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BERICHT/666: Rede von Thomas Bach - "Der Sport ist angekommen am neuen Ufer seiner Einheit" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 49 / 7. Dezember 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Der Sport ist angekommen am neuen Ufer seiner Einheit"

Rede des DOSB-Präsidenten Thomas Bach bei der 6. Mitgliederversammlung in München


Anlässlich der 6. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) am 4. Dezember 2010 in München, die ihn mit großer Mehrheit in seinem Amt bestätigte, hielt DOSB-Präsident Thomas Bach die folgende Rede:


Wir wollen den Wert des Sports mit seinen Werten steigern. Mit diesem Satz sind wir vor vier Jahren bei der Gründung des DOSB in der geschichtsträchtigen Paulskirche zu Frankfurt angetreten. Am Ende der Amtszeit dieses ersten Präsidiums des DOSB ist Gelegenheit, über die Entwicklung der Werte und des Wertes des Sports in unserer Gesellschaft nachzudenken.

Dabei wird es dem einen so vorkommen als seien erst vier kurze Jahre vergangen, dem anderen, als handele es sich um eine kleine Ewigkeit. Lassen wir uns dadurch nicht beirren. Denn schon Albert Einstein hat festgestellt: "Der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eine Illusion, wenn auch eine sehr hartnäckige."

So sind wir in diesen vier Jahren von vielen Problemen und Themen der Vergangenheit eingeholt worden, haben uns Herausforderungen und Zeitgeist der Gegenwart gestellt, haben in dieser Gegenwart aufbauend auf Erfahrung der Vergangenheit Weichen für die Fahrt in die Zukunft gestellt.

Dies hat zu manchem schwierigen Diskurs im Sport und in der Öffentlichkeit geführt. Wir haben klare Positionen bezogen bei vielen kontroversen Themen, so zum Beispiel im Kampf gegen Doping und jede Art der Manipulation des Sports, Olympische Spiele und Politik, Finanzierung des Sports, sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Wir werden in der öffentlichen Diskussion dieser und vieler anderer Themen wahrgenommen und ernst genommen als die Stimme des deutschen Sports mit seinen knapp 28 Millionen Mitgliedschaften.

Damit hat der Sport in Deutschland seine Reform- und Zukunftsfähigkeit unter Beweis gestellt. Wir haben uns nicht dem oftmals beklagten "Zukunftsdefätismus" unserer Gesellschaft hingegeben und wir haben auch nicht mehr die Schlachten der Vergangenheit geschlagen, die längst geschlagen sind.

Mit dieser Haltung sind wir in Gesellschaft und Politik unseres Landes angekommen. Wir werden unserer gesellschaftspolitischen Verantwortung gerecht. Diese Verantwortung ist umso größer, als die Rolle und Vorbildwirkung des Sports in der Gesellschaft wohl seit dem antiken Griechenland nie mehr so bedeutend war wie heute. So bescheinigt Peter Sloterdijk dem Sport einen "Siegeszug" sondergleichen und schreibt ihm eine "überragende geistesgeschichtliche, besser: ethik- und askesegeschichtliche Bedeutung" zu. So sei der Sport zur "Metapher der Leistung überhaupt" geworden. Diese intensive Befassung mit dem Sport durch Philosophen, Wissenschaftler und Künstler ist ein Zeichen unserer sportlichen Zeit, ebenso wie die Tatsache, dass kaum eine große politische Rede ohne Sprachbilder aus dem Sport auskommt. Dies gibt dem Sport gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten und Verantwortung gleichermaßen. Um beides wahrnehmen zu können, brauchen wir Politikfähigkeit und Durchsetzungskraft.

Bei der Forderung nach der Aufnahme des Sports als Staatsziel in unser Grundgesetz haben wir dabei leider erst ein Etappenziel erreicht. Leider hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus grundsätzlichen, mehr verfassungspuristischen, als verfassungsrechtlichen Gründen dieser von den anderen im Bundestag vertretenen Parteien unterstützten Initiative des DOSB verschlossen. Aber auch sie hat zusammen mit einer überwältigenden Mehrheit des Deutschen Bundestages in einer besonderen Entschließung das Versprechen abgegeben, bei der nächsten Ergänzung der Staatszielbestimmungen, den Sport in das Grundgesetz aufzunehmen.

