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GESCHICHTE/130: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 33 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 20 / 12. Mai 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1959/IV: Willi Daume zur Bildung der gesamtdeutschenOlympiamannschaften für 1960
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 33)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Zahlreiche Ost-West-Verhandlungen in diesem Jahr sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR galten der Aufstellung und Entsendung einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft zu den Olympischen Spielen 1960 in Squaw Valley und Rom. IOQ-Präsident Avery Brundage war ein hartnäckiger Verfechter deutscher Gemeinsamkeiten und widersetzte sich dem DDR-Wunsch nach einer eigenen Mannschaft. Die Beethoven-Hymmne ("Freude schöner Götterfunken") für Siegerehrungen und die schwarz-rot-goldene Flagge mit den weißen olympischen Ringen in der Mitte stellten die Kompromisslösungen für das gemeinsame Team dar, die übrigens bei Bundeskanzler Konrad Adenauer und der Bundesregierung auf heftige Kritik und Ablehnung stießen. In seiner 35. Sitzung am 5. Dezember in Hannover erklärte das DSB-Präsidium aber ausdrücklich, dass bei keiner Sportveranstaltung in der Bundesrepublik die Staatsflagge der DDR zugelassen werde.

Mit welchen Schwierigkeiten und Widrigkeiten sich die bundesdeutsche Sportführung dabei auseinanderzusetzen hatte, schilderte DSB-Präsident Daume im November 1959 in einem Rundschreiben an alle Mitgliedsorganisationen:

"Verschiedene Kreise der sowjetzonalen Sportführung geben neuerdings Erklärungen heraus, mit denen man 'den Sportlern der Bundesrepublik helfen will, bestehende Schwierigkeiten, die von Bonner Regierungsstellen gemacht würden, zu überwinden'. Das geschah zum Beispiel im Zusammenhang mit der Bildung der gesamtdeutschen Olympiamannschaft, mit der Problematik der neuen Zonenflagge auf sportlichem Gebiet und auch bei anderen Gelegenheiten.

Es ist zu erklären, daß der Sport der Bundesrepublik einer solchen Hilfestellung nicht bedarf, schon gar nicht gegen Organe des Parlaments und der Bundesregierung und am allerwenigsten durch die SED-Sportführung. Wenn wir es für notwendig erachten, besprechen wir gewisse Fragen, die politische Gebiete berühren, mit den dafür zuständigen Bonner Persönlichkeiten und Gremien, um anschließend frei und unabhängig und ohne politischen Zwang im Rahmen der bestehenden Gesetze unsere Entscheidungen in dieser Hinsicht zu treffen.

Selbstverständlich soll auch die gemeinsame deutsche Olympiamannschaft ohne politische Beeinflussung nach sportlichen Prinzipien gebildet werden. Obwohl alle Welt weiß, wie sehr es oft der anderen Seite an den letzteren fehlt, sind wir immer zu sachlichen, von politischer Intransingenz freien Verhandlungen bereit, die ja notwendig sind. Wir haben niemals Regelungen unsere Zustimmung versagt, die geeignet erschienen, das Gemeinsame zu betonen und das Trennende zurückzustellen.

Im Gegensatz dazu war die sowjetzonale olympische Verhandlungsdelegation bisher in der Frage des Emblems unnachgiebig und wollte auf ihrem Staatswappen bestehen. Mit Brief vom

27. Oktober 1959 hat der von uns zur Entscheidung angerufene IOC-Präsident Brundage jetzt bestätigt, daß die deutschen Olympiamannschaften nur ein Emblem haben dürfen, welches von allen Mitgliedern zu tragen ist.

In der Flaggen-Frage haben wir noch nicht um eine Entscheidung des IOC nachgesucht, weil das Problem bedauerlicherweise durch das neue ostdeutsche Flaggen-Gesetz neu aufgetaucht ist. Es ist auch von uns entgegen einer Erklärung des sowjetzonalen NOK noch keinerlei Zustimmung zu irgendwelchen Regelungen erfolgt. Ost-NOK-Präsident Schöbel ist lediglich anheimgestellt worden, uns auf Grund des neuen Gesetzes neutrale Vorschläge zu machen. Fest steht einstweilen nur, daß die Wunschregelung der Zone, beide deutschen Flaggen zu nehmen, nicht akzeptiert wird, sogar überhaupt nicht diskutierbar ist. U. a. würde eine solche Maßnahme auch gegen die olympischen Regeln verstoßen.

Inzwischen hat nun IOC-Kanzler Otto Mayer auf Anfrage des Organisationskomitees von Squaw Valley bekanntgegeben, 'daß die vereinte deutsche Mannschaft unter einer einzigen Flagge zu erscheinen hat: Schwarz-Rot-Gold, welches ihre Fahne ist'. Es ist Sache des sowjetzonalen NOK, sich zunächst mit dieser Bekanntgabe auseinanderzusetzen.

Neben diesen Fragen wurden inzwischen aber auch noch eine Reihe anderer Probleme aktuell. So hat der Bund Deutscher Radfahrer den Radsportverband der Zone darum gebeten, die Stuttgarter Beschlüsse zu revidieren, weil man bei der Nominierung der Straßenfahrer von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei. Der Verband der Zone hat den Wunsch des BDR mit der Begründung abgelehnt, daß die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele bereits angelaufen seien. Diese Ablehnung ist nicht in Einklang zu bringen mit den Petersberger Beschlüssen vom 27. Juni 1959, in denen es heißt: 'Die gemeinsamen Vorschläge der jeweiligen Sportverbände werden den beiden NOK vorgelegt, die über die endgültige Nennung der Teilnehmer gemeinsam entscheiden.'

Beschlüsse der Fachverbände werden danach erst durch die Ratifizierung des NOK verbindlich. Wenn sich die Radsportverbände nicht einigen können, muß die Streitfrage an die beiden NOK überwiesen werden, die dann in gemeinsamer Beratung über die Entsendung der Mannschaften entscheiden.

Des weiteren steht dringend im Rahmen der gesamtdeutschen Mannschaft die Amateurfrage zur Besprechung an. in seinem Brief vom 27. Oktober 1959 hat IOC-Präsident Brundage auf Grund von Veröffentlichungen über Bekanntgaben des Staatssekretärs Ewald zum Prämiensystem für Leistungssportler in der Sowjetzone unmißverständlich erklärt, 'daß dies den olympischen Regeln widerspricht und daß eine Teilnahme unter solchen Bedingungen zur Disqualifikation mit Hinblick auf die Regeln der internationalen Verbände und der olympischen Regeln führen wird'.

Abgesehen davon, daß das IOC diese Frage noch genau zu prüfen hat, müssen auch wir bzw. unser NOK Klarheit verlangen, da ja für die Sommer- und Winterspiele jeweils nur eine Meldung abzugeben ist, die von den Präsidenten beider NOK gemeinsam unterschrieben werden muß.

Wir müssen aller Schwierigkeiten mit Geduld Herr werden. Daß in Rom und Squaw Valley nur eine deutsche Mannschaft an den Start gehen kann und wird, steht außer Frage."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 20 / 12. Mai 2009, S. 28-29
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2009