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BUCHTIP/276: "Voodoo im Strafraum" - Fußball und Magie in Afrika (Goethe-Uni Frankfurt)


Goethe-Universität Frankfurt - 7. Juni 2010

"Voodoo im Strafraum" - Fußball und Magie in Afrika

Oliver Beckers Reise in ein Zwischenreich des modernen Sports


FRANKFURT. Vor dem entscheidenden Fußball-Match bestreicht der "Witchdoctor" Knöchel und Schienenbeine der Spieler mit einer Mischung aus Kräutern, Tierblut und Partikeln eines Skorpions; er beschreibt die Schalen von Eiern und Kokosnüsse mit den Namen gegnerischer Spieler und beschwört diese mit magischen Formeln; die Eier und Kokosnüsse werden auf dem Platz zerschmettert und die Gegenspieler so symbolisch geschwächt; vor dem Torraum verbrennen und vergraben Spieler am Vorabend Tier- und Pflanzenteile. Die Kraft der Magie ist für viele afrikanische Fußballer ähnlich bedeutend wie Training, Kondition und Strategie. Der "Witchdoctor" gehört zum Team wie Trainer und Masseur - auch wenn die "Confédération Africaine de Football" (CAF) untersagt, dass die Magier in Aktion treten.

Oliver G. Becker, Dokumentarfilmer und Mitglied im Beirat des Zentrums für interdisziplinäre Afrikaforschung an der Goethe-Universität, recherchiert seit mehr fünf Jahren, wie und warum Fußball und der Glaube an magische Rituale in den Ländern südlich der Sahara eine so enge Verbindung eingehen. "Magie ist im afrikanischen Fußball so lebendig, weil sie in weiten Teilen Afrikas eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit ist", betont Becker. Vor einigen Tagen ist - pünktlich zur Fußballweltmeisterschaft in Südafrika - im Beck-Verlag sein Buch "Voodoo im Strafraum - Fußball und Magie in Afrika" erschienen.

Seine Recherchen beschreibt Becker als eine "Reise in ein Zwischenreich des modernen Sports": Der Hexenmeister im Fußballverein gehört zur traditionellen afrikanischen Kultur, auch in einer globalisierten Welt, in der viele afrikanische Sportler davon träumen, auf die Transferliste europäischer Vereine zu kommen. "In einer sehr modernen durchkommerzialisierten Sportart wie dem Fußball haben diese traditionellen Riten ihren Platz. Fußball und Magie sind zwei Bereiche, die hohe Bedeutung in Afrika haben und die sich wechselseitig durchdringen." Überall, wo in Afrika der Ball rollt, spielen auch die Geister mit: "Eine Nationalmannschaft wird verflucht, verliert - und ein Staatsminister bezahlt, damit sie vom Fluch befreit werden", hat der Politologe Becker, der 1996 sein Studium an der Goethe-Universität abschloss, beobachten können. Werden diese Rituale auch bei der Fußballweltmeisterschaft eine Rolle spielen? Dazu der 43-jährige Becker: "Offiziell versucht sich die CAF von diesen magischen Zeremonien zu lösen. Es gibt aber nicht wenige Manager und Trainer, die sich diesen Traditionen nach wie vor verbunden fühlen."

Kenntnisreich und mit den sensiblen Mitteln der teilnehmenden Beobachtung erforscht Becker seit über neun Jahren diese verschlossenen Welten. Bereits 2006 produzierte er als offiziellen Beitrag des Kunst- und Kulturprogramms zur FIFA Fußballweltmeisterschaft einen Dokumentarfilm zu diesem Thema: " KICK THE LION - Fußball und Magie in Afrika", der bereits 2006 bei dem ARD/ZDF-Dokumentationskanal "Phoenix" gezeigt wurde, jetzt zur Fußball-WM bei TV-Sendern in Japan, Portugal, Spanien und Belgien, aber nicht in Deutschland auf dem Programm steht. Von Ghana im Westen über Südafrika und Swasiland im Süden des Kontinents bis nach Uganda und Tansania im Osten Afrikas dokumentierte er, was offiziell nicht erlaubt ist: Ein Besuch beim "Witchdoctor" gehört zum Ritual vor Spielbeginn, er soll helfen, die eigene Mannschaft zu stärken oder die Kräfte des Gegners zu schwächen. Die Rituale unterscheiden sich in den 54 afrikanischen Nationen, auch darüber gibt Becker Auskunft. Jetzt ist das Buch zu seinem Film erschienen - mit vielen zusätzlichen Informationen insbesondere zur Historie des Fußballs in Afrika: So haben Kolonialbeamte, europäische Soldaten und Missionare bereits im 19. Jahrhundert das Spiel um das runde Leder nach Afrika gebracht.

Die Rezensenten bescheinigen Becker viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem Thema, bezeichnen ihn unter anderem als "zugewandten Beobachter". Ralf Wiegand in der Süddeutschen Zeitung (17.Mai 2010) schrieb: "Der Autor akzeptiert den fremden Glauben an Magie und Hexerei ohne Überheblichkeit. Er schildert für unser Empfinden abscheuliche Rituale mit der Präzision eines Dokumentarfilmers... und der höflichen Neutralität eines Gastes. Er nimmt - und das ist ungewollt eine politische Botschaft - Afrika, wie es ist, und unterscheidet sich schon dadurch wohltuend von der FIFA." Auch von Ritualen, die auf Europäer eher befremdlich wirken, erfuhr Becker, wohnte ihnen aber nicht selbst bei: Hexenmeister und einige Spieler gehen auch in Leichenhäuser, waschen dort Verstorbene, um die Flüssigkeit dieser Waschungen aufzufangen und dann als beschwörenden Elixier gegen die gegnerischer Mannschaft einzusetzen.

Becker wird nicht zur Fußballweltmeisterschaft nach Südafrika fliegen. Er ist in anderer Mission in Sachen Fußball unterwegs: Abseits des "Glamour-Events" in Südafrika findet in Ruanda und Kongo das Fußballturnier "Four Countries for Peace" statt. Dort messen die ehemaligen Kriegsgegner Ruanda, Burundi, Kongo und Uganda ihre Kräfte beim Fußball -"ein Akt zur Verständigung und Versöhnung", so Becker, der im Auftrag des Deutschen Fußballbunds (Abteilung internationale Beziehungen) diese Begegnungen filmen wird.

Afrika gilt weiter sein Augenmerk auch als Wissenschaftler: Becker arbeitet zurzeit an seiner Promotion an der Goethe-Universität zum Thema "Muti Morde: deviante Form traditionellen Glaubens oder aggressivste Form okkulter Gewalt? Hintergrund und Zusammenhänge rezenter Ritualmorde in Südafrikas Limpopo Province", betreut von Prof. Mamadou Diawara, Professor am Frobenius-Institut und Mitglied des Exzellenzclusters "Herausbildung normativer Ordnungen".


Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn drittmittelstärksten und größten Universitäten Deutschlands. Am 1.áJanuar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Parallel dazu erhält die Universität auch baulich ein neues Gesicht. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht ein neuer Campus, der ästhetische und funktionale Maßstäbe setzt. Die "Science City" auf dem Riedberg vereint die naturwissenschaftlichen Fachbereiche in unmittelbarer Nachbarschaft zu zwei Max-Planck-Instituten. Mit über 55 Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität laut Stifterverband eine Führungsrolle ein.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 137 vom 7. Juni 2010
Herausgeber: Der Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Redaktion: Ulrike Jaspers, Referentin für Wissenschaftskommunikation,
Abteilung Marketing und Kommunikation
Senckenberganlage 31, 60325 Frankfurt am Main
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2010