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GESCHICHTE/140: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 38 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 26 / 23. Juni 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1960/V: Willi Daume dankte beim Bundestag dem "Heer der stillen Helfer"
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 38)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Der deutschen Sportbewegung brachte das Olympiajahr 1960 nach den vorangegangenen großartigen Leistungen der Aktiven bei den Winterspielen in Squaw Valley und den Sommerspielen in Rom am Jahresende mit dem 10. Bundestag - der Zehnjahresfeier des DSB - am 10. und 11. Dezember in Düsseldorf einen abschließenden Höhepunkt von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Zum ersten Male bekannten sich die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien und die Bundesregierung selbst klar zu den Zielsetzungen des deutschen Sports. Sie taten dies im Rahmen des vom Deutschen Fernsehen übertragenen repräsentativen Teils des Bundestages vor aller Öffentlichkeit und erklärten einmütig auch ihre Zustimmung zu den Forderungen, die durch den ein Jahr zuvor verkündeten "Goldenen Plan" der DOG an Bund, Länder und Gemeinden im Hinblick auf den Sportstättenbau gestellt worden waren.

"Die Stellung der deutschen Turn- und Sportbewegung in der modernen Gesellschaft" hatte Willi Daume sein in sieben Abschnitte gegliedertes Grundsatzreferat von hohem geistigen Rang genannt, in dem er die bisher erbrachten Leistungen der Sportorganisationen verdeutlichte wie auch die wachsenden biologischen Schäden des deutschen Volkes kritisierte, den unzureichenden Schulsport ebenso scharf monierte wie auch gewisse intellektuelle Kreise ob ihrer Leistungskritik geißelte. Der Düsseldorfer Bundestag des DSB stellte eine Wendemarke auf dem Wege des deutschen Sports dar. "Auf denn!" waren Willi Daumes Schlussworte, und die Verantwortlichen in den Vereinen, Verbänden und Bünden, in der Sportjugend und im Sportbeirat, beherzigten sie in den folgenden Jahrzehnten nachdrücklich, was seinen sichtbaren Ausdruck dann auch in einer unvergleichlichen Entwicklung der deutschen Sportbewegung fand.


Willi Daume im Original damals (auszugsweise):

"Mit den neuen Fabriken, den modernen Geschäftshäusern, den Trabantenstädten der Großstädte, mit dem ganzen um sie herum wuchernden Wirtschaftswunder ist auch die deutsche Turn- und Sportbewegung neu entstanden und hat sich in zehn Jahren zu imponierender Größe aufgeschwungen. Wie in dem ganzen deutschen Wirtschaftswunder eine ungeheure Menge von Geschick und Fleiß steckt, so auch in der wiedererstandenen Turn- und Sportbewegung.

Dabei ist der Wiederaufbau der deutschen Turn- und Sportbewegung letzten Endes sogar ein Wunder wider das Wirtschaftswunder: Dem Wiederaufbau des Sports ist zwar zugute gekommen, daß in steigendem Maße mehr öffentliche und private Geldmittel zur Verfügung standen. Was aber wäre geschehen, wenn unsere Kameraden, die rund 387.000 ehrenamtlichen Helfer, dem allgemeinen Trend der Zeit folgend, sich zunächst nicht um ihre ehrenamtliche Arbeit in den Turn- und Sportvereinen, sondern um Kühltruhen, Fernsehapparate, Autos, Eigenheime und dergleichen materiellen Besitz bemüht hätten?

All denen, die mit einer Leichtfertigkeit ohnegleichen dem Sport jeden Idealismus absprechen, muß ich einmal folgende Aufrechnung vorhalten: Der unterste Durchschnitt, den die vorgenannten Helfer von ihrer Zeit zur Verfügung stellen, beträgt fünf Stunden wöchentlich, im Jahre also 260 Stunden. Diese Stunden zum Ecklohn eines Metallarbeiters gerechnet, ergeben die ungeheure Summe von jährlich rund 226 Millionen DM. Was diese 387.000 Männer und Frauen an Stelle dieses materiellen Gewinns als Äquivalent erhalten, ist gleich null. Sie bringen neben dem Opfer an Zeit in fast allen auch noch erhebliche Geldopfer.

Der Verzicht auf die Amateurgesinnung würde nicht nur den weiteren ehrenamtlichen Einsatz dieser Helfer aufs schwerste gefährden, er würde ihnen auch das frohe Bewußtsein nehmen, ihren Mitmenschen einen Dienst zu leisten und in aller Stille und Bescheidenheit etwas Gutes zu tun. Der Verlust dieser Strahlung würde zurückwirken auf die Masse der 3,5 Millionen aktiver Turner und Sportler (die im Verhältnis 1:350 von der Spitze zur Breite stehen) und auch ihnen etwas nehmen, was unersetzlich ist.

