Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → FAKTEN


FORSCHUNG/154: Preisgekrönte Wissenschaftsbeiträge (Teil 4) (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 12 / 17. März 2015
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Preisgekrönte Wissenschaftsbeiträge (4)

Bewegungskoordination - Der Blick ins Gehirn
Zusammenfassung der Habilitationsschrift "Sensorimotor Control and Associated Brain Activity in Sports Medicine Research"


Seit 1953 verleiht der Deutsche Olympische Sportbund (vor 2006 die Vorgängerorganisation Deutscher Sportbund) alle zwei Jahre den DOSB-Wissenschaftspreis (früher Carl Diem Plakette) für herausragende sportwissenschaftliche Qualifikationsarbeiten. Die DOSB-PRESSE stellt die herausragenden Forschungsleistungen der fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor, deren Arbeiten im Januar in der Orangerie in Erlangen mit dem DOSB Wissenschaftspreis 2013/2014 ausgezeichnet wurden. Im vierten Teil der Serie fasst Jochen Baumeister von der Universität Paderborn seine Habilitationsschrift "Sensorimotor Control and Associated Brain Activity in Sports Medicine research" zusammen. Er erhielt dafür den Zweiten Preis. Weitere Informationen zum DOSB-Wissenschaftspreis finden sich online unter
www.dosb.de

*

 

Bewegungskoordination - Der Blick ins Gehirn

Zusammenfassung der Habilitationsschrift "Sensorimotor Control and Associated Brain Activity in Sports Medicine Research"   Von Jochen Baumeister


Die Koordination von Bewegung ist nach wie vor eines der großen Mysterien im Sport. Der Begriff Koordination beschreibt ein Zusammenspiel von biologischen Systemen, in diesem Fall des Nervensystems und des muskuloskeletalen Systems. Dabei ist unbestritten, dass das Gehirn als Ausgangspunkt und Kontrollinstanz der Bewegungskoordination bezeichnet werden kann. In der Sportmedizin ist das Gehirn und damit einhergehend das Nervensystem im Vergleich zu anderen biologischen Systemen wie z.B. dem kardiorespiratorischen System lange ignoriert worden. Erst langsam nähert sich diese Fachdisziplin dem Thema an.

Bewegungskoordination, sensomotorische Kontrolle und das Gehirn

Als integrativer Teil der Bewegungskoordination beschreibt die sensomotorische Kontrolle sowohl sensorisch-rezeptive Anteile, die Sinnesinformationen aus der Peripherie an das Gehirn senden (Efferenzen), als auch motorische Anteile (Afferenzen), die die auszuführenden Bewegungen und deren Kontrolle parametrisieren. Das Gehirn fungiert als oberste Steuerinstanz und verbindet Sensorik und Motorik zu einer sinnvollen, präzisen und effektiven Bewegung. Das Leitmotiv aus zehn meiner Habilitation zugrundeliegenden Experimenten kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Welche Gehirnareale sind bei sensomotorischen Prozessen aktiv und wie beansprucht sind sie? Die Ergebnisse sollen ein erster Schritt sein, Netzwerke und Mechanismen im Gehirn aufzudecken, die für Zielbewegungen unter Sport-, Ermüdungs-, und Verletzungsbedingungen verantwortlich sind.

Um dem Gehirn bei der Arbeit zusehen zu können, bedarf es geeigneter Methoden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich diese in den Neurowissenschaften unglaublich weiterentwickelt. Insbesondere die bildgebenden Verfahren wie z.B. die Magnetresonanztomographie (MRT) erlauben einen detaillierten, räumlich exakten Blick ins Gehirn. Allerdings stellt uns der Sport bei der Messung vor besondere Herausforderungen: Die Messapparatur sollte mobil einsetzbar sein. Damit scheiden Verfahren wie z.B. das MRT aus, können aber integrativ zur Hypothesengenerierung und -überprüfung herangezogen werden. Daher bleibt als eine der Methoden der Wahl die Elektroenzephalographie (EEG), die zwar räumlich nicht so genau wie das MRT, dafür aber zeitlich hochaufgelöst (ms) messen kann und in punkto Mobilität den Herausforderungen des Sports genügt. (Die leichtesten Komplettsysteme, mit denen wir beim Skispringen messen, wiegen nur noch etwa 200 Gramm und senden die Daten valide an ein Smartphone!)

Die Elektroenzephalographie ist ein Verfahren, das elektrische Hirnströme erfasst und in der Lage ist, Aktivitäten über Potentialschwankungen abzubilden, die ihre Ursache in physiologischen Vorgängen neuronaler Zellensembles haben. Im Verfahren, das ich für den Ansatz der Forschungsarbeiten gewählt habe (Fast Fourier Transformation), wird die elektrische Aktivität in definierte Frequenzbereiche (z.B. Theta, Alpha, Beta) zerlegt. Die spektrale Leistung in den unterschiedlichen Frequenzen kann dann ortsbezogen auf ausgewählte Aktivitätszustände in bestimmten Gehirnarealen zurückgeführt werden. Dabei ist es keineswegs trivial, die Gehirnaktivität des Golfers beim Putten oder die des Sportlers bei Präzisionsaufgaben nach einer Ausbelastung zu messen, da die auftretenden Artefakte wie z.B. Schweiß, schnelle Bewegungen, elektrische Muskelaktivität etc. das Messergebnis beeinflussen können. Trotz der genannten Einschränkungen hat sich das EEG über die Jahre auch in realen Umgebungen vor, während und nach Bewegungen als valides Messinstrumentarium etabliert.