Wir vertrauen auf diese Zusage und wir versprechen, wir kommen darauf zurück.

In dieser Entschließung heißt es auch: "Der Deutsche Bundestag erkennt die Leistungen des unter dem Dach des DOSB vereinten Sports und der Sportorganisationen an und würdigt insbesondere ihren Beitrag zu Integration, Gesundheit, Bildung, Erziehung, nationaler Repräsentanz und internationaler Verständigung". Wo er Recht hat, hat er Recht - der Deutsche Bundestag. Der DOSB stellt sich diesen Aufgaben. Wir arbeiten mit 13 von 14, wenn ich die Olympiabewerbung München 2018 hinzunehme, mit allen 14 Bundesministerien in verschiedenen Programmen, Aufgaben und Anliegen des Sports zusammen. Die Bundeskanzlerin setzt sich persönlich für wichtige Themen ein. Der Bundespräsident hat unmittelbar nach seiner Wahl die Schirmherrschaft über den DOSB erneuert. Er setzt offensichtlich die von Bundespräsident Horst Köhler begonnene Tradition des jährlichen Meinungsaustausches mit dem Präsidium des DOSB fort und hat für den 15. Dezember zu diesem Gespräch geladen. Es entspricht dabei dem integrativen Führungsgrundsatz dieses DOSB-Präsidiums von "Einheit in Vielfalt", dass wir auch dazu wieder die Vorsitzenden der drei sogenannten Konferenzen oder besser verständlich für unsere Gesprächspartner aus der Politik der drei "Fraktionen" eingeladen haben.

Bei dieser Begegnung wird, wie schon in der Paulskirche 2006 und bei den entsprechenden Gipfelgesprächen mit der Bundeskanzlerin das Thema Integration eine bedeutende Rolle spielen. Bei allen Integrationsgipfeln wurden die Leistungen und Bedeutung des Sports für das Zusammenwachsen und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gewürdigt. Wir haben alle im Nationalen Integrationsplan übernommenen Selbstverpflichtungen in vollem Umfang erfüllt und neue Aktionen eingeleitet.

Der Sport ist der beste Eisbrecher für den Aufbau von Kontakten und Gemeinsamkeiten mit Menschen, die - aus welchem Grunde auch immer - sozial isoliert sind oder sich selbst isolieren. Für viele Menschen sind Sport und vor allen Dingen die Mitgliedschaft im Sportverein der letzte Faden, der sie noch mit der Gesellschaft verbindet. Dieser Faden darf nicht reißen.

Deshalb haben wir mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie der Bundesagentur für Arbeit eine Vereinbarung getroffen und Konzepte entwickelt, wie der Sport sich einbringen kann, bei der Integration in den Arbeitsmarkt und zur Lösung von sozialen Problemen.

Gerade vor wenigen Tagen konnte ich zusammen mit der Bundesarbeitsministerin in Berlin ein weitreichendes Modellprojekt vorstellen. Der DOSB ist der erste zivilgesellschaftliche Partner im Rahmen des neuen Bildungspaketes der Bundesregierung. Nunmehr haben zwei Millionen Kinder und Jugendliche aus "Hartz-IV-Familien" die Möglichkeit, einen Gutschein in Höhe von 120 Euro pro Jahr in unseren Sportvereinen zur Abdeckung von Mitgliedsbeiträgen einzulösen.