Wer sich redlich um das Verständnis des Massenmediums Sport bemüht, kann zwar feststellen, daß der Sport in dem optimistisch bürgerlichen Sinn, mit dem er den Anfang des 20. Jahrhunderts belebt hat, nicht mehr besteht. Er müßte dann allerdings auch sagen, daß die deutsche Turn- und Sportführung das gar nicht bestreitet und keineswegs heuchlerischerweise so tut, als bestünde dieser Zustand noch. Und er müßte hinzufügen, daß der optimistisch bürgerliche Sinn der Jahrhundertwende überhaupt nicht mehr vorhanden und durch eine von vielerlei Ängsten geschüttelte und von schrecklichen Erlebnissen gebeutelte Gesellschaft ersetzt worden ist. Wenn aber etwas überhaupt nicht mehr vorhanden ist, wie kann man es dem Sport da ankreiden, daß er es auch nicht mehr hat?! Aber wenn es diesen bürgerlichen optimistischen Sinn nicht mehr gibt, ist denn damit gesagt, daß die Turn- und Sportbewegung ihren ideellen Sinn verloren hat? Sind nicht Gesellungswilligkeit, Bereitschaft zur Kameradschaft, Achtung vor den selbst gesetzten Grenzen, Fairneß, Liebe zum angestammten Volkstum, Lied- und Brauchtumspflege Eigenschaften, die sich sehr wohl auch alle Schichten des Volkes als erstrebenswert vorstellen können und erweislich in unseren Reihen auch vorgestellt haben?

Gewiß sind die 387.000 ehrenamtlichen Helfer bei uns nicht nur im Bewußtsein eines gemeinnützigen Dienstes tätig, sondern auch, weil sie Freude an ihrem Tun haben. Allein gerade weil sie es mit Freude tun, ist ihre Tätigkeit mitmenschliches Bemühen. Dieses Bemühen um den Mitmenschen drängt sich zwar dem Beschauer von außen nicht auf, aber es charakterisiert die deutsche Turn- und Sportbewegung mehr als alle spektakulären Veranstaltungen, Höchstleistungen und Rekorde!" ...

Im parlamentarischen Teil des zu Beginn bereits erwähnten 10. DSB-Bundestages am 10./11. Dezember in Düsseldorf war Willi Daume mit langanhaltenden Ovationen einstimmig als Präsident wiedergewählt worden. DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens hatte als Versammlungsleiter zuvor erklärt, dass er in Hannover 1950 kein Freund von Daumes Präsidentschaft gewesen sei. "Was aber aus Daume geworden ist, haben Sie alle heute morgen miterlebt. Mit seiner Rede hat er sich selbst übertroffen!"

Bei den weiteren Neuwahlen gab es nur geringe Änderungen. Neben den wiedergewählten Heinz Lindner und Heino Eckert wurden für den zurückgetretenen Oscar Drees Frankfurts Oberbürgermeister Werner Bockelmann und Ruderpräsident Dr. Walter Wülfing zu Vizepräsidenten berufen. Weitergehende Satzungsänderungen wurden zunächst zurückgestellt.


"Wo die Humanitas zu finden ist ..."

In seinem Grußwort zum Jahreswechsel 1960/61 zog DSB-Präsident Willi Daume dann eine persönliche Bilanz über das erste Jahrzehnt des DSB und seine Amtszeit an der Spitze des deutschen Sports:

"Der Düsseldorfer Bundestag hat mit dem ersten Jahrzehnt des Deutschen Sportbundes eine wichtige Phase der neuen und geeinten Turn- und Sportbewegung abgeschlossen. Es war die Zeit der großen Entwürfe. Wir haben in den letzten Tagen von Staat und Öffentlichkeit viel Vertrauen erfahren. Die deutsche Turn- und Sportbewegung ist in ihren guten Kräften und Absichten gestärkt. Aber immer, wenn man um seine Stärke weiß, muß man zu seinem Maß finden. Die Grenze liegt dort, wo ein Gesundheitsministerium zu beginnen hätte. Hier hört unsere Zuständigkeit auf; der Sport darf kein Organ des Staates werden, er kann ihm nur dienen. Und in unserem Falle stützt er sich dabei auf ein einzigartiges Verhältnis zu den politischen Willensträgern: Kein Redner von Düsseldorf hat auch nur mit einem einzigen Gedanken die politische Unabhängigkeit des Deutschen Sportbundes angetastet oder auch nur ein eigensüchtiges Wort gesprochen.

Die deutsche Turn- und Sportbewegung kennt ihren Standort. Sie möchte auch, weil es einer Notwendigkeit entspricht, "aus sich herausgehen". Aber sie wird den zweiten Weg nicht vor dem ersten gehen. Sie ist fest begründet in der Gemeinschaft ihrer Verbände und vor allem ihrer Vereine. Sie ist stolz auf ihre großartigen Athleten und Olympiakämpfer, auf die vielen ehrenamtlichen Helfer und Trainer, auf allen Idealismus und auf eine unantastbare Amateurgesinnung. Aber bei allem Erreichten müssen wir schnell ganz bescheiden werden, wenn wir daran denken, was noch zu tun ist. Ich bin sicher, wir werden es nur mit modernen Auffassungen und - neben dem bewährten Alten - auch mit neuen Methoden leisten können, mag diese Erkenntnis auch manchmal schwerfallen.

Immer aber wird die deutsche Turn- und Sportbewegung ihre Position dort haben, wo die Humanitas zu finden ist. Deswegen stehen wir auch mit schlichter Tat zu unseren Kameraden im unterdrückten Teil Deutschlands. Und schließlich soll bei uns gebührend gedankt werden können. Dieser Dank gilt allen, die bis hierher mithalfen, unser Gruß auch jenen, die bereit sind mitzumachen.

Der großen Gemeinschaft des Deutschen Sportbundes und allen, die unsere Sache lieben, wünsche ich ein gutes neues Jahr!

Willi Daume Präsident des Deutschen Sportbundes

Dortmund, im Dezember 1960"


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 26 / 23. Juni 2009, S. 39-41
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2009