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BUCHTIP/324: Als der Deutschland-Achter das "Das Wunder von Rom" vollbrachte (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 4 / 21. Januar 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Als der Deutschland-Achter das "Das Wunder von Rom" vollbrachte
Olympiasieger und DOSB-Ethikpreisträger Hans Lenk erinnert sich

von Prof. Detlef Kuhlmann



Das Wunder von Bern 1954 kennt jeder. Aber was war noch mal "Das Wunder von Rom"? Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom gewann erstmals ein deutscher Ruder-Achter die Goldmedaille. Dieser Olympiasieg war damals der herausragende Höhepunkt deutscher Rudergeschichte.

Die weiteren Erfolge des Bootes (z.B. Weltmeistertitel 1962 in Luzern) sollten nicht lange auf sich warten lassen. Einer, der damals mit im Boot saß, ist der bis heute als (emeritierter) Philosoph in Karlsruhe arbeitende Prof. Hans Lenk, der erste Ethikpreisträger des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). In seinem neuen Buch erinnert sich "der erste Philosoph seit der Antike, der Olympiasieger wurde" (Lenk über Lenk) an die Zeit damals und was er selbst daraus für seinen weiteren beruflichen Werdegang gelernt hat. Der Titel "Ratzeburger Goldwasser - vom Lago Albanao bis Lambarene" spannt vordergründig den geographischen Bogen der sportlichen und philosophischen "Schaffensorte" des prominenten Autors.

Gleich vorn im achtseitigen "Prolog" werden wird die Leserschaft mit ins Boot und auf das Wasser des Albaner Sees bei Rom genommen: "1000 Meter! Stiller Spurt! (...) Der Bootskörper springt noch einmal an. Alles in diesen Schlag, und wieder in diesen. (...) Die Schwere scheint schier unerträglich - Durch!" Der Rest ist Erschlaffen und Weiterpaddeln.

Doch was folgt nach dem Olympiasieg? Vier Jahre lang war für die Besatzung des Deutschland-Achters das Rudern die wichtigste Hauptsache der Welt. Was trieb die jungen Studenten aus Norddeutschland damals an?

Hier beginnt der philosophische Teil der Erinnerungen von Hans Lenk, der seinerzeit neben Philosophie auch Mathematik und Sport in Kiel studierte. Für den Olympiasieg in Rom gab es mehrere "Bausteine", die Hans Lenk im Buch an unterschiedlichen Stellen noch einmal zusammenträgt.

Da gab es traumhafte Ruderbedingungen auf dem Küchensee in Ratzeburg. Doch da musste erst einmal 1953 der Ratzeburger Ruderclub (RRC) als Heimverein des Achters gegründet werden. Da gab es leistungswillige und dem Rudern zugeneigte Jugendliche. Doch da brauchte man erst einmal einen Lehrer und Trainer, der die Begeisterung für ferne Ziele entfachen sollte: Karl Adam, jener Oberstudienrat für Mathematik, Physik und Leibeserziehung an der Gelehrtenschule in Lauenburg und einst Studenten-Weltmeister im Schwergewichtsboxen sollte dieser Mann sein - der "Ruderprofessor" und der "Vater" des Deutschland-Achters, den Hans Lenk im Buch immer wieder würdigt als "den Lehrer, Freund und Trainer" und beiläufig zitiert: "Nichtgewinnen ist kein Scheitern".

Alle Freunde des Rudersports werden besonders die Seiten 24 bis 30 Zeile für Zeile genau und genießend lesen: Hier zählt Hans Lenk in acht Episoden auf, was das Rudern als Sportart ausmacht und inwiefern das Rudern "ein recht reiner Sport" geblieben ist. Im umfänglichen Kern ist das Buch jedoch ein spannender Reisebericht, der seinen Ausgang hat beim "Japanischen Tagebuch des Gold-Achters", in dem Lenk auf die Reise der Olympiasieger im Jahr nach Rom eingeht. Im Weiteren geht es z.B. um eine Südamerikatour. Lenk ist ferner zweimal unterwegs auf Nordland-Expedition und unternimmt eine herausfordernde Gletscherbegehung.

Mit fast 60 Seiten nimmt das "Tagebuch von Lambarene: Posthumer Besuch bei Albert Schweitzer" den größten Raum ein. Auch hier ist Lenk ganz "philosophierender Olympiasieger" (Untertitel), wenn er seine beiden "Vaterfiguren" Karl Adam und Albrecht Schweitzer auf Gemeinsamkeiten abklopft: "Adam, der Leistungsmensch der messbaren, vergleichbaren Eigenleistung in der geregelten Hochleistungskonkurrenz, im Wettkampf - Schweitzer, der Genius der praktischen ethischen Hingabe und der Argumentation dafür" (S. 273).

Lenks erfahrene Leser werden hier und da Anknüpfungspunkte an seine zahlreichen früheren (Standard-) Werke wie "Leistungssport: Ideologie oder Mythos?" (1972) oder "Eigenleisten" (1983) finden. Sein neuestes Buch ist auch nicht ganz frei von sinngemäßen und wörtlichen Wiederholungen (z.B. "Olympisch Aprèslutte"). Aber das macht nichts: Lenks Ansichten zum Eigenleisten und zum Sport quasi als Prototyp für "kreatives Eigenleisten" kann man nicht oft genug lesen, um sich selbst zu prüfen und möglicherweise seine "Leistungswelt" im Sport und anderswo danach (neu) einzurichten.

Für Lenk ist der Sport "die Hohe Schule der Eigenleistung", und selbst für die älteren Leser hat er passende Worte parat - denn: "Das gilt gerade auch für die Älteren: maßvoll betriebener Sport ist eine Schule des aktiven Älterwerdens" (S. 45).

Wer sich damit (noch) nicht angesprochen fühlt und vielleicht etwas anspruchsvollere Formulierungen bevorzugt, für den philosophiert Hans Lenk trefflich, wenn er an anderer Stelle den Sport "als symbolisch-mythische Darstellung gleichsam archetypischer Rollendynamik in vereinfachter Stilisierung und Konfrontation der Handlungssituation" definiert.

Etwas einfacher übersetzt meint er wohl damit: Es geht im Sport immer um Sieg oder Niederlage, um Durchhalten oder Aufgeben. Und es ist hinzufügen: Dazu braucht man streng genommen nicht einmal einen Gegner - außer sich selbst! Wir sind wieder beim "Eigenleisten" (nach Lenk) angelangt.


Hans Lenk:
Ratzeburger Goldwasser - vom Lago Albano bis Lambarene.
Ein philosophieren - der Olympiasieger erinnert sich.
Bochum und Freiburg 2013: projectverlag. 344 Seiten; 19,80 Euro

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 4 / 21. Januar 2014, S. 38
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2014