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FORSCHUNG/134: Die Angst des Superstars vor der Niederlage (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 128/Juni 2010
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Die Angst des Superstars vor der Niederlage

Experimente zeigen: Der Champion gibt auch bei schwacher Konkurrenz alles

Von Julia Schmid und Dietmar Fehr


Kurzgefasst: Ist ein Golfturnier mit oder ohne Superstar Tiger Woods attraktiver? Wenn die Veranstalter das Spiel so spannend wie möglich machen wollen, sollten sie dann den Favoriten lieber ausschließen, damit die übrigen Spieler sich mehr ins Zeug legen? Nein - denn Experimente zeigen, dass der Favorit sich selbst bei mangelnder Leistung seiner Konkurrenten so übermäßig anstrengt, dass dies alles überstrahlt. Angetrieben wird er von der Sorge, einen verpassten Sieg später bitter zu bereuen.


Die Tatsache, dass Golf-Superstar Tiger Woods über einen Skandal gestolpert ist, hat sicher bei so manchem Beobachter Schadenfreude ausgelöst. Seine Konkurrenten auf dem Grün dürften sich während Woods' zwischenzeitlicher Pause wieder Hoffnungen auf den einen oder anderen Turniersieg gemacht haben - was zuvor beinahe unerreichbar schien. So konnten auch die Konkurrenten des Radsportlers Fausto Coppi hoffen: 1953 ließen die Veranstalter der Tour de France den Champion Coppi einfach nicht zu. Sie wollten damit den Wettbewerb insgesamt attraktiver machen.

Ist es also sinnvoll, den Superstar aus dem Rennen zu nehmen, damit die Mitbewerber nicht völlig mutlos werden? In der Theorie konnte tatsächlich gezeigt werden, dass der Verzicht auf den Superstar unter bestimmten Umständen für einen Turnierveranstalter von Vorteil sein kann: weil sich dann nämlich die Konkurrenten mehr anstrengen, als wenn sie sich von vornherein chancenlos wähnen. Im Fall Tiger Woods belegen sogar empirische Studien, dass dessen Konkurrenten im Schnitt signifikant besser spielen, wenn Woods nicht am betreffenden Turnier teilnimmt.

Ökonomen nennen Situationen, in denen sich alle Beteiligten im Wettbewerb anstrengen müssen, aber nur einer den Preis bekommt, eine all-pay-Auktion. Bei der all-pay-Auktion müssen alle Bieter ihr Gebot bezahlen - obwohl nur derjenige mit dem höchsten Gebot den versteigerten Gegenstand tatsächlich bekommt. Ist es das Ziel des Auktionators, die Summe der Gebote zu maximieren, lässt sich im Modell in der ökonomischen Theorie zeigen, dass bei einer sehr heterogenen Bietergruppe - also einem sehr starken und vielen schwächeren Bietern - der Ausschluss des Stärksten von Vorteil für den Auktionator ist. Dies wird auch als exclusion-Prinzip bezeichnet. Es beruht auf der Annahme, dass die Bieter jeweils eine unterschiedliche - allgemein bekannte - Wertschätzung haben, die sie dem Gewinn der Auktion beimessen. Umgekehrt gilt, dass sich der Ausschluss des Bieters mit der höchsten Wertschätzung nicht lohnt, wenn die Bietergruppe in Bezug auf die Wertschätzungen der einzelnen Teilnehmer eher homogen ist. Im Sportbeispiel entspricht die Wertschätzung der Leistungsfähigkeit des Sportlers oder, anders gesagt, als Favorit geht derjenige ins Rennen, für den der Sieg am leichtesten zu erreichen ist.

Für eine WZB-Studie wurde diese Form der Turnierorganisation im Experiment getestet, um herauszufinden, ob die ökonomische Theorie das Verhalten der Teilnehmer gut beschreibt und das exclusion-Prinzip tatsächlich zutrifft. Dazu wurden 72 Studierende der Technischen Universität Berlin in das dortige Computerlabor eingeladen, um in Dreiergruppen hintereinander mehrere all-pay-Auktionen zu spielen. Zu gewinnen war in jeder Runde ein Preis in Form von Punkten, die am Ende in Euro umgerechnet und an die Teilnehmer ausgezahlt wurden. Den Teilnehmern wurde zu Beginn einer Runde per Los ihre "Wertschätzung" des Preises in Form einer gewissen Punktezahl zugeteilt. Es wurde also vorab bestimmt, wie wichtig ihnen der Preis war. Die zugeteilten Wertschätzungen der Bieter innerhalb einer Gruppe waren stets unterschiedlich.


All-pay-Auktionen können überall sein. Neben Sportwettkämpfen haben auch nichtsportliche Wettbewerbe den Charakter einer all-pay-Auktion: Alle Teilnehmer wenden Ressourcen auf, aber nur einer kann den Preis gewinnen. Lobbyarbeit ist so ein Fall. Mehrere Interessengruppen bearbeiten einen Entscheidungsträger, etwa durch Spenden. Dieser kann aber letztlich nur einen Politikvorschlag umsetzen. Übersetzt in die all-pay-Auktion entsprechen die Spendenbeträge den Geboten und der umgesetzte Politikvorschlag dem ausgelobten Preis in der Auktion. Ähnlich lassen sich Anreizmechanismen wie Beförderungsturniere oder die Kür des "Mitarbeiters des Monats" interpretieren.


Die Entscheidung des Wettkampforganisators, ob der Teilnehmer mit der höchsten Wertschätzung - also der Tiger Woods des Wettbewerbs - an der Auktion teilnehmen durfte oder nicht, wurde im nächsten Schritt per Zufallsgenerator bestimmt. Anschließend gaben alle teilnehmenden Bieter ihr Gebot ab. Demjenigen, der durch das jeweils höchste Gebot den Preis gewonnen hatte, wurde dafür ein bestimmter Wert auf seinem Punktekonto gutgeschrieben. Allen Bietern wurde gemäß den Regeln der all-pay-Auktion ein ihrem Gebot entsprechender Wert von ihrem Punktekonto abgezogen.

Das Experiment umfasste zwei Versuchsanordnungen. In der einen waren die Wertschätzungen so gewählt, dass es sich nach der theoretischen Vorhersage für den Auktionator lohnen sollte, den Bieter mit der höchsten Wertschätzung insgesamt auszuschließen. Das bedeutet, dass es sich um sehr heterogene Wertschätzungen handelte, dass es also stets einen Bieter in einer Gruppe gab, dessen Wertschätzung für den Preis sehr viel höher als die der anderen Bieter war. In der anderen Anordnung galt, dass der Ausschluss des stärksten Bieters nicht das Gesamtergebnis verbessern sollte. Hier handelte es sich also um eine wesentlich homogenere Bietergruppe.

Die Ergebnisse des im Labor getesteten Verhaltens stehen im starken Kontrast zur theoretischen Vorhersage: Sie besagen eindeutig, dass sich der Ausschluss des besten Bieters mit Blick auf die Gesamtsumme der abgegebenen Gebote nie lohnt - auch wenn er theoretisch lohnend sein sollte. Zwar hat ein Ausschluss dann weniger gravierende Konsequenzen für das Gesamtergebnis, wenn ein starker Favorit existiert, wenn also die Wertschätzungen einer Bietergruppe sehr heterogen sind. Dennoch lohnt sich der Ausschluss des Favoriten aufs Ganze gesehen in keinem Fall. Zwar erhöhen die schlechteren Bieter ihre Gebote deutlich, wenn der stärkste Bieter von der Auktion ausgeschlossen wurde. Das reicht aber nicht aus, um das verlorene Gebot des stärksten Bieters wettzumachen.

Das Experiment zeigt, dass das theoretische exclusion-Prinzip nicht zutrifft, was vor allem am Verhalten eines speziellen Mitspielers, des Favoriten, liegt. Wenn die stärksten Bieter an der Auktion teilnehmen dürfen, bieten diese nämlich fast doppelt so viel, wie es die Theorie vorhersagt. Diese Tendenz von Favoriten, sich übermäßig zu verausgaben, ist auch durch andere Studien belegt. Die Anwesenheit eines klaren Favoriten hat zur Folge, dass unterlegene Bieter wegen schlechter Gewinnchancen wenig für den eigenen Sieg tun oder sogar ganz aus dem Wettbewerb aussteigen - wie dies beispielsweise bei sportlichen Wettkämpfen oft zu beobachten ist. Dieser drop-out-Effekt wiederum müsste dazu führen, dass der beste Teilnehmer sich nicht übermäßig verausgabt, da er ja sowieso gewinnen wird.

Im Experiment sieht das anders aus: Hier scheinen die überlegenen Bieter einfach auf Nummer Sicher zu gehen, denn sie bieten in der Mehrheit der Fälle mindestens so viel wie die Bieter mit der zweitstärksten Wertschätzung. Das heißt, sie stellen durch ihr besonders hohes Gebot sicher, dass sie die Auktion auf jeden Fall gewinnen. Zwar reduziert der übermäßig hohe Einsatz der stärksten Bieter ihren erzielten Gewinn. Sie gehen jedoch dennoch lieber kein Verlustrisiko ein. Diesen Bietern scheint also ein geringer sicherer Gewinn bedeutend lieber zu sein als ein hoher Gewinn, der mit Unsicherheit behaftet ist. Überraschend ist, dass diese Sicherheitsstrategie des übermäßig hohen Bietens dann am häufigsten angewandt wird, wenn die Favoriten dem jeweils zweitstärksten Bieter deutlich überlegen sind.