Wir ermuntern alle unsere 91.000 Vereine, diese Vereinbarung mit den örtlichen Jobcentern der Bundesanstalt für Arbeit umzusetzen. Wir haben diese gesellschaftliche Vorreiterrolle gerne übernommen. Der Sport ist nämlich das beste Mittel, diese Kinder aus sozialer Isolation zu befreien, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, das kognitive Lernen zu fördern, ihnen soziale Kompetenz zu vermitteln und ihnen gleichzeitig gesunde Lebensfreude zu schenken. Diese Initiative würden wir gerne in den nächsten Jahren neben den anderen Integrationsprogrammen, wie insbesondere "Integration durch Sport" und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Sport, fortsetzen und intensivieren - wenn Sie, meine Damen und Herren, uns durch Ihre Wahl dazu die Gelegenheit geben.

Im Bereich Bildung und Sport liegt aber auch eine der ganz großen Herausforderungen für unsere Vereine. Die Einführung der Ganztagesschule und die gymnasiale Schulzeitverkürzung verändern die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen und damit die Rahmenbedingungen für unsere Sportvereine dramatisch. Diese Entwicklung ist unumkehrbar und erfordert innovative Zusammenarbeit zwischen Schulen und Vereinen. Dabei kann der Sport sein inzwischen allgemein anerkanntes kognitives und soziales Bildungspotenzial einbringen und so zum Bildungserfolg und zur sozialen Kompetenzvermittlung erheblich beitragen. Dazu müssen die Kooperationen von Verein und Schule die Bedürfnisse des Sports ausreichend berücksichtigen. Dies bedeutet die Rücksichtnahme auf die ehrenamtliche Organisation des Sports ebenso wie die Verfügbarkeit von Sportstätten. Jedenfalls muss diese Kooperation und das daraus abgeleitete Sportangebot zusätzlich sein. Eine Anrechnung dieses Vereinssports auf den Schulsport muss verhindert werden, da sie im Ergebnis zu noch weniger Sport und Bewegung von Kindern führen würde. Hier sind wir alle zusammen gefordert: Vereine, Verbände, Landessportbünde, Deutsche Sportjugend, der DOSB insgesamt.

Wir müssen systematisch den Anschluss an die Entwicklung der Bildungsgesellschaft sicherstellen, denn Bildung ist einer der durch den Sport vermittelten wesentlichen Werte. Wie alle unsere Aufgaben werden wir auch diese nur bewerkstelligen können durch den aufopferungsvollen Einsatz unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter, zu denen - auch das darf einmal gesagt werden - wir hier in diesem Saal ganz überwiegend auch gehören. Wir haben im DOSB 8,5 Millionen Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Das sind mehr als je zuvor und macht den DOSB auch in dieser Hinsicht zur größten zivilgesellschaftlichen Organisation in Deutschland.

Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Leistungen des Ehrenamts im Sport von Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft als geradezu selbstverständlich unterstellt werden oder über Diskussionen von Spieler- und Managergehältern in einzelnen Sportarten in Vergessenheit geraten. Daher noch einmal und noch einmal diese Zahlen: 8,5 Millionen Menschen erbringen im deutschen Sport ehrenamtlich jährliche Leistungen im Wert von mindestens 7 Milliarden Euro für das Gelingen unserer Gesellschaft.

Wir müssen aber auch der Tatsache Rechnung tragen, dass nur noch 1,85 Millionen davon bereit sind, ehrenamtliche Funktionen auf Dauer etwa in Vorständen von Vereinen zu übernehmen. Wir sollten deshalb intensiv über neue Organisationsformen ehrenamtlicher Arbeit nachdenken. Wir sollten Wege finden, wie wir einzelne Aufgaben als klar umgrenzte, zeitlich beschränkte Projektarbeit gestalten. Wir sollten noch attraktiver werden für die sogenannten fitten Senioren, dann liegt in der demographischen Entwicklung unseres Landes für den Sport sogar eine Chance. Der größte nicht gehobene Schatz für ehrenamtliche Arbeit im DOSB liegt jedoch bei unseren Frauen. Auch wenn ich mich wiederhole: Wir können es uns weder in Politik, Wirtschaft, Kultur noch im Sport erlauben, auf die Intelligenz und den Einsatz von 50 Prozent unserer Bevölkerung zu verzichten. Wir brauchen mehr weibliche Führungskräfte im Sport. Deshalb hatten wir 2009 zum "Jahr der Frauen im Sport" erklärt. Dieses Jahr war erfolgreich. Aber die unbestechlichen Zahlen zeigen, dass wir unsere Anstrengungen nicht nur fortsetzen, sondern sogar intensivieren müssen. Das DOSB-Präsidium will für den Fall seiner Wahl auch dazu Initiativen vorstellen.

