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GESCHICHTE/142: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 39 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 27 / 30. Juni 2009


1961/I: Das NOK bereitete eine Stiftung vor
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 39

Eine Serie von Friedrich Mevert


"Das NOK bereitet die Einrichtung einer Stiftung vor, in der namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, der Kultur, der Wirtschaft und der Turn- und Sportbewegung zusammen arbeiten sollen. Die Stiftung hat die Aufgabe, unseren Spitzensportlern menschliche Betreuung und Hilfe zu geben, vorausgesetzt, daß der Aktive durch Einsatz der eigenen Willenskraft und durch seinen Charakter bewiesen hat, daß er einer entsprechenden Förderung würdig ist. Durch die Stiftung glaubt das NOK, nicht nur den Sport von manchen Belastungen moralischer Art zu befreien, sondern auch der Lösung der Amateurfrage ein Stück näherkommen zu können." So heißt es im Kommunique der Präsidialsitzung des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland vom 4. März 1961 in Dortmund.

In der April-Ausgabe der Zeitschrift "Sport in"Niedersachsen" ging DSB-Hauptgeschäftsführer Guido von Mengden ergänzend der Frage nach, welchen Hintergrund diese Planungen haben. Baron Pierre de Coubertin, der Schöpfer der Olympischen Spiele der Neuzeit, habe die Amateurfrage zwar die Mumie des Sports genannt, die moderne Industriegesellschaft habe diese Frage aber wieder zu neuem Leben erweckt. Von Mengden führte dann im einzelnen aus:


"Eine Frage des sozialen Prestiges

Da die meisten Menschen in einfachen Verhältnissen leben, kommen die meisten Hochleistungssportler auch aus solchen. Die Wertschätzung der sportlichen Höchstleistung durch die moderne Gesellschaft verleiht ihnen nun aber - um einen Ausdruck der Soziologie zu gebrauchen - ein sehr hohes soziales Prestige. In der modernen Gesellschaft, deren meist gebrauchter Wertmaßstab das Geld ist, ist das soziale Prestige eines Menschen gemeinhin im ungefähren Gleichgewicht mit seinem wirtschaftlichen Status. Wer "berühmt" ist, lebt im Regelfall nicht in bescheidenen Verhältnissen.

Der Amateur als Leistungssportler ist deshalb ein Ausnahmefall. Er ist es einmal, weil sportliche Höchstleistungen in einem relativ frühen Lebensalter erreicht werden, in dem Charakter, Persönlichkeit und Einsicht der jungen Menschen noch keineswegs voll entwickelt sind. Der Ruhm erreicht sie also in einem Lebensabschnitt von hoher Anfälligkeit. Der Amateur als Leistungssportler ist, zweitens, deshalb ein Sonderfall, weil seine Leistung - anders als eine berufliche, künstlerische oder wissenschaftliche - immer nur eine zeitbegrenzte ist. Das Älterwerden setzt ihr enge Grenzen.

Was soll nun geschehen, wenn diese Grenze - oft allzu schnell - erreicht ist? Soll der junge Mensch, dessen soziales Prestige die Gesellschaft so hoch hinaufgehoben hat, nun die gesellschaftliche Stufenleiter wieder hinunterzusteigen, in der Masse verschwinden oder - in des Wortes buchstäblicher Bedeutung - ein Heruntergekommener werden?

Das ist die eine Seite der Medaille. Sie hat auch noch eine zweite: Es ist natürlich das Kennzeichen eines Amateurs, daß er seinen Sport aus Freude an der Sache und zu seinem Privatvergnügen betreibt. Das stimmt heutzutage aber, wie die Newtonsche Physik, nur noch im breiten Normalbereich, jedoch nicht mehr im Extremen. Die moderne Gesellschaft läßt dem Hochleistungsamateur nämlich nur scheinbar die freie Bestimmung über Art und Umfang seines Auftretens. Es wird z. B. von einem Weltrekord-Leichtathleten "erwartet", daß er bei keinem der vielen Länderkämpfe der Saison fehlt; bei den Landes- und den Deutschen Meisterschaften "darf" er auch nicht fernbleiben. Die Bürger seiner Stadt "wollen" ihn sehen, sein Verein "benötigt" ihn zu zwei oder drei internationalen Veranstaltungen, und ... wenn z. B. der deutsche Boschafter in Tokio dringend um die Entsendung einer Leichtathletik-Mannschaft nach Japan bittet, dürfen er und seine prominenten Kollegen auch nicht fehlen; denn die öffentliche Meinung in Japan erwartet wie in aller Welt selbstverständlich die erste Garnitur. Träte die zweite an, fühlte man sich statt geehrt beleidigt.


