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BERICHT/678: London 2012 - Legacy und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 16 / 17. April 2012
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

London 2012: Legacy und Bürgerbeteiligung als vorrangige Ziele
Die Olympischen und Paralympischen Spiele sollen Katalysator sein für eine erfolgreiche Stadtentwicklung

Von Klaus Grewe*



Im Juni 2005 erhielt London den Zuschlag, die Olympischen und Paralympischen Spiele 2012 durchzuführen. Der Zuschlag für London basierte auf drei Kernversprechen, nämlich

- einen Olympischen Park (neues Zentrum) für eine sozial benachteiligte Region in England zu hinterlassen (Legacy),

- Bürger, Vorhabensträger und andere Beteiligte von der ersten Minute an in die Planungsprozesse gleichberechtigt mit einzubeziehen (Public Involvement bzw. Bürgerbeteiligung),

- Sportstätten zu hinterlassen, die höchsten internationalen Ansprüchen entsprechen.

Die Vorbereitungsmaßnahmen für die Spiele sind vor dem Zeitplan, unter Budget und haben eine Bürgerakzeptanz von über 85 Prozent.


Legacy: Der Olympische Park

Der Olympische Park in London liegt im sozial schwachen Osten. Hohe Arbeitslosigkeit, ethnische Vielfalt und eine schlechte Bausubstanz prägen das Umfeld. Der Olympische Park soll diese Rahmenbedingungen nachhaltig verändern und zugleich ein neues Zentrum für anliegende Stadtteile bilden. Durch den Park wird die Infrastruktur deutlich verbessert, neue Wohnungen und Arbeitsplätze und der drittgrößte Landschaftspark Londons geschaffen. 75 Prozent des Olympiabudgets in Höhe von 9,3 Milliarden Pfund werden für diese Legacy ausgeben. Zusätzlich sind bereits eine Milliarde Pfund für die Transformation nach den Spielen zurückgestellt. Die Olympischen Spiele 2012 sind der Katalysator dieses stadtplanerischen Mammutwerks.

Große Aufenthaltsflächen und Fluchtwege für die über 250.000 Besucher täglich werden nach den Spielen zurückgebaut. Die Infrastruktur für die zukünftige Bebauung ist bereits installiert; so bildet das Aquatic Centre einen eher robusten Zweckbau mit Zusatztribühnen, der nach den Spielen zu einer architektonischen Ikone weiterentwickelt wird.

Der Olympische Park basiert auf zwei Masterplänen: Zunächst wurde für die Zeit nach 2012 (Legacy) geplant und dieser Masterplan festgeschrieben. Für die Spiele wurden sodann die spezifischen olympischen Anforderungen in den zweiten Plan eingearbeitet. Grundsätzlich galt hierbei Maxime, dass sich diese Anforderungen den Legacy-Anforderungen anpassen. Auf diese Weise konnte 85 Prozent der zukünftigen Bebauung bereits vertraglich gesichert werden - vom heute schon existierenden Olympischen Dorf sind über 90 Prozent der Wohnungen bereits verkauft. 20‍ ‍Prozent der heutigen Arbeitskräfte kommen bereits aus den umliegenden Stadtteilen mit guten Ausichten, auch zukünftig im Olympischen Park Beschäftigung zu finden.


Bürgerbeteiligung

London hat sich sehr bewusst entschieden, Bürgerbeteiligung als gleichberechtigten Bestandteil in die Planung und Ausführung mit aufzunehmen. Schmerzhafte Erfahrungen aus anderen Großprojekten, wie z.B. der Umbau des Wembley Stadiums, hatten gezeigt, dass mangelnde Beteiligung zu Protesten und daraus resultierenden Verzögerungen mit extremen Kostensteigerungen führen. Wie in Deutschland haben etablierte Beteiligungsverfahren Grenzen erreicht. Eine wachsende Sensibilität für die Umwelt und das soziale Umfeld kann weder durch Planfeststellungsverfahren oder über Wahlen allein befriedigt werden. Wilhelm Schulte, Direktor bei der Hamburger Senatsverwaltung, hat dies sehr zutreffend zusammengefasst: "Projektorientierte Bürgerbeteiligung und Akzeptanzfindung gewinnt vor allem dadurch an Bedeutung, in dem die allgemeine Wahlbeteiligung beständig abnimmt und damit die Legitimierung der gewählten Parlamente und Regierungen in den Städten und Gemeinden schwindet, so dass die parlamentarische und die außerparlamentarische Opposition in gemeinsamen Bürgerentscheiden zu Mehrheitsentscheidungen der Stadtgesellschaften führen können."


Londons Entscheidung zur Bürgerbeteiligung lässt sich an zwei Eckpunkten festmachen:

- Politische Notwendigkeit: Die Politik befindet sich in einer "Zwangslage", da in einem parlamentarischen System letztlich nur ein Beschluss für oder gegen ein Projekt getroffen wird. Das Bürgerinteresse ist allerdings sehr vielschichtiger; hier gibt es "Ja, aber" oder "Nein, aber".