Dabei bin jedenfalls ich mit den meisten jungen Frauen in Parteien und Unternehmen einig, die eine Quote für den falschen Weg halten. Eine Wahl allein aufgrund einer Quote hat auch etwas Diskriminierendes an sich. Wahl und Führungsfähigkeiten sollten aus Qualifikation erwachsen und Anerkennung von Qualitäten, nicht von Geschlecht sein - das gilt im Übrigen für beide Geschlechter. Erforderlich sind ehrenamtliche Angebote, die der besonderen Lebenssituation von Frauen Rechnung tragen. Wichtig sind Ermutigung und Begleitung. Unabdingbar sind Vorbilder. Der DOSB kann heute einen Schritt in diese Richtung gehen. Die Wahlen könnten zu einem Ergebnis führen, dass wir inklusive ständigem Gast einen weiblichen Anteil von 40 Prozent im Präsidium haben. Das wäre hoffentlich Ermutigung und Vorbild für viele Frauen im Sport, sich und ihre Qualitäten noch stärker in die Führungsebenen einzubringen.

Wir wollen seitens des DOSB aber auch weiter drängen auf die Beseitigung von Hindernissen zur ehrenamtlichen Betätigung. Die gesetzliche Begrenzung der Haftung von Vereinsvorständen ist dabei ein erster wichtiger Schritt, aber weitere müssen folgen. Wir werden uns weiterhin für mehr Anreize, Anerkennung und Wertschätzung für dieses Fundament des deutschen Sports einsetzen.

Ob uns dabei die Europäische Union mit ihrem "Jahr der Freiwilligentätigkeit 2011" behilflich sein wird, muss nach dem ersten Jahr des Vertrags von Lissabon stark bezweifelt werden. Der Art. 165 dieses Vertrages sieht vor, dass die europäischen Institutionen den Sport fördern, dabei aber seinen spezifischen Charakter, wie die weitgehend ehrenamtliche Organisation und seinen sozialen Beitrag berücksichtigen sollen. Geschehen ist quantitativ wenig bis nichts und qualitativ eher Kontraproduktives. Der Vorschlag für ein eigenständiges EU-Sportprogramm 2012/2013 wurde wieder zurückgezogen. Das seit Monaten lautstark angekündigte große Sportprogramm 2014 bis 2020 ist nicht in Sicht. Für die Sportentwicklung in 27 Mitgliedsländern der EU mit mehr als 500 Millionen Einwohnern wurden für das Jahr 2011 ganze 3 Millionen Euro vorgesehen. Diese Zahl verspottet sich selbst.

Wenn dann noch in einem Papier des Rates der Europäischen Union als gemeinsames Ziel die "Anerkennung des Potenzials des Sports als Beitrag zu einem intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum, das für eine nachhaltige Zukunft erforderlich ist" formuliert wird, dann bedarf dessen Glaubwürdigkeit keines Kommentars mehr.

Es ist hoffentlich für die europäischen Institutionen nicht bezeichnend, dass mit der offensichtlichen Sachfremdheit ein umso größerer bürokratischer Regulierungswille einhergeht. Die Europäische Kommission will offenbar Zuständigkeiten an sich ziehen, ohne für die damit verbunden Aufgaben inhaltlich verantwortlich und finanziell gerüstet zu sein. Das gilt sowohl im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten als auch zum organisierten Sport.