Leistungssport - gesellschaftliche Funktion

Einerlei, ob man es wahrhaben will oder nicht und ob man damit einverstanden ist oder es ablehnt, der Leistungssport erfüllt heute eine gesellschaftliche Funktion. In allen Entwicklungsländern bezieht sich die nächste Frage nach der Wirtschaftshilfe auf den Sport! Die moderne Gesellschaft tut also zweierlei: Sie hebt den Leistungssport weit über ihr übliches soziales Herkommen hinaus, und sie nimmt sie, zweitens, weit über ein normales Maß in Anspruch.

Damit ist unbezweifelbar eine schwerwiegende soziale Frage aufgeworfen. Die kommunistische Gesellschaft bestimmt bekanntlich von sich aus, welche soziale Funktion der Einzelne zu erfüllen hat. So, wie sie die benötigte Anzahl von Menschen für die Landwirtschaft, die Industrie, die Technik, die Wissenschaft und Verwaltung ausbildet, macht sie es auch im Hochleistungssport. Sie sucht systematisch nach Talenten, bildet sie für die gesellschaftliche Funktion des Leistungssports aus und setzt sie dafür ein. Sie überläßt die Aktiven dann aber nicht ihrem Schicksal.

Die durch den Staat repräsentierte Gesellschaft räumt den Hochleistungssportlern vielmehr von Anfang an die Möglichkeit eines guten beruflichen Fortkommens nach Abschluß ihrer sportlichen "Laufbahn! ein. Die bewährten Aktiven haben Anspruch auf eine ihren geistigen Fähigkeiten entsprechende berufliche Ausbildung, die vom Universitätsstudium bis etwa zur Meisterprüfung reicht. Die Kosten, einschließlich des Unterhaltes trägt der Staat.


Eine eigene Lösung finden!

Die kommunistische Lösung ist für die freie Welt unbrauchbar, weil sie nur in einer staatsgelenkten Gesellschaft möglich ist. Die freie Welt muß aber auch eine Lösung finden, die dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit Rechnung trägt. Durch Ignorieren löst sie das Problem nicht. Es läßt sich auch nicht nur mit Geld aus der Welt schaffen. Auf Geld jedoch kommt es heraus, wenn man den Unterschied zwischen Amateur und Profi einfach aufhebt. Wie es überhaupt kein soziales Problem gibt, was sich allein durch "Barzahlungen" lösen läßt; so erst recht nicht dieses. Denn es ist nicht nur ein soziales/sondern ebensosehr auch ein Erziehungsproblem.

Von diesen Erkenntnissen ist ein Vorschlag getragen, von dem der Präsident des Deutschen Sportbundes und Nationalen Olympischen Komitees, Daume, kürzlich gesprochen hat. Er möchte eine Stiftung ins Leben rufen, der vor allem Erzieherpersönlichkeiten, erfahrene Männer des öffentlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und sportlichen Lebens angehören. Zweck der Stiftung soll sein, junge Leistungssportler ihren geistigen Fähigkeiten und ihrem eigenen Drang entsprechend in ihrer beruflichen Ausbildung und ihrem beruflichen Werdegang zu fördern, damit sie nach Abschluß ihrer mehr oder weniger kurzen sportlichen "Laufbahn" auch im späteren Leben eine geachtete Stellung in der Gesellschaft einnehmen können und auch zu brauchbaren Vorbildern für die Jugend werden, die sie nun einmal in so weitgehendem Maße zu ihren "Idolen" erkoren hat.


Ziel: Menschlicher Kontakt

Diese Zweckbestimmung sollte von vornherein das Mißverständnis ausschließen, als sei es Aufgabe der Stiftung, Leistungssportlern Scheinstellungen zu verschaffen und ihnen ein Leben halb oder fast ganz ohne berufliche Tätigkeit zu ermöglichen. Das kann allein schon deshalb nicht Zweck der Stiftung sein, weil damit die eigentlich gestellte soziale Frage in keiner Weise gelöst wäre. Die Förderung soll vielmehr durch die Herstellung unmittelbarer menschlicher Kontakte, durch persönliche Beratung im Lebenskreis des Einzelnen, aber auch durch die Gewährung von Stipendien, Ausbildungsbeihilfen und entsprechenden Maßnahmen bewirkt werden.

Natürlich wird es Amateure geben, die nichts von dieser Art Hilfe halten und nach wie vor in der kurzen Spanne des Ruhmes Bargeld und ein neues Auto vorziehen werden. Deshalb kann man von der geplanten Stiftung nicht die vollendete Lösung der Amateurfrage erwarten. Aber die moderne