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GESCHICHTE/100: Sorg und von Mengden - bedeutende Wegbereiter des deutschen Sports (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 43 / 21. Oktober 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Zwei bedeutende Wegbereiter des deutschen Sports
Im November vor 110 Jahren wurden Guido von Mengden und Heinrich Sorg geboren

Von Friedrich Mevert


Sie kamen in der Vorkriegszeit aus unterschiedlichen Gesellschafts- und Sportsystemen, aus der bürgerlichen Spiel- und Fußballbewegung der eine, aus dem sozialistischen Arbeitersport der andere, doch sie wurden im gleichen Monat des gleichen Jahres noch im 19. Jahrhundert geboren, und sie bauten gemeinsam nach Kriegsende und dem Zusammenbruch des NS-Regimes in der Mitte des 20. Jahrhunderts die neue demokratische Sportbewegung und insbesondere den Deutschen Sportbund auf. Die Rede ist von Guido von Mengden und Heinrich Sorg, die beide im November vor 110 Jahren geboren wurden.


Sorg - der Mann aus der Arbeiterschaft

Noch überzeugter als andere Arbeitersportler seiner Jahrgänge hatte sich Heinrich Sorg bereits als junger Mensch in der Weimarer Republik gegen den wachsenden Einfluss der Nationalsozialisten gewandt, auch im aktiven Kampf im Rahmen der "Eisernen Front", deren Kampfleitung im Rhein-Main-Gebiet er angehörte. So geriet er in große Gefahr und musste - nach einer verratenen Aktion - bereits 1933 in die Tschechoslowakei flüchten und von dort sechs Jahre später nach England. Dies dürfte auch ein Grund dafür gewesen sein, dass er sich nach Kriegsende 1945 zunächst nachhaltig für die Wiederbegründung der Arbeitersportverbände einsetzte, wobei er aber im Nachkriegsdeutschland auf Widerstand stieß und sich nicht durchsetzen konnte.

Im hessischen Bischofsheim in der Nähe von Hanau wurde Heinrich Sorg am 7. November 1898 geboren. Der Sohn einer Arbeiterfamilie engagierte sich schon als 15-jähriger Schüler in der Sozialistischen Arbeiterjugend, wurde Mitglied in der Freien Turnerschaft und arbeitete nach Schulabschluss und Ausbildung zunächst als Bürokaufmann. Er trat 1917 der SPD bei, wurde im Frankfurter Westend Vorsitzender des Arbeiter-Sportvereins und begann seine hauptberufliche sportpolitische Laufbahn 1926 als Sekretär des ATSB-Kreises Frankfurt am Main. Während der Emigration vertrat er - zunächst in Prag, später von 1942 bis 1946 in London - den deutschen Arbeitersport in der Sozialistischen Arbeitersport-Internationale (SASI). Gemeinsam mit seiner Frau Rosa leitete er während der Jahre im britischen Exil ein Kinderheim.

Gleich nach Kriegsende bemühte sich Heinrich Sorg zunächst noch von England aus um den Neuaufbau der Arbeitersportorganisation, stieß dabei jedoch auf den Widerstand von Fritz Wildung und anderer ehemaliger ATSB-Funktionäre, die eine Einheitssportbewegung unter Einschluss der ehemaligen bürgerlichen und konfessionellen Verbände anstrebten. Im Juli 1946 kehrte Sorg aus London in seinen Heimatort Bischofsheim zurück, trat im September des gleichen Jahres als Leiter der Abteilung Sport in der Sozialistischen Kulturzentrale in Frankfurt die Nachfolge von Fritz Wildung als Sportreferent der SPD an und wurde bei der Gründungsversammlung des Landessportverbandes Hessen am 12./13. Juli 1947 in Mörfelden als Stellvertreter von Heinz Lindner zum 2. Vorsitzenden des späteren Landessportbundes (LSB) Hessen gewählt.

