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GESCHICHTE/136: Deutsche Sportpolitik vor 20 Jahren (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 24 / 9. Juni 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Deutsche Sportpolitik vor 20 Jahren
Die Öffnung der Mauer im November 1989 war auch für den Sport ein "Wirklichkeit gewordener Traum"

Von Friedrich Mevert


Die Öffnung der Mauer, die Deutschland teilte, war noch keine vier Wochen her, als sich der Hauptausschuss des DSB am 2. Dezember 1989 zu seiner 36. Sitzung im Frankfurter Römer traf. Die folgenden Auszüge aus dem einführenden mündlichen Bericht von DSB-Präsident Hans Hansen müssen daher heute auch unter den Bedingungen dieser kurzen Zeitspanne verstanden werden.

"In diesen Zeiten der dramatischen Reformprozesse in Osteuropa, der Ost-West-Entspannung und neuer deutsch-deutscher Perspektiven auch im Sport erwartet man von sportpolitischen Redebeiträgen epochemachende Erkenntnisse. Kein Zweifel: Unsere Standortbestimmung am ng am Ende des nacholympischen Jahres 1989 ist ein Wirklichkeit gewordener Traum. In der allgemeinen Freude über politische Veränderungen wurde die sportpolitische Variante zwar an den Rand gedrängt. Euphorische Ausbrüche hat das keineswegs verhindert. - Vereine und Verbände von hüben und drüben verhandeln - wie in aller Welt üblich - direkt miteinander.

Jugendliche über 14 sollen einbezogen werden.
Spontane Begegnungen beiderseits der Grenze in den letzten Tagen wirkten wie ein Gefühl der Befreiung und
Olympische Spiele 2000 oder 2004 in Gesamt-Berlin sind - wenn die politische Entspannung auf Dauer so anhält - kein ferner Traum, keine Utopie mehr.

Dennoch wollen Übereifrige mit ihrer gesamtdeutschen Sportbegeisterung nicht mehr warten. Sie proklamieren für die nahe Zukunft bereits gemeinsame Mannschaften für Olympische Spiele oder andere internationale Ereignisse. Schließlich haben sogar Statistiker keine Hemmungen, künftige Medaillenspiegel unter den neuen Vorzeichen hochzurechnen. Solchen Höhenflügen werde ich keinen weiteren Auftrieb geben. Bei aller Freude über das bisher Erreichte, bei der Genugtuung über die schnelle Abschaffung der unsäglichen Jahreskalender für Minimalkontakte, bei aller galoppierenden Phantasie über die Möglichkeiten der künftigen Zusammenarbeit auf breitester Ebene halte ich hier und heute einen Appell zur Sachlichkeit für angebracht.

Wir wollen die sich abzeichnenden realistischen Perspektiven nicht durch Wunschvorstellungen oder unangemessene Forderungen gefährden. Wir wollen nicht dazu beitragen, daß ehrlich gemeinte Umarmungen plötzlich als peinliche Vereinnahmungsaktionen ausgelegt werden. Was wir jetzt brauchen, ist Bodenhaftung. Die nüchterne Analyse und ein unverschleierter Blick in die allernächste Zukunft sind gefragt. Ich habe in der vergangenen Woche den Bundeskanzler über die Ergebnisse des Gesprächs mit DTSB-Präsident Klaus Eichler informiert und dabei den Eindruck der vollen Unterstützung des künftig deutsch-deutschen Sportverkehrs durch die Bundesregierung - auch in finanzieller Hinsicht - mitgenommen. Denn der Sport ist ein wichtiger Beitrag zur deutschen Gemeinsamkeit. Wenn kleiner und großer Grenzverkehr florieren, wenn Freundschaften wiederbelebt und Partnerschaften neu aus der Taufe gehoben werden, dann kann auch an der Sportbasis immer wieder deutlich gemacht werden: Souveränität braucht Anerkennung! Versagen wir sie jenen DDR-Bürgern nicht, die zu Hunderttausenden so mutig für Freiheit und Demokratie demonstrierten und die dadurch erst die Voraussetzungen dafür schufen, dass wir gemeinsam den historischen Durchbruch zum freien Sportverkehr erreichten. Das ist unser sportpolitischer Auftrag der Stunde und nicht die Spekutation über gemeinsame Mannschaften oder verblendende Medaillenspiegel ..."