Es ist mir absolut unverständlich, dass eine Resolution angenommen wurde, wonach im sogenannten "strukturierten Dialog" mit dem Sport sogar die Zusammensetzung der Delegation des Sports durch die jeweilige Ratspräsidentschaft bestimmt werden soll. Ich weiß, dass die Bundesregierung unsere Skepsis in dieser Frage teilt. Wir bieten Ihnen, Herr Minister de Maizière, auch auf diesem Politikfeld eine enge Abstimmung und Zusammenarbeit an. Wir bitten Sie gleichzeitig, Ihre und unsere Position weiterhin in Brüssel so klar zu vertreten wie im letzten Jahr. Ich weiß, viele Ihrer Kollegen im Ministerrat vertrauen und hoffen auf Ihre Führung in diesen für den Sport in Europa so entscheidenden Fragen und Zeiten.

Wir kennen und schätzen Sie im DOSB als einen vertrauensvollen, verlässlichen Partner und konstruktiv-kritischen Begleiter. Dies gilt für die Zusammenarbeit in inhaltlichen Fragen, für die Förderung des Leistungssports ebenso wie für die Olympiabewerbung München 2018. Sie stehen entschieden an unserer Seite im Kampf gegen Doping und jede Manipulation des Sports. Dabei können wir feststellen, dass die im Jahr 2007 ergriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen im Kampf gegen Doping greifen. Aufgrund dieser damaligen Gesetzesänderung auf der Grundlage des DOSB-Zehn-Punkte-Aktionsplanes gegen Doping hat es zwischenzeitlich eine Reihe von Durchsuchungen, Festnahmen und Verurteilungen von Händlern von Dopingmitteln gegeben. Ein Angeklagter wurde zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt - die höchste Strafe, die weltweit je für ein solches Vergehen verhängt wurde.

Die NADA hat sich als das deutsche Kompetenzzentrum im Kampf gegen Doping etabliert. Die dsj leistet hervorragende Arbeit auf dem Gebiet der Prävention. Das BMI setzt seine Förderrichtlinien im Kampf gegen Doping konsequent um. Die Verbände haben durch Kontrollen, organisatorische und satzungsmäßige Änderungen diesen Anforderungen weitestgehend Rechnung getragen - und das mit großem, manchmal an der Grenze des Zumutbaren liegenden administrativen Aufwand.

Dennoch besteht kein Grund zur Selbstzufriedenheit. Denn es warten neue Herausforderungen auf uns. Bei dem sich am Horizont abzeichnenden Gen-Doping wird zum Beispiel auch die Frage nach der philosophischen Rechtfertigung eines Wettkampfverbots gestellt werden, etwa in Fällen der Heilung einer Krankheit durch genetisch bedingten Eingriff bereits im Kindesalter oder gar pränatal - ohne jeden Bezug zum Sport.

Wie gehen wir um mit der neuen Erscheinung des "Neuro-Enhancement" oder populär übersetzt Hirn-Doping? Können solche Substanzen bei Tests entdeckt, können sie im Sport verboten werden, wenn sie dem Ausgleich medizinisch bedingter Mängel dienen und von Ärzten verordnet werden?

Der Kampf gegen Doping muss sich also ständig neuen Herausforderungen stellen, er muss jeden Tag neu und mit gleicher Konsequenz geführt werden. Deshalb hoffen wir auf einen besseren Informationsaustausch mit noch mehr Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften. Deshalb setzen wir auf qualitativ verbesserte Kontrollmethoden und noch zielgerichtetere, intelligente Kontrollen. Doping hat im Sport keinen Platz, es gilt die Null-Toleranz-Politik des DOSB.

Die für die integrierte Arbeitsteilung zwischen Sport und Staat beim Kampf gegen Doping entscheidenden Voraussetzungen, wie An- und Abmeldepflichten, Kontroll- und Testmöglichkeiten, strict liability, Beweiserleichterung und Beweislastumkehr fehlen uns beim Kampf gegen Wettbetrug und Korruption. Deshalb ist die Intervention des Staates in diesem Bereich in viel größerem Ausmaße unabdingbar. Es wird nach Abschluss des jetzt laufenden großen Gerichtsverfahrens wegen Wettbetrugs sorgfältig zu prüfen sein, ob die Ermittlungsbefugnisse, der Informationsaustausch, die organisatorischen Strukturen ausreichend sind, um dieses Übel an der Wurzel zu packen.