In diesem Amt wirkte Heinrich Sorg 16 Jahre bis zu seinem Tode und arbeitete erfolgreich vor allem beim Aufbau der Sportjugend, der Förderung des Sports auf kommunaler Ebene und im Breiten- und Freizeitsport. Er nahm neben Lindner als hessischer Vertreter an den zahlreichen Vorbereitungskonferenzen zur Gründung des Deutschen Sportbundes und auch an der DSB-Gründungsversammlung 1950 in Hannover teil. Im DSB wirkte er im Sportbeirat als Vertreter der ehemaligen Arbeitersportler mit und brachte seine Ideen in die Erarbeitung der Programme mit ein, die später als "Zweiter Weg" und "Goldener Plan" verwirklicht wurden.

Innerhalb der SPD bemühte sich Sorg, einerseits die Bedeutung des Sports in den Parteiprogrammen und Parteigremien aufzuwerten und nahm dafür zahlreiche Auseinandersetzungen in Kauf. Andererseits stellte er sich als Aufgabe, alle ehemaligen Arbeitersportler in die Einheitssportbewegung in der Bundesrepublik zu integrieren und in ein gemeinsames Konzept einzubinden, ein Ziel, das ihm jedoch aus verschiedenen Gründen nicht gelang. Mit Härte führte er über Jahre einen Kampf gegen Carl Diem, dessen Tätigkeiten in der NS-Zeit er für unvereinbar mit der Übernahme von neuen Ämtern im Sport der Nachkriegszeit hielt. Die Wahl Diems in das neu gegründete NOK für Deutschland und die Berufung Diems zum ersten - nebenamtlichen - Sportreferenten der Bundesregierung empfand er als eine Provokation der ehemaligen Arbeitersportler, wurde aber in dieser Frage nicht von allen Teilen der SPD unterstützt. Erst später fand sich Sorg mit manchen politischen und personellen Entwicklungen im Sport der Nachkriegsjahre ab.

In den fünfziger Jahren arbeitete Heinrich Sorg als Stellvertreter Heinz Lindners innerhalb des LSB Hessen vor allem daran, seine programmatischen Ideen vom Volkssport in einen - alternativ zum traditionellen Wettkampfsport stehenden - Freizeitsport für alle Bürger einzubringen. Viel zu früh starb er im 65. Lebensjahr am 21. September 1963 und fand seine letzte Ruhestätte im heimatlichen Bischofsheim.

Aus Anlass von Heinrich Sorgs 100. Geburtstag am 7. November 1998 erhielt der Landessportbund Hessen durch eine Stiftung ein völlig unerwartetes Millionengeschenk. Ingeborg Sorg-Häfner, die Tochter von Heinrich Sorg, übereignete dem von ihrem Vater ganz wesentlich mitaufgebauten LSB ein 18.000 qm großes Grundstück in Schlangenbad.


Von Mengden - der Mann aus dem bürgerlichen Lager

"Guido von Mengden hat ein Leben lang mit weitblickenden Ideen und Initiativen dem Sport gedient. Die Ausgestaltung der 1950 im Deutschen Sportbund gefundenen Einheit ist mit seinem Namen ebenso verbunden wie so mancher geistige Anstoß für die Olympische Bewegung. Er hat allen das Maß der hohen Leistung gesetzt." So heißt es 1982 in dem von den Präsidenten des DSB, Willi Weyer, und des NOK, Willi Daume, unterzeichneten Nachruf für den Mann, der über fast vier Jahrzehnte in unterschiedlichen politischen Systemen einer der profiliertesten Männer und geistig führenden Köpfe des deutschen Sports war.

Guido von Mengden wurde am 13. November 1898 als Sohn des Obergütervorstehers Friedrich von Mengden in Düren (Rheinland) geboren. Die Familie stammte aus altem westfälischen Adel. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums nahm er als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und wurde als Offiziersbewerber und Sturmtruppführer im Juni 1916 vor Verdun schwer verletzt. Das im Sommer 1917 in Bonn begonnene Studium der Geodäsie schloss der vielseitige Sportler 1919 mit dem Staatsexamen als Landvermesser und Kulturingenieur ab und arbeitete in den folgenden Jahren zunächst in einer niederrheinischen Genossenschaft als Leiter der Vermessenstechnik.