An Daten und Pakten aus diesem bedeutsamen Jahr ist vor allem an Folgendes zu erinnern: Von 1985 bis 1989 war der Deutsche Sportbund um mehr als 1,7 Millionen neue Mitglieder und über 5.000 neue Vereine auf fast 21 Millionen Mitglieder in 66.650 Vereinen gewachsen. Das waren über 34% der Bevölkerung der - alten - Bundesrepublik. Dieser Zuwachs im organisierten Sport ging im Wesentlichen auf die verschiedenen Breitensportaktionen und vor allem auf die Kampagne "Im Verein ist Sport am schönsten" zurück. Mit der größten Plakatierungskampagne, die es im Sport je gab, wurden mit Unterstützung durch den Fachverband Außenwerbung und die Deutsche Städtereklame sechs verschiedene Motive auf 170.000 Plakatgroßflächen in allen en in allen Bundesländern vorgestellt. Dies entsprach einem jährlichen Werbewert von 27 Millionen DM. Die Wachstumsbranche Sport wurde mehr und mehr zu einem Wirtschaftsfaktor, der bisher völlig unterschätzt worden war. Umso mehr wuchs der Bedarf an Sportanlagen gerade in Ballungsgebieten. DSB und Deutscher Naturschutzring (DNR) wandten sich deshalb zu Jahresbeginn 1989 in einer gemeinsamen Presseerklärung nachdrücklich gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, eine Hamburger Bezirkssportanlage aus Lärmschutzgründen an Abendstunden und Wochenenden zu sperren:

"Der Gesetzgeber ist aufgerufen, das öffentliche und das private Nachbarrecht so zu gestalten, daß nicht überzogene Ansprüche Einzelner geschützt und damit Allgemeinheit und Natur gravierend beeinträchtigt werden. Aber auch gegen eine viel zu späte und erst nach Intervention durch das Bundesinnenministerium erfolgte Einbeziehung des Sports in die geplante Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes musste sich die zuständige DSB-Vizepräsidentin Erika Dienstl beim federführenden Bundesumweltministerium damals beklagen.

Forderung nach einem Verfassungsrang für den Sport Die Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Sports im Grundgesetz bildete die Kernaussage im Bericht von DSB-Präsident Hans Hansen bei der 35. Sitzung des Hauptausschusses am 10. Juni 1989 im Schöneberger Rathaus in Berlin, und die Delegierten nahmen mit Befriedigung zur Kenntnis, dass der anwesende Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble diesen Anspruch bestätigte und unterstützte. Der Hauptausschuss beauftragte das Präsidium und die Medienkommission, mit allen gebotenen Möglichkeiten sicherzustellen, dass eine genehmigungs- und kostenfreie Wiedergabe von Sportveranstaltungen durch Fernsehen und Hörfunk auch künftig in keinem Fall gestattet sein sollte. Am 24. August fiel im hessischen Hasselroth offiziell der Startschuss für das Projekt "Sport mit Aussiedlern". Bundesinnenminister Dr. Schäuble und DSB-Präsident Hansen verwiesen darauf, wie wichtig eine gemeinsame Initiative von Sport und Politik sei, um Aus- und Übersiedlern die Integration in die Gesellschaft zu erleichtern. Mit einer mehrtägigen Stafette durch alle Bundesländer und einem anschließenden Sportfest im Bonner Sportpark Nord gratulierten am 16. September der DSB und die Landessportbünde der Bundesrepublik Deutschland zum 40jährigen Bestehen. Frauenförderpläne auch im Sport Die Durchsetzung von Frauenförderplänen auch in den Organisationen des Sports bildete den Kern der Jahresarbeit des Bundesausschusses Frauensport. Schon die Vollversammlung im Mai ng im Mai in Kiel stand unter dem Thema "Frauenförderpläne im DSB - Bilanz und Perspektiven der Frauenarbeit". Im Oktober fand an der Führungsakademie des DSB in Berlin ein Round Table-Gespräch zum Thema "Frauenförderpläne im Sport" statt, und auch die jährliche Arbeitstagung der Frauenvertreterinnen der Mitgliedsorganisationen im November hatte dieses Thema zum Inhalt. Die SPD-Bundestagsfraktion in Bonn initiierte eine Große Anfrage zur "Situation von Mädchen und Frauen im organisierten Sport", an der auch der Bundesausschuss mitwirkte. Auch wurde ein Poster "Frauen in die Spitze des Sports" herausgegeben.