Neben dieser Zusammenarbeit in inhaltlichen Fragen genießen wir jedoch auch wesentliche Förderung durch den Staat. Regierungen und Parlamente haben die Werte des Sports und den Wert des Sports für unsere Gesellschaft in den letzten vier Jahren verstärkt anerkannt. So sind die Sportfördermittel des Bundes vom Jahr der Gründung des DOSB 2006 mit ca. 200 Millionen Euro auf ca. 250 Millionen Euro in diesem Jahr 2010 gestiegen. Dazu kam noch über eine Milliarde Euro aus dem Konjunkturpaket II von Bund und Ländern für sportrelevante Investitionen.

Zum ersten Mal nach vielen Jahren ist es gelungen, die Leistungssportförderung für unsere Verbände signifikant zu erhöhen. So konnten im Personalbereich mit einer Steigerung um 67 Prozent gegenüber 2006 unter anderem ca. 100 zusätzliche hauptamtliche Trainerstellen geschaffen werden. Die Olympiastützpunkte wurden im gleichen Zeitraum mit 21 Prozent mehr Fördermitteln unterstützt. Die für unseren leistungssportlichen Erfolg so dringend notwendigen Institute IAT und FES erfreuen sich einer um 43 Prozent gesteigerten Fördersumme. Für die Jahresplanung unserer Verbände ergibt sich seit der Gründung des DOSB eine Steigerung um 26 Prozent.

Aber wir haben zurückgegeben. Zurückgegeben haben vor allem unser unsere erfolgreichen Athletinnen und Athleten. Sie haben diese Förderung durch ihre großartigen Erfolge bei den Olympischen Spielen, bei den Paralympics, bei den World Games, bei Welt- und Europameisterschaften, bei Deaflympics und Special Olympics und durch ihr herausragend faires, sympathisches Auftreten als die besten Botschafter eines neuen, weltoffenen, freundlichen Deutschlands mehr als gerechtfertigt. Die diesen Erfolgen zugrundeliegende athletenorientierte, durch Zielvereinbarungen objektivierte Förderung möchten wir beibehalten und ausbauen. Das neue Präsidium, das Sie heute wählen, wird sich dabei zusammen mit den Verbänden und den Landessportbünden insbesondere mit den Themen Duale Karriere, Vereinbarkeit von Leistungssport und Hochschule sowie der Situation der Trainer zu beschäftigen haben.

Es wird sich dabei auf eine zwischenzeitlich gut abgestimmte Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Sporthilfe stützen können. Deren Kampagne "Dein Name für Deutschland" lenkt den Blick der Öffentlichkeit auf die Förderung unserer Athleten, deshalb begrüßen und unterstützen wir sie mit aller Kraft. Nicht nur im Leistungssport, sondern auch in der Sportentwicklung wurde der Wert des Sports mit seinen Werten in den letzten Jahren gesteigert. Durch die vielen Maßnahmen und Programme auf den Gebieten der Integration, der Prävention, der umweltgerechten Gestaltung von Sporträumen, des zunehmenden Einsatzes für sportgerechte städtebauliche Maßnahmen, der Bildung, des Kampfs gegen Rechtsextremismus, der Vereinsförderung, der gesunden Ernährung und Bewegung und vielen anderen mehr hat der Sport mit seinen Werten unsere Gesellschaft positiv mitgestaltet.

