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FORSCHUNG/106: Projet - Sozialwissenschaften und Fußball (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 10 vom 3. Juni 2008

Ein attraktives und verdächtiges Phänomen
Buch stellt Ergebnisse des Forschungsprojektes "Sozialwissenschaften und Fußball" vor

Von Michael Rautenberg


In den letzten zwei Jahren ist am Institut für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften der TU Dresden das Projekt "Sozialwissenschaften und Fußball" durchgeführt worden. Die Ergebnisse des Projekts sind - passend zur Europameisterschaft 2008 - in dem aktuell veröffentlichten Buch "Doppelpässe. Eine sozialwissenschaftliche Fußballschule" (Juventa Verlag) nachzulesen,

Der Fußball hat sich in die Mitte der Gesellschaft gespielt und die Gesellschaft scheint sich mit ihren Problemen im Fußball eingenistet zu haben. So ist ein "unschuldiges" Ballspiel in ungeahnte Schuldzonen geraten: Zuschauer und Fans tragen ihre Probleme ins Stadion, am Fußball wird vieles abgearbeitet und skandalisiert, was an Konflikten im Alltag und in der Gesellschaft ungelöst bleibt. Die Sozialwissenschaften versuchen deshalb seit geraumer Zeit, den Fußball als soziales Phänomen zu erklären, richtig ergründen konnten sie ihn nicht. Er entzieht sich der durchgängigen Analyse, bleibt in seinem Kern Leidenschaft. Diese Kette wurde in diesem Projekt nicht fortgesetzt, sondern das Magnetfeld Fußball - vor allem der Profifußball - wurde genutzt, um soziale und pädagogische Themen und Fragestellungen einmal anders zu beleuchten.

Der Profifußball und seine Szene sollten aber nicht zu einfach für die Gesellschaftskritik freigegeben werden. Es macht ja gerade seine Attraktivität aus, dass über ihn so viel transportiert werden, an ihm abgearbeitet werden kann. Längst wird das Erfolgsdenken in Wirtschaft und Politik über die Sprache des Fußballs ausgedrückt. Man will in der Champions-Leage spielen, das erste Tor schießen, den tödlichen Pass einleiten. Trainer werden für Managerkurse engagiert. Im Fernsehen gibt der Fußball Sprachbilder ab, die ihn gleichzeitig attraktiv und verdächtig und für Frauen schwer zugänglich machen. Dass die Fußballsprache ihre militärischen Wurzeln hat, kann man bis heute hören. Das macht sie wiederum für nationalistische Bilder zugänglich.

Große Profivereine haben eine Aura des Erfolgs um sich herum geschaffen. Deswegen haben Clubs wie Bayern München, Chelsea London oder Real Madrid soviele Fans, weil man bei diesen Mannschaften den Erfolg garantiert bekommt. Und dies in einer Zeit, in der das Risiko gewachsen ist, dass man nichts erreicht und einer unsicheren Zukunft entgegenlebt. Wo Chance und Risiko so dicht beieinander liegen, werden Haltepunkte gesucht.

Auch durch den Profifußball zieht sich jener Bruch, der in den Sozialwissenschaften als Auseinanderdriften von Lebenswelten und ökonomisch-gesellschaftlichen Systemen diagnostiziert wird. Die Fans zeigen Entfremdungserscheinungen, die neue Welt der VIP-Logen und der Vermarktungskampagnen zieht an und stößt zugleich wieder ab. Das zeigt sich auch bei den Profifußballern selbst. Sie sind Popstars geworden. Arbeit und Engagement, die Tugenden des traditionellen milieugebundenen Fußballs, zählen scheinbar nicht mehr. Die Spieler sind den Fans entrückt und werden von diesen doch wieder gesucht, weil sie sich in ihnen spiegeln wollen. Aber wehe, es wird ständig verloren. Dann werden sie in das Milieu der Maloche zurückgeholt: "Ihr sollt kämpfen", das heißt vor allem auch: "Ihr sollt arbeiten". Die Fans beschwören so das traditionelle Milieu des Fußballs und sonnen sich doch in seinen medialen Inszenierungen. Fußball ist heute Hochkultur und Alltagsmilieu zugleich, er trennt und führt wieder zusammen. Er ist transnational, multikulturell, öffnet sich vermehrt den Frauen und setzt doch immer wieder Sexismen, Nationalismen und Rassismen frei.

Der französische Sozialphilosoph Jacques Attali hat in seinem Buch "Eine kurze Geschichte der Zukunft" (Une brève histoire de l'avenir, Paris 2006) den zugleich globalisierten und milieugebundenen Fußball, dessen Regeln bis in die letzten Winkel der Erde gelten, als Modell für die zukünftige gouvernementale Entwicklung der Weltgesellschaft beschworen. So weit gehen wir nicht. Der Fußball ist ein Spiegel vieler Strömungen, die diese Welt und unser Empfinden in ihr bewegen. In diesem Sinne wurde in diesem Projekt über den Fußball - gleichsam in einem Doppelpassspiel - ein Zugang zu sozialpsychologischen und soziologischen Themen wie zu pädagogischen Problemen geschaffen. Der Fußball führt uns in die sozial entrückte Welt der Globalisierung, der aufbrechenden Rassismen und neuen religiösen Inszenierungen. In seinem Umfeld machen sich die Dynamiken sozialer Ausgrenzung und die Sehnsüchte nach Zugehörigkeit und Halt bemerkbar. Er präsentiert sich als ein Mikrokosmos, der nicht nur das Spiel und die Spieler, sondern genauso die Fans und Zuschauer und ihre Alltagswelten umfasst. So wie die Gesellschaft sich in den Jahrzehnten entwickwelt hat, haben diese Entwicklungen auch im Fußball ihre Spuren hinterlassen. Es ist ein schnelles Spiel der entscheidenden Augenblicke geworden, der digitalen Welt der neuen Medien angepasst. Entsprechend wird deutlich, wie Fußball heute medial inszeniert wird und wie sich z. B. im modernen System der Raumdeckung ein Wandel in der Wahrnehmung sozialer Wirklichkeit spiegelt, wie wir ihn auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen erleben. Deutlich wird auch seine Kraft der sozialen Integration: Ob es nun die "Ausländerfrage" ist, welche die Gemüter des nationalen Spiels beherrscht oder die Erfahrung, wie eng Aufstieg und Abstieg der eigenen Mannschaft bei vielen Fans mit dem eigenen Status verknüpft sind. Und schließlich: es gibt wohl kaum einen gesellschaftlichen Bereich, in dem sich die Genderfrage besser thematisieren lässt, als in dem des männlichen Fußballs, der doch inzwischen auch viele Frauen anzieht.


Die Ergebnisse des Projekts sind nachzulesen in:
Rautenberg, Michael/Tillmann,Angela/Böhnisch, Lothar (Hrsg.):
Doppelpässe. Eine sozialwissenschaftliche Fußballschule.
Weinheim und München: Juventa 2008, 292 S., 22 Euro. ISBN 978l3-7799-1739-7


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 19. Jg., Nr. 10 vom 03.06.2008, S. 3
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2008