Die Verabschiedung eines Frauenförderplans auf DSB-Ebene stand dann auch offiziell im Mittelpunkt der 36. Sitzung des Hauptausschusses am 2. Dezember im Frankfurter Römer, da auch im Sport die Gleichstellung von Frauen und Männern bei weitem noch nicht erreicht war. Einige Landessportbünde waren dabei dem DSB voraus und insoweit Vorbild. Die wenige Wochen zuvor erfolgte Öffnung der Mauer in Berlin und die damit verbundenen Möglichkeiten und Herausforderungen für den deutsch-deutschen Sportverkehr bildeten aber die eigentlichen Hauptthemen in der und am Rande dieser Tagung. Der Deutsche Bundestag hatte am 18. Dezember nach hartnäckigen Bemühungen der Sportorganisationen seit fünfzehn Jahren das Vereinsfördergesetz beschlossen, das zum 1. Januar 1990 in Kraft trat und zahlreiche Verbesserungen und Vereinfachungen für die gemeinnützigen Sportvereine brachte. Damit wurde vor allem erreicht, dass es einen wichtigen Durchbruch zur Vereinfachung des Steuerrechts für Sportvereine und damit auch eine wesentliche Entlastung des Ehrenamtes gab.

Die Ereignisse im November 1989 in der DDR beeinflussten auch ganz wesentlich die Arbeit der DSJ am Jahresende. Sehr früh erkannte der DSJ-Vorstand die Chance für einen gemeinsamen Neubeginn. Man wollte allerdings die Sportjugend aus der DDR nicht "einverleiben", sondern integrieren. Erste Gespräche fanden schon im Dezember 1989 statt, nachdem der DSJ-Vorstand einmütig bereits am 9. Dezember 1989 beschlossen hatte, im Frühjahr 1990 in einer ostdeutschen Stadt einen außerordentlichen Jugendhauptausschuss der DSJ durchzuführen.

Unter der Mitwirkung der "Verantwortlichen für den Sport und die Jugendarbeit in der DDR" sollten nunmehr die deutsch-deutschen Kontakte auch im Jugendbereich auf einen neuen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Eine wesentliche Veränderung gab es zum Jahresende an der Spitze der DSB-Verwaltung: Karlheinz Gieseler, der langjährige Generalsekretär des Deutschen Sportbundes, ließ sich zum 31. Dezember 1989 in den Ruhestand versetzen, weil er für die Lösung der anstehenden Probleme des Sports ein hinreichendes Vertrauensverhältnis zum DSB-Präsidium nicht mehr als gegeben ansah. Beim Abschiedsempfang am 18. Dezember unterstrich DSB-Präsident Hans Hansen in seiner Dankesrede, dass der "Vor- und Querdenker, der Ankurbler, der Ideenlieferant, der rastlose Sportpolitiker und der nicht selten für seine Partner auch unbequeme Zeitgenosse dem DSB in mehr als zweieinhalb Jahrzehnten seinen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt" habe.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 24 / 9. Juni 2009, S. 32
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2009