1924 unternahm von Mengden einen beruflichen Wechsel und wurde Sportjournalist. Bereits ein Jahr später wurde er Geschäftsführer des Westdeutschen Spielverbandes in Duisburg, gestaltete dort - auch basierend auf seinen Erfahrungen als junger Pfadfinder - die Grundlagen für eine umfassende sportliche Jugendarbeit und Jugenderziehung und fungierte als Schriftleiter des WSV-Organs "Fußball und Leichtathletik". 1933 wurde von Mengden vom Deutschen Fußball-Bund in dessen Führungsspitze nach Berlin berufen und mit der Redaktion des DFB-Organs "Deutscher Fußball-Sport" sowie der Leitung des Jugendressorts in der DFB-Geschäftsstelle beauftragt. In der Reichshauptstadt startete der zwischenzeitlich in die NSDAP eingetretene von Mengden vor allem auf Grund seines publizistischen Wirkens eine steile Karriere, die ihn über das Amt des Pressereferenten des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (1935) und des Generalreferenten des Reichssportführers (1936) bis zum Stabsleiter des NS-Reichsbundes für Leibesübungen (1938) führte. Als Chef der deutschen Sportverwaltung war er zudem Hauptschriftleiter des "NS-Sport", des amtlichen Organs der nationalsozialistischen Reichssportführung. In den letzten Monaten des Dritten Reiches leitete er ein Volkssturmbataillon der Reichssportführung im kriegszerstörten Berlin.

Nach Kriegsende ging von Mengden zunächst nach Rügen und von dort 1948 in seine niederrheinische Heimat zurück, wo er - anfangs als Publizist und noch im Hintergrund - als Helfer von Dr. Bauwens und anderen am Wiederaufbau der Sportorganisation in Westdeutschland mitwirkte. 1951 wurde er von Georg von Opel zum Geschäftsführer der Deutschen Olympischen Gesellschaft bestellt und prägte die Ziele dieser neuen Organisation im deutschen Sport. 1954 berief ihn dann - in Kenntnis seiner NS-Vergangenheit - das Präsidium des Deutschen Sportbundes als Nachfolger des bisherigen Geschäftsführers Dr. Baum zum Hauptgeschäftsführer des DSB in Frankfurt. Hier leistete er für ein Jahrzehnt mit seiner Vielseitigkeit und seinem profunden Wissen Generalstabsarbeit für Willi Daume als DSB- und NOK-Präsident, was ihm auch die Ehrenbezeichnung der "grauen Eminenz des deutschen Sports" einbrachte. Besonders engagierte sich Guido von Mengden für die Verbesserung des Schulsports und war letztlich auch Auslöser der 1955 von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten "Empfehlungen zur Förderung der Leibeserziehung in den Schulen".

Am. 31. Dezember 1963 ging Guido von Mengden im Alter von 65 Jahren als Hauptgeschäftsführer des DSB und des NOK für Deutschland in den Ruhestand, hatte aber zuvor in seinen letzten Dienstjahren in der DSB-Hauptverwaltung aus einem halben Dutzend engagierter Endzwanzigern bis Mittdreißigern - Karlheinz Gieseler als Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Walther Tröger als Referent für Auslandsarbeit und Entwicklungshilfe, Jürgen Palm als Referent für den Zweiten Weg, Frieder Roskam als Leiter der Übungsstätten-Beratungsstelle sowie Alfons Spiegel und Friedrich Mevert als Geschäftsführer der DSJ - gemeinsam mit Präsident Willi Daume ein junges Führungsteam aufgebaut, das in den folgenden Jahrzehnten die weitere Entwicklung des DSB ganz wesentlich mitgestaltete. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Guido von Mengden in einem Seniorenheim in Gottingen, wo er nach langer, schwerer Krankheit am 4. Mai 1982 starb.

Noch als 84-Jähriger hatte von Mengden, ohne dessen Ideen, Konzeptionen und Vorarbeiten viele wichtigen Sportentwicklungen der Nachkriegszeit kaum denkbar wären, in einer 170-seitigen Schrift "Umgang mit der Geschichte und den Menschen" zur Machtübernahme im deutschen Sport durch die NSDAP ausführlich Stellung genommen und damit seinen letzten Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung und zur Beurteilung seines persönlichen Wirkens für den Sport im nationalsozialistischen Dritten Reich geleistet.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 43 / 21. Oktober 2008, S. 28
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2008