Dieses Verhalten ist nicht durch die ökonomische Standardtheorie gedeckt. Dem Verhalten der stärksten Bieter müssen demnach Präferenzen zugrunde liegen, die nicht der Standardtheorie entsprechen. Die Sorge der stärksten Spieler, es später zu bereuen, wenn sie beim Spiel auf Risiko weniger als die zweitstärksten bieten und dann verlieren, führt zum übermäßigen Bieten. Wenn die Stärksten also voraussehen, dass sie sich später darüber ärgern werden, durch risikoreicheres Vorgehen den Preis womöglich nicht zu holen, werden sie sich im Zweifel stets für die sichere Strategie entscheiden. Je höher nämlich der in Aussicht stehende sichere Gewinn ist, desto größer wird ihr Bedauern sein, sollten sie ihn versäumen - nur weil sie zu "gierig" waren und weniger als die Mitbewerber mit der zweitstärksten Wertschätzung geboten haben. Dies erklärt, warum die Bieter häufiger dann auf Nummer Sicher gehen, wenn sie ihrem Mitbieter weit überlegen sind, und warum sie eher auf Risiko spielen, wenn die Überlegenheit nicht so ausgeprägt ist.

Übermäßiges Bieten kann bei anderen Auktionsformen auch durch ein anderes Motiv als das "Vermeiden von nachträglichem Bereuen" erklärt werden: Der Bieter könnte einfach Angst vor Verlusten haben, denn auch dann möchte er den Gewinn der Auktion durch ein besonders hohes Gebot sicherstellen. Was dieser Ansatz aber nicht erklären kann, ist die im Experiment beobachtete Sicherheitsstrategie in dem Fall, dass die Überlegenheit des Favoriten besonders groß ist. Dieses Phänomen ist nur mit dem Motiv des Bereuens zu erklären. Für den Organisator der Auktion lohnt sich aufgrund dieser Verhaltensweise der Mitspieler im Experiment der Ausschluss des besten Bieters in keinem Fall, da dieser Favorit um des sicheren Gewinns willen viel mehr einsetzt, als er nach der Theorie sollte - aus Sorge, ein risikoreiches Verhalten später zu bereuen.

Diese Erkenntnis können sich nicht nur Sportveranstalter zunutze machen, wenn es um ein gutes Gesamtergebnis für ein Team oder in einem Wettbewerb geht. Als Beispiel sei ein Team von Außendienstmitarbeitern angeführt, deren Leistung an der Gesamtmenge der Verkäufe gemessen wird. Typischerweise gibt es hier Prämien für den besten Verkäufer. Sollte ein Unternehmen nun also eher Wert darauf legen, Teams aus ähnlich guten Verkäufern zusammenzusetzen, oder ist es für den Gesamtumsatz besser, einen Topverkäufer in einem Team zu haben? Das Experiment lässt darauf schließen, dass zwar die weniger begnadeten Verkäufer durch den Superverkäufer im Team unter ihren Möglichkeiten bleiben - denn sie halten den Preis für unerreichbar und strengen sich entsprechend weniger an. Dennoch ist zu erwarten, dass der Superverkäufer einen außerordentlichen Einsatz zeigt, um sich nur ja den ausgelobten Preis zu sichern. Dadurch erzielt er ein so gutes Ergebnis, dass das Gruppenergebnis insgesamt profitiert und das Ergebnis einer homogeneren Verkäufergruppe übertreffen kann.


Julia Schmid arbeitet seit Oktober 2009 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der WZB-Abteilung Verhalten auf Märkten. Zuletzt war die Volkswirtin als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin tätig. Sie interessiert sich für Fragen der Personal- #und Verhaltensökonomik, die sie unter anderem mit Hilfe von Experimenten untersucht.
jschmid@wzb.eu

Dietmar Fehr ist seit Herbst 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Verhalten auf Märkten. Zuvor studierte er Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien und am Institut für Höhere Studien Wien. Fehr beschäftigt sich mit Spieltheorie und experimenteller Wirtschaftsforschung, vor allem mit Vertrauen und Koordinationsproblemen.
fehr@wzb.eu


Literatur

Wieland Mueller, Andrew Schotter, "Workaholics and Drop-outs in Optimal Organizations", in: Journal of the European Economic Association, 2010 (im Erscheinen)

Dietmar Fehr, Julia Schmid, Exclusion in the All-Pay Auction: An Experimental Investigation, WZB-Discussion Paper, SP II 2010-04

Jennifer Brown, Quitters Never Win: The (Adverse) Incentive Effects of Competing with Superstars, Working Paper, Evanston, IL: Kellogg School of Management 2008


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 128, Juni 2010, Seite 21-23
Herausgeber:
Der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2010