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FORSCHUNG/119: Differentielle Kraftdiagnostik (f.i.t - Sporthochschule Köln)


f.i.t. - Forschung . Innovation . Technologie
Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 1/2009

Effektivitätsprüfung klassischer und moderner Krafttrainingsverfahren
Differentielle Kraftdiagnostik und moderne Trainingsregulation

Ein Beitrag von Ulrike Speicher und Heinz Kleinöder

Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik


Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Beschreibung der Durchführung und der Aussagemöglichkeiten einer modernen Kraftdiagnostik mit Kraft- und Wegsensoren, die eine genaue Beschreibung von Kraftparametern (z. B. Maximalkraft, Schnellkraft, Leistung etc.) zulässt. Klassische Methoden (z. B. Hypertrophie-, Kraftausdauer-, Maximalkrafttraining) und moderne Krafttrainingsmethoden (z. B. Vibration/EMS) werden hinsichtlich ihrer jeweiligen Anpassungen geprüft und praxisrelevante Schlüsse daraus abgeleitet.


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Die Entwicklung der individuellen Bestleistung im Leistungssport sollte auf der Basis einer effektiven Trainingsregulation erfolgen. Voraussetzungen dafür sind eine kontinuierliche, differenzierte Leistungsdiagnostik und eine konsequente Umsetzung der daraus resultierenden Ergebnisse in den aktuellen Trainingsprozess. Auf diese Weise können Entwicklungen sachgerecht im Längsschnitt beobachtet und Reize individuell gesetzt und angepasst werden. Insbesondere im Bereich der Kraftfähigkeiten erfolgt bislang eine professionelle Umsetzung dieses generellen Ansatzes eher selten bzw. nur in Ansätzen. Dabei nehmen die verschiedenen Dimensionen der Kraft eine häufig diskutierte Rolle im Trainingsprozess vieler Sportarten ein.

So verbleibt trotz der Vielzahl an Untersuchungen über das Krafttraining die Problematik, dass der mechanische Stimulus aus kinematischen und kinetischen Variablen (Kraft, Kontraktionsdauer, Leistung, Arbeit etc.), der zu Anpassungserscheinungen führt, weitgehend ungeklärt ist (CREWTHER, CRONIN & KEOGH 2005). Weiterhin sind die Beschreibungen der Belastungsnormative von Kraftübungen in der Literatur nicht hinreichend, um die jeweiligen Trainingsreize detailliert zu definieren und kausale Verbindungen zwischen "mechanobiological conditions" und strukturellen, kontraktilen und metabolischen Anpassungserscheinungen zu schaffen (TOIGO & BOUTELLIER 2006). Die Interpretation von zahlreichen Untersuchungen zum Krafttraining wird dadurch limitiert, so dass das Verständnis wie Kraft und Leistung gezielt gesteigert werden können unklar bleibt.

Dementsprechend ist es ein wesentliches Ziel des Forschungsprojektes klassische und moderne Kraftparameter, wie zum Beispiel Maximalkraft, maximale Leistung, Impulse, rate of force development (RFD) und rate of power development (RPD) etc., in ihrer Entwicklung durch mechanische und elektrische Stimulation im Detail zu untersuchen. Die Trainingsstimuli werden dabei durch ein Biofeedbackverfahren mit methodenspezifischer Standardisierung von Einzelwiederholungen gesetzt, damit sie den Ergebnissen der Kraftdiagnostik explizit zugeordnet werden können. Auf dieser Basis sollen differenzierte Trainingskonzepte für die Praxis offen gelegt werden, so dass ein professionelles Krafttraining als eine wesentliche Grundvoraussetzung im Leistungssport durchgeführt werden kann.


Methodik

80 Sportstudierende mit mindestens 2-jährger Krafttrainingserfahrung wurden auf die klassischen Trainingsgruppen Maximalkraft, Schnellkraft, Hypertrophie und Kraftausdauer, auf die modernen Verfahren Elektromyostimulation (EMS) und Vibration sowie auf gemischte Gruppen EMS/Hypertrophie und Vibration/ Hypertrophie randomisiert. Diese Trainingsformen werden mit spezifischen Reizkonstellationen belegt und mit Hilfe des Biofeedbacks standardisiert (Dauer von konzentrischer, exzentrischer und Umkehrphase in der Übungsbewegung, range of motion, Zusatzlast, Wiederholung, Sätze, Pausendauer, time under tension etc.). Das Training wurde vier Wochen lang durchgeführt. Der Fokus des Trainings lag auf der Beinmuskulatur. Die Eingangsdiagnostik fand unmittelbar vor und nach dem Training und nach einer zweiwöchigen Regenerationsphase an der Leg Extension und der Leg Curl Maschine statt.