- Wirtschaftliche Notwendigkeit: Projekte, die durch Bürgerproteste gestört werden, sind mit gewaltigen Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen verbunden.

Beide Punkte sind nicht getrennt voneinander zu sehen. Der Bürger ist ebenso interessiert, dass Projektkosten im geplanten Rahmen bleiben. Der Projektmanager ist daran interessiert, dass "Risiko" Bürgerprotest zu verringern. London hat daher Instrumente der "weichen" Bürgerbeteiligung mit einem "harten" Projektmanagement verknüpft. Die Bürgerbeteiligung wurde so zum Bestandteil von Risikoanalysen. Risikominimierung bedeutet, den Bürgerwunsch im Detail zu betrachten und mit dem Bürger Wege zur Lösung oder Entscheidungsfindung zu erarbeiten.

London war in der Lage, die Bürgerbeteiligung auf eine breite Basis zu stellen und auf die "Arbeitsebene" zu verlagern. Der grundsätzliche Erfolg liegt in der Tatsache, dass der Bürger zu jeder Zeit das Gefühl hatte, dass seine Argumente und Sorgen ernst genommen und seine Anliegen bearbeitet wurden. Dadurch wurden Grundsatzkonflikte "JOlympia-Nolympia" vermieden und es kam zum Dialog, ob ein Baum, ein Park, ein soziales Umfeld etc. weiterhin seinen Platz hat. London hat hierbei die positive Erfahrung gemacht, dass die offene Diskussion und Transparenz die Bürger zu einer unterstützenden Mitarbeit motivierte. Die Mehrzahl der Lösungsvorschläge in Konfliktfällen kamen von den Bürgern - auf Basis detaillierter Informationen. In keinem Konfliktfall mussten die vorher mit den Bürgern vereinbarten Prozessabläufe bis zum Ende (Schlichter/Gericht) gegangen werden.

Der Aufwand und die Kosten dieser Bürgerbeteiligung waren verglichen mit den Kosten, die durch Konflikte, Stillstände, Gerichtskosten etc. entstehen, relativ gering, zumal sich innerhalb kürzester Zeit Routinen der Beteiligung etablierten.


Internationale Sportstätten

Die Olympischen und Paralympischen Spiele 2012 hinterlassen London Sportstätten, die allerhöchsten internationalen Masstäben gerecht werden - angepasst an den zukünftigen Bedarf. Alle verbleibenen Sportstätten behalten ihre Trainings- und Wettkampfbedingungen; erheblich verringert werden jedoch die möglichen Zuschauerkapazitäten und die Umfeldgestaltung. Das Aquatic Centre wird so von 17.000 Sitzplätzen auf 2.000 reduziert. Die Wasserball-Arena ist rein temporär und wird nach den Spielen demontiert. Das Olympiastadium wird voraussichtlich durch einen örtlichen Fußballklub genutzt, der die Leichtathletikbahnen akzeptiert. Die Handball-Arena (ein Sport, der in England weitgehend unbekannt ist) wird als Multifunktions-Arena weitergenutzt, die u.a auch große pakistanische oder indische Hochzeiten beherbergen kann - auch dies ein Resultat der Bürgerbeteiligung. Die Basketball Arena ist temporär und wird voraussichtlich bei den Commenwaelth Games in Glasgow wieder eingesetzt. Die Hockeyarena ist ebenfalls temporär, Wettbewerbe werden in Zukunft in Eton Manor stattfinden - ein Gelände am Nordende des Parkes, dass während der Spiele als Trainingsgelände und während der Paralympischen Spiele als Wettkampfgelände dient sowie nach den Spielen ein weltführendes Trainingszentrum für diverse Sportarten beherbergen wird. Das Velodrome mit 6.000 Sitzen verbleibt in seiner "Olympiaform" und fungiert langfristig als Zentrum des englischen Radsportverbandes. Viele Sportstätten außerhalb des Olympischen Parkes nehmen nach den Spielen andere Nutzungsformen an; wie z.B. die Excel Hallen für Messen und Ausstellungen. Ruder- und Kanustrecken werden später der breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zum Bedauern vieler Engländer wird das Beachvolleyball-Feld im Horse Guard Parade den königlichen Dragonern zurückgegeben, freilich ohne Einfluss auf deren Dresscode!

Großbritannien freut sich auf die Olympischen und Paralympischen Spiele. Eine britische Gastfreundlichkeit wird die weltweiten Besucher erwarten. Mehr als 400.000 Menschen hatten sich für die 70.000 freiwilligen Helferplätze beworben.


* Der Autor war fünf Jahre beschäftigt bei Olympic Delivery Authority und hier zuständig für die Gesamtkoordination der einzelnen Projekte. Er volontiert im Sommer für das deutsche Olympiateam. Er lebt mit seiner fünfköpfigen Familie seit acht Jahren in England, hat davor in der Schweiz am Gotthard-Basis-Tunnel gearbeitet und für sieben Jahre den Bau des Berliner Hauptbahnhofs als stellvertretender Projektleiter geleitet.


Sie erreichen Klaus Grewe unter
klaus.grewe@virgin.net

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 16 / 17. April 2012, S. 26
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2012