Dafür standen uns allen mehr Mittel zur Verfügung als je zuvor. Vor der Gründung wurde für die Förderung des Breitensports auf der Ebene des DOSB durch Sponsoring ein Betrag in Höhe von knapp 1,6 Millionen Euro erzielt. Diesen haben wir durch verbesserte Vermarktung für das Jahr 2010 auf über 4,1 Millionen Euro gesteigert. Das ist eine Erhöhung auf mehr als das Zweieinhalbfache, die uns allen zugutekommt. Wir haben damit Projekte, wie Mission Olympic mit den Festivals des Sports, die Einrichtung von Trimm Dich-Parcours, die Sportabzeichen-Tour oder Sterne des Sports geschaffen, ausgebaut oder verbessert. Darüber hinaus haben wir trotz der damaligen schwierigen Finanzsituation im Jahr 2007 den Innovationsfond geschaffen. Mit Mitteln von insgesamt 370.000 Euro konnten wir dadurch Investitionen in die Sportentwicklung von weiteren 2,4 Millionen Euro auslösen.

Gleichzeitig sind wir in diesen Jahren eine der wenigen, wenn nicht gar die einzige der großen zivilgesellschaftlichen Organisationen unseres Landes gewesen, die gewachsen sind - wir begrüßen 320.000 neue Mitgliedschaften im DOSB.

Eine solche Entwicklung erschien im Jahre 2006 unmöglich. Ich erinnere mich noch lebhaft der wahrhaft dramatischen Situationen, als im Laufe des Jahres 2006 die vom DOSB übernommene bedrohliche Finanzsituation einer seiner Vorgängerorganisationen deutlich wurde. Aber auch in dieser Hinsicht hat sich der Wert der Fusion, hat sich der Wert der Einheit in Vielfalt erwiesen. Nur so waren erhebliche Kosteneinsparungen bei gleichzeitig wachsenden Dienstleistungen für die Mitgliedsverbände, nur so waren wachsende Sponsoringeinnahmen trotz Finanz- und Wirtschaftskrise möglich.

Nur durch die Solidarität von Ihnen, den Mitgliedsverbänden der Organisation des jetzt wahrhaft gesamten deutschen Sports konnte diese existentielle Krise nicht nur überwunden, sondern sogar eine Stärkung der Organisation des Sports auf solider finanzieller Grundlage erreicht werden.

Für eine solche finanzielle Absicherung des Sports auf allen Ebenen setzen wir uns auf der Basis der Beschlüsse unserer Mitgliederversammlung 2009 und der inzwischen ergangenen einschlägigen Gerichtsentscheidungen im Interesse und zusammen mit unseren Mitgliedsverbänden auf vielen Ebenen ein. Wir alle zusammen haben 2007 einstimmig die Olympiabewerbung 2018 mit München, Garmisch-Partenkirchen und Königssee auf den Weg gebracht. Wir wissen, dass diese Bewerbung Sport und Gesellschaft positiv beeinflusst. Wir spüren den Rückenwind in unserem Land. Daran ändern auch einige fundamentalistische Zukunftsverweigerer nichts. Wir freuen uns über Ermutigung auf dem internationalen Parkett. Wir wollen gewinnen und wir können gewinnen.

Wir alle zusammen, wir, der Deutsche Olympische Sportbund, haben in den ersten vier Jahren unserer Existenz den Wert des Sports mit seinen Werten gesteigert. Diese Aufgabe ist nicht zu Ende. Die nächsten Jahre halten viele Herausforderungen bereit. Es sind die Herausforderungen unserer Gesellschaft, und es sind die spezifischen Herausforderungen des Sports.