Ergebnisse

Eine moderne Krafttrainingsregulation ermittelt differenzierte Anpassungen von standardisierten mechanischen und elektrischen Stimuli auf isometrische und dynamische Kraftparameter, so dass gezielte Trainingsempfehlungen für die Praxis gegeben werden können.

Ein besonders hervorzuhebendes Ergebnis der Studie ist die Erkenntnis, dass Anpassungserscheinungen muskelspezifisch ausgeprägt sind. Daraus lässt sich ableiten, dass die Funktionsweise der jeweiligen Muskulatur bei der Aufstellung von Trainingsdesigns zukünftig stärker bedacht werden muss. Klassische Trainingsformen mit einer hohen "time under tension", einer verlängerten exzentrischen Phase und einer kontinuierlich langsamen Bewegungsgeschwindigkeit (z. B. Hypertrophie- und Kraftausdauerdesign) weisen eine Verschiebung der Kraft-Zeit-Kurve zu höheren Kraftwerten und größeren Kraftimpulsen, insbesondere zu frühen Zeitpunkten (F30, F50, F100, F200, F500) auf (siehe Abb. 1).

So können solche Trainingsdesigns nicht nur zur Erarbeitung der Basisfähigkeiten Maximalkkraft sinnvoll genutzt werden, sondern auch als Grundlage für Schnellkraftfähigkeiten insbesondere im Kindes- und Jugendtraining von Interesse sein. Weiterhin bewirkte EMS-Training als einzige Trainingsform einen signifikanten Anstieg der maximalen Leistung (Pmax) ausschließlich über die Geschwindigkeitskomponente, die zusammen mit der Kraftkomponente die dynamische Leistungsfähigkeit bestimmt. Interessanterweise konnten selbst Trainingsgruppen mit typischen Schnellkraft- oder Maximalkraftdesigns die maximale Leistung nur in Verbindung mit beiden Komponenten oder ausschließlich über die Kraftkomponente signifikant steigern.

So erscheint ein dynamisches EMS-Training bei submaximaler Intensität neue Möglichkeiten zur Steigerung der praxisrelevanten maximalen Leistung (+30%) zu bieten. Zusätzlich bietet EMS-Training durch seine Langzeiteffekte neue Möglichkeiten in der Trainingsperiodisierung, da sich signifikante Verbesserungen erst nach zweiwöchiger Regenerationsphase zeigen (siehe Abb. 2).

Gemischte Trainingdesigns wie zum Beispiel EMS- und Hypertrophietraining weisen aus beiden Trainingsstimuli typische Anpassungserscheinungen auf, so dass Verbindungen aus klassischen und modernen Verfahren neue vielversprechende Reizkonstellationen eröffnet. Publikationen auf internationaler Ebene sind in Arbeit.


Literatur bei den Autoren.

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Verschiebung der Kraft-Zeit-Kurve am Beispiel der Beinstreckmuskulatur in der Hypertrophiegruppe.
Abb. 2: Beinbeugemuskulatur EMS: MW und SD der maximalen Leistung (Pmax [W]) bei 40% Zusatzlast.

Ulrike Speicher studierte Sportwissenschaften an der DSHS Köln und soziale Verhaltenswissenschaften an der Fernuniversität Hagen. Nach dem Diplomabschluss 2005 im Schwerpunkt "Training und Leistung" und ihrer leistungssportlichen Karriere in der Handballbundesliga, begann sie ein Promotionsstudium an der DSHS. Zurzeit ist sie am Institut für Trainingswissenschaften und Sportinformatik tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Kraftdiagnostik und Bewegungsforschung.
E-Mail: speicher@dshs-koeln.de

Dr. Heinz Kleinöder, geboren 1960 in Dinslaken, Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln, Diplom 1990, Promotion 1997, arbeitet seit 1990 am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule und leitet dort die Abteilung Kraftdiagnostik und Bewegungsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Kraft (traditionelles und Vibrations-Krafttraining) und Technik (Schwerpunkt Tennis). Er ist darüber hinaus in verschiedene A-Trainerausbildungen (Tennis, Volleyball, Eishockey) eingebunden. Praxiserfahrungen liegen im Mannschafts- (RTHC Leverkusen) und Einzeltraining (Autorennsport) vor.
E-Mail: kleinoeder@dshs-koeln.de


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Quelle:
F.I.T.-Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln
Nr. 1/2009 (14. Jahrgang), Seite 20-22
Herausgeber: Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski
Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln
Deutsche Sporthochschule Köln
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F.I.T. Wissenschaftsmagazin erscheint zweimal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2009