Die Brücke zwischen Sensorik und Motorik

Die Millionen von Neuronen im Gehirn arbeiten in Netzwerken zusammen. Vereinfachend können wir sagen, dass die Netzwerke in der hinteren kortikalen Hälfte des Gehirns eher mit sensorischer (perception circuits), die Netzwerke in der vorderen kortikalen Hälfte eher mit (motorischer) Aktion (Action circuits) in Verbindung gebracht werden. Eine Brücke zwischen diesen beiden Teilen bildet das Arbeitsgedächtnis, das - einfach gesagt - die eingehenden, sensorischen Informationen kurzzeitspeichert, filtert und für kommende Aktionen zur Verfügung stellt. Dazu konnten in den vergangenen Jahren in der kognitiven Neurowissenschaft charakteristische EEG-Leistungen in verschiedenen Frequenzbereichen gemessen werden, die mit den Aktivitäten und Funktionen des parietalen Kortex (somatosensorischer Kortex, perception circuit) und dem frontalen Kortex (z.B. Anteriorer Cingulärer Cortex/ACC, Action circuit) in Zusammenhang gebracht wurden.

Daten im Bewegungszusammenhang fehlten allerdings bislang. Die dem Forschungsprogramm übergeordnete Fragestellung (working-memory-hypothesis) sollte nun eruieren, ob das EEG während verschiedener Zielbewegungen in unterschiedlichen Bedingungen ableitbar ist und ob spektrale EEG-Leistungen die Beanspruchung in den perception and action circuits beschreiben können. In den Untersuchungen des Forschungsprogrammes wurden unterschiedliche sensomotorische Präzisionsaufgaben von Winkelreproduktionen in einzelnen Gelenken bis hin zum komplexen Golfputt in unterschiedlichen Bedingungen wie z.B. Beanspruchung/Ermüdung, Verletzung und Expertise durchgeführt und gleichzeitig die elektrische Gehirnaktivität gemessen. Übergreifend konnten wir zeigen, dass es möglich ist, unter den beschriebenen für den Sport relevanten Bedingungen die Gehirnaktivität abzuleiten. Darüberhinaus zeigte sich eine frontale Thetaleistung sensitiv für Beanspruchung in den action circuits. Demgegenüber kann die parietale Alpha-2 Leistung einen Beanspruchungsparameter für sensorische Informationsverarbeitung in den perception circuits darstellen.

Zusammenfassend kann gefolgert werden, dass perception und action circuit in der Bewegungskoordination eine Rolle spielen und Beanspruchungen auf Gehirnebene mittels EEG dargestellt werden können.

Zukunftsperspektiven einer neurowissenschaftlichen Forschungsrichtung

Das Wissen um Lokalisation und Ausmaß der Beanspruchung des Arbeitsgedächtnisses im Gehirn während unterschiedlicher Bewegungsaufgaben kann nur der Startpunkt für weitere Untersuchungen sein. Dies führt jedoch zwangsläufig zu der Frage, wie die unterschiedlichen Gehirnareale miteinander im Netzwerk kommunizieren und interagieren und dabei das Arbeitsgedächtnis "bilden". Erst mit dem Abbild der Kommunikation innerhalb des Gehirns sowie zwischen Gehirn und Muskeln werden wir in der Lage sein, Bewegungskoordination physiologischen Mechanismen zuzuordnen. Sie werden es uns nicht nur möglich machen, gezielter in der Wiederherstellung und dem Erhalt der Gesundheit sowie in der Leistungsentwicklung zu intervenieren, sondern auch über Netzwerkbiomarker ein Koordinationstraining physiologisch basiert zu planen, durchzuführen und zu kontrollieren. Der Kerngedanke besteht darin, das Gehirn als interagierendes Netzwerk und nicht als isolierte Gehirnareale zu verstehen. Durch Ansätze der Konnektivitätsanalysen und Graphentheorie während der aufgabenbezogenen Bewegung werden wir in Zukunft dieser Kommunikation im Gehirn näher kommen.

Ein Blick in die Zukunft der Neurowissenschaften im Sport kommt nicht an dem sich seit einigen Jahren vollziehenden Paradigmenwechsel in der Hirnforschung vorbei. Lange Zeit wurde angenommen, dass das Gehirn während der Bearbeitung von Aufgaben aktiviert, allerdings während entsprechender Ruhephasen kaum Aktivität vorhanden ist. Mit der Beschreibung von Ruhenetzwerken (resting state networks), u.a. des sogenannten Default Mode Netzwerks (DMN), konnte gezeigt werden, dass das Gehirn in diesen Ruhephasen einen Grossteil der Energie verbraucht und dieser Verbrauch in Aktivität nur noch geringgradig gesteigert wird. Das DMN bildet dabei ein übergeordnetes Kontrollnetzwerk für verschiedene hierarchisch organisierte Hirnfunktionen und ist nicht nur an der Kontrolle und präzisen Ausübung sportlich koordinativer Leistung beteiligt, sondern lässt sich durch beanspruchende Bedingungen (z.B. neurodegenerative Erkrankungen, Sportverletzungen und Ermüdung) strukturell und funktionell verändern. Man kann feststellen, dass einige der in meinen Untersuchungen lokalisierten Gehirnareale mit Knotenpunkten des Default Mode Netzwerkes überlappen. Die Aufklärung dieser Zusammenhänge wird uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten beschäftigen und in einem interdisziplinären Team von Sportmedizinern, Neurologen, Sportwissenschaftlern, Ingenieuren und Informatikern antreiben.

Es bleibt also viel zu tun und wir stehen gerade erst am Anfang eines spannenden Forschungsgebietes im Sport, das sich in den nächsten Jahren sicherlich rasant entwickeln wird.

*

Quelle:
DOSB-Presse Nr. 12 / 17. März 2015, S. 20
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Telefon: 069/67 00-236
E-Mail: presse@dosb.de
Internet: www.dosb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang