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BERICHT/684: Pakistan - Kicken für die Zukunft, Straßenkinder trainieren für eigene WM in Rio (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. April 2013

Pakistan: Kicken für die Zukunft - Straßenkinder trainieren für eigene WM in Rio

von Zofeen Ebrahim


Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Straßenkinder in Karachi trainieren für ihre Weltmeisterschaft 2014
Bild: © Zofeen Ebrahim/IPS

Karachi, 10. April (IPS) - Die Staubwolke, die sie aufwirbeln, stört sie nicht. Mit geschmeidigen Bewegungen jagen die Jungen dem Ball hinterher, bis einer von ihnen endlich ein Tor schießt. Lauter Jubel. Doch Iman Hussain wischt sich den Schweiß von der Stirn und schaut missmutig zur Anzeigetafel. "Konzentriert euch, Jungs", ruft er.

Der Zwölfjährige gehört zu einer bunt zusammengewürfelten Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die auf einem Fußballplatz in der pakistanischen Stadt Karachi trainieren. Die Zehn- bis 16-Jährigen wurden ausgewählt, das Team der 'Street Strikers' zu bilden, das zusammen mit Mannschaften aus 20 Ländern im nächsten Jahr an dem 'Street Child World Cup' im brasilianischen Rio de Janeiro teilnehmen werden.

Hussain, der ein schwarz und rot gestreiftes T-Shirt, schwarze Shorts sowie schwarze Kniestrümpfe und Schuhe trägt, ist für seine Wendigkeit und für sein Temperament bekannt. "Ihnen gefallen meine Pässe, und so bin ich in das Team gekommen", erzählt er stolz.

Vor ein paar Jahren war der Junge noch ein gewiefter Taschendieb, der auf den Straßen von Karachi herumlungerte. Er gehörte zu den 1,2 Millionen bis 1,5 Millionen Straßenkindern in dem südasiatischen Land. Von zu Hause war Hussain ausgerissen, als er sieben war. Sein älterer Bruder hatte ihn häufig verprügelt, weil er sich nicht auf den Schulstoff konzentriert hatte. Hussain, Sohn eines Fischers, hat noch fünf Brüder und sechs Schwestern.

Inzwischen ist er mit seiner Familie wieder im Reinen, geht wieder zur Schule und bezeichnet Fußball als eine seiner größten Leidenschaften. "Ich möchte der Welt zeigen, dass ich etwas kann", sagt er. "Und ich werde das erste Mal in einem Flugzeug fliegen!"


Fußball, Bildung und Gesundheitsversorgung

Initiatorin des Projekts ist die Azad-Stiftung (AF), die sich seit 2001 für Straßenkinder einsetzt. Sie stellt ihnen Mahlzeiten, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Bildung bereit. In drei Zentren werden fast 3.500 der insgesamt rund 12.000 Straßenkinder von Karachi betreut. Etwa 100 von ihnen befinden sich gerade in einer Rehabilitierungsphase und sollen schließlich in die Gesellschaft wiedereingegliedert werden.

Seit Anfang des Jahres hat AF mit einem auf fünf Jahre angelegten 'Sport für Entwicklung'-Projekt begonnen. "In Karachi arbeiten wir in drei Bezirken und außerdem in drei Provinzen. Wir kooperieren mit Organisationen, die schon Erfahrung mit Straßenkindern haben", berichtet Ali Bilgrami, der das Sportprojekt leitet. "Zunächst konzentrieren wir uns auf Fußball. Bei Interesse können wir Kricket und Hockey hinzunehmen. Es muss aber immer eine Mannschaftssportart sein."

AF-Sprecher Itfan Maqbool hofft, dass die Weltmeisterschaften dabei helfen werden, "die Gesellschaft mit dem Leben der Straßenkinder vertraut zu machen und ihr zu zeigen, wie diese Kinder überleben, indem sie für sich selbst sorgen."

Die Jungen trainieren seit mehr als drei Monaten und treten gegen andere Teams an, die bereits seit Jahren auf das Spielfeld gehen. Seitdem hat sich viel verändert - vor allem ihr Verhalten. Maqbool stellt fest, dass die Heranwachsenden weniger aggressiv sind als früher.

Trainer Haris Jadoon zufolge kommen die Kinder und Jugendlichen besser mit ihren Wutausbrüchen zurecht. "Als wir anfingen, war das ein ziemlich wilder Haufen. Sie wollten keine Aufwärmübungen machen, keine Regeln beachten und noch nicht einmal auf die Trillerpfeife hören. Ihnen war nur daran gelegen, in den Ballbesitz kommen und zu spielen", erinnert er sich.

Verlieren sei für sie undenkbar gewesen. Daher sei es oft zu tränenreichen Wutausbrüchen gekommen. "Allmählich kapieren sie jedoch, dass Fußball ein Mannschaftssport ist und dass sie nur gewinnen können, wenn sie im Team arbeiten", sagt Jadoon. "Indem wir ihnen die Spielregeln beibringen, vermitteln wir ihnen, was Fairness, harte Arbeit und Ehrlichkeit bedeuten, während wir ihr Selbstbewusstsein und ihre kommunikativen Fähigkeiten stärken."


Oberstes Ziel: Rückführung zu den Familien

Auch die Psychologin Sadia Ahmed, die ebenfalls für AF arbeitet, kommt mit den Jungen wesentlich besser zurecht, seit sie Fußball spielen. "Die Hälfte meiner Arbeit ist dadurch schon erledigt", sagt sie. "Sie sind glücklicher und nehmen meine Vorschläge eher auf. Viele von ihnen haben sich in den letzten Monaten auch körperlich weiterentwickelt."

Für Itfan besteht der größte Fortschritt darin, dass sich zahlreiche Jungen seit dem Beginn des Fußballprojekts wieder ihren Familien angenähert haben. Das ist das eigentliche Ziel der Stiftungsarbeit.

Der 16-jährige Owais Ali, der als Verteidiger im Einsatz ist, floh als Siebenjähriger vor den Prügeln seiner Eltern. Mit 13 kehrte er wieder zurück, sein älterer Bruder lebt jedoch weiterhin auf der Straße. "Es ist ein hartes Leben da draußen", meint Owais. "Man kann sich nicht vorstellen, was ein siebenjähriges Kind auf der Straße erlebt. Man wird von Banden und von der Polizei schikaniert und manchmal sogar körperlich und sexuell missbraucht."

"Wir wollen, dass die Kinder verstehen, was es bedeutet, in einem Familienverband zu leben. So wie in einer Fußballmannschaft auch arbeitet man im Team und kümmert sich umeinander", meint Maqbool. "Doch auch die Eltern müssen begreifen, dass Kinder Liebe, Zuneigung und Respekt brauchen. Beide Seiten müssen sich bewegen, dann kommen sie voran." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://streetchildworldcup.org/
http://www.azadfoundation.org/about.html
http://www.ipsnews.net/2013/04/these-kids-have-won-already/

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IPS-Tagesdienst vom 10. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. April 2013