für alle dopenden Athleten hergestellt, die Kriminalisierung ganzer Disziplinen entfiele und eine offizielle medizinische Überwachung der Medikamenteneinnahme würde eine Überdosierung verhindern und damit das Gesundheitsrisiko stark vermindern. Dem muss allerdings entgegen gehalten werden, dass keine natürliche Chancengleichheit mehr bestünde, da die Ansprechbarkeit auf Medikamente nun leistungsbestimmend wären. Es würde eine zwangsläufige Freigabe im Freizeit- und Jugendsport erfolgen, da dort ansonsten ja wieder Kontrollen eingeführt werden müssten; ebenso gäbe es eine flächendeckende Gesundheitsgefährdung, da im Amateurbereich keine ausreichende ärztliche Überwachung erfolgen würde. Auch müsste jegliche staatliche Förderung entfallen, da eine Unterstützung Gesundheitsgefährdender Praktiken ethisch nicht vertretbar wäre. Auch das Modell, das eine Zweiteilung in einen Schausport, in dem Doping freigegeben wäre, und einen Freizeit- und Nachwuchssport vorsieht, in dem weiter kontrolliert wird, kann das Problem in keiner Weise lösen.

Sport und Doping sind zwei polare Gegensätze, die sich in einer ethisch verantwortlichen Gesellschaft gegenseitig ausschließen. Wenn der Leistungssport daher auf Dauer überleben will, muss jegliche Manipulation wirkungsvoll bekämpft werden. Voraussetzung dafür ist zunächst eine internationale Struktur, die es ermöglicht, weltweit gleiche Maßstäbe bei der Bekämpfung der Manipulationen anzulegen und so den häufig vorliegenden Einfluss nationaler (z.B. vom Staat verordnetes Doping in der DDR) und verbandseigener Interessen zu eliminieren. Mit der Schaffung der World-Anti-Doping-Agency (WADA) ist eine entscheidende übergreifende Struktur geschaffen worden, die allerdings bereits wieder von nationalen Interessen gefährdet wird.

Inhaltlich müssen Anti-Dopingbestimmungen homogenisiert werden; es darf nicht sein, dass fast jede Ausdauerdisziplin eigene Grenzwerte für Blutgrößen besitzt, die sich deutlich von einander unterscheiden. Hier ist die WADA gefordert, einheitliche Richtwerte zu schaffen. Hinsichtlich der Nachweismethoden haben sich in den letzten Jahren deutliche Fortschritte ergeben. Nahezu alle bis in die 90ger Jahre weit verbreiteten Substanzen können im Urin oder im Blut des Athleten nachgewiesen werden. Allerdings befindet sich eine große Anzahl von neuen Medikamenten in der Pipeline der Pharmaunternehmen, die in der Regel schon vor der Marktzulassung in Sportlerkreisen gehandelt werden. Dies zeigt sich daran, dass sobald ein neuer Test angewandt wird, sofort wieder einige Athleten entlarvt werden (z.B. Stefan Schumacher und Bernhard Kohl mit CERA bei der Tour de France 2008).

Dennoch kann allein mit den direkten Methoden das moderne Doping nicht effektiv eingedämmt werden. Allein im Bereich der Blutbildung werden in den nächsten zwei Jahren über 150 neue Präparate auf dem Markt erwartet, so dass innovative, indirekte Nachweiskonzepte entwickelt werden. Anstatt zu versuchen, das benutzte Präparat direkt im Körper aufzuspüren, wird nun zusätzlich der Effekt der Manipulation aufgedeckt. Dabei wird die individuelle Veränderung einer oder mehrerer Blutgrößen mit dem Profil einer nicht gedopten Referenzgruppe verglichen und mittels statistischer Verfahren die Wahrscheinlichkeit einer Manipulation berechnet. Zu diesem Verfahren haben wir in Bayreuth einen wichtigen Beitrag geleistet: Durch die Entwicklung einer Messmethode zur Bestimmung der gesamten Hämoglobinmenge eines Menschen ist es möglich, die eigentliche Zielgröße einer jeglichen Blutmanipulation effektiv zu kontrollieren und so Manipulationen sichtbar zu machen.

Dieses System setzt jedoch engmaschige Kontrollen voraus. Schon jetzt muss ein Spitzensportler 3 Monate im Voraus jeden Tag eine Stunde benennen, zu der er an einem bestimmten Ort für Tests erreichbar ist. Und viele Radsportler werden schon heute (inklusive der teaminternen Programme) 30-40 mal pro Jahr getestet, wobei ihnen jeweils Blut- und Urinproben entnommen werden. Es ist abzusehen, dass viele Athleten dieses Procedere ablehnen werden und den Leistungssport quittieren.

Ein weiterer Eckpfeiler der Dopingbekämpfung liegt in der Prävention durch Aufklärung des Athleten, beginnend im Kindes- und Jugendalter. Aber auch diese Maßnahme kann nur greifen, wenn international gleiche Maßstäbe angewandt werden.

Ein großes Problem liegt in der internationalen Vernetzung der Dopingringe. Dabei sind sowohl die Produktion als auch der Vertrieb der Dopingsubstanzen in einem weltweitem Umfang von ∼20 Milliarden EUR unter den verschiedenen Mafiaorganisationen der Welt aufgeteilt. Und auch die Versorgung der Sportler selbst erfolgt häufig durch hoch spezialisierte Netzwerke von Experten, wie die Aufdeckung der Gruppe um Dr. Fuentes mit über 50 Klienten zeigt. Beide Arten von Netzwerken können nur mit international abgestimmten Rechtsmitteln bekämpft werden, wobei nationale "Interessen", wie dies beim Fuentes-Skandal der Fall ist, keine Rolle spielen dürfen.

Es stellt sich somit die Frage, wie die Zukunft des Leistungssports aussehen wird. Um das Übel an den Wurzeln zu greifen, müsste dem Dopingverseuchten professionellen Sport die Basis, d.h. das Geld entzogen werden, was über das Desinteresse des Publikums und nachfolgend der Sponsoren erreicht werden kann. Heute zeigt, zumindest auf nationaler Ebene, die rückläufige Entwicklung im Radsport genau in diese Richtung. Sportarten, die sich selbst nicht reinigen können, sollten aus jeder öffentlichen Förderung herausfallen und aus der Liste der olympischen Sportarten mit allen Konsequenzen gestrichen werden, so dass sie in der Öffentlichkeit nicht mehr stattfinden.

Dadurch würde der Sport selbst in keinster Weise seine Bedeutung einbüßen. Diese ist in seinem Einfluss insbesondere auf die Gesundheit bestens dokumentiert, so dass sportliche Aktivitäten mehr und mehr das Leben eines jeden Einzelnen prägen. Der Wegfall der von Doping verseuchten Sportarten kann gut verkraftet werden. Die Olympischen Spiele sind schon einmal ausgestorben, es bleibt zu hoffen, dass dies nicht ein zweites Mal geschieht.


Professor Dr. Walter Schmidt lehrt an der Universität Bayreuth Sportmedizin und Sportphysiologie.


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Quelle:
spektrum 1/2010, S. 25-27
Herausgeber: Der Präsident der Universität Bayreuth
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"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2010