Die Schwerpunkte habe ich Ihnen genannt: Sicherung der Leistungsfähigkeit unserer Athleten, Integration durch Sport, Bildung im und durch den Sport, ehrenamtliche Tätigkeit und demographische Entwicklung, mehr Frauen in die Führung des Sports, Kampf gegen Doping und jede Art der Manipulation, Partnerschaft von Sport und Staat im gegenseitigen Respekt einer verantwortungsvollen Autonomie. Wenn wir diese Herausforderungen bewältigen, dann kann und wird der Sport auch in Zukunft ein Motor unserer Gesellschaft sein. Vor vier Jahren in der Paulskirche habe ich gesagt: Der deutsche Sport bricht auf zu neuen Ufern. Schon nach dieser ersten Amtsperiode können wir alle zusammen glücklich und auch ein wenig stolz feststellen: Der deutsche Sport ist angekommen am neuen Ufer seiner Einheit. Der deutsche Sport spricht mit einer Stimme. Mit diesem DOSB ist uns die Einheit in der Vielfalt des deutschen Sports gelungen. Wir haben uns in zahllosen Gesprächen und Diskussionen zusammengefunden. Wir haben festgestellt, dass der Wert des Sports auch in seinen Werten von Einheit und Solidarität liegt. Dabei gibt es immer wieder Spannungen und Forderungen: Noch mehr Augenmerk auf den Leistungssport einerseits, noch mehr Förderung der Sportentwicklung andererseits. Es liegt auf der Hand, dass der DOSB nicht allen diesen Forderungen in vollem Umfang nachkommen kann. Es spricht für die jeweiligen Mitgliedsorganisationen, dass sie sich so vehement für ihre Interessen einsetzen. Der DOSB muss in diesem ewigen Spannungsfeld die richtige Balance wahren.

Das ist nicht immer einfach. Aber wir alle zusammen halten diese Spannung aus, weil jeder von uns weiß, dass Breitensport und Leistungssport einander bedingen; weil wir alle wissen, dass der Erfolg des einen zumindest mittelfristig auch der Erfolg des anderen ist. Dafür schulden wir vielen Verantwortungsträgern in unseren Mitgliedsorganisationen Dank. Besonderer Respekt gebührt dabei denjenigen, die sich vor vier Jahren noch gegen die Fusion zum DOSB ausgesprochen, aber dann schon in den ersten Regionalgesprächen mit dem Präsidium nicht nur die demokratische Entscheidung anerkannt, sondern sich für den Erfolg des DOSB großartig aktiv engagiert haben.

Das erste Präsidium des DOSB legt heute sein Mandat in Ihre Hände zurück. Daher darf ich mich herzlich bedanken bei allen Mitgliedern des Präsidiums für ihre hervorragende und kollegiale Arbeit. Jede und jeder von ihnen hat an seiner Stelle und in seinem Aufgabengebiet Zeichen und Maßstäbe gesetzt. Das gilt für die ehrenamtlichen Präsidiumsmitglieder ebenso wie für den Generaldirektor, das Direktorium und alle hauptamtlichen Mitarbeiter.

Dieses Präsidium hat sich seine Entscheidungen nicht leicht gemacht. Aber kontroverse Diskussionen sind auch nach oftmals neun Stunden Sitzung mit hohem gegenseitigen Respekt und Humor geführt worden. Das loyale Bekenntnis aller Präsidiumsmitglieder zu den dann getroffenen demokratischen Entscheidungen verdient hohe Anerkennung. Mit dieser Haltung haben sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Erreichen der "Einheit in Vielfalt" des DOSB in nur einer Amtsperiode entscheidend beigetragen. Es war und ist mir eine Freude, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen - Danke.

Auch aufgrund dieser freundschaftlichen Zusammenarbeit sind wir gerne bereit, uns den genannten und auch den unerwarteten Herausforderungen für den Sport und die Gesellschaft unseres Landes zu stellen. Wir wollen diese Aufgabe gerne übernehmen mit der Freude, dem Optimismus und dem Engagement der ersten Amtsperiode. Wir wollen uns konzentrieren auf die konstruktive Gestaltung der Zukunft des Sports - im Glauben an seine Werte und seine Kraft.

"Verbringe nicht die Zeit mit der Suche nach einem Hindernis. Vielleicht ist keines da", so hat Franz Kafka überraschend optimistisch formuliert. Wir wollen auch in Zukunft nicht die Hindernisse suchen, sondern die Lösungen. Wir wollen die Einheit des Sports in seiner Vielfalt stärken. Wir wollen den Wert des Sports mit seinen Werten steigern. Dafür werben wir um Ihr Vertrauen und Ihre Unterstützung.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 49 / 7. Dezember 2010, S. 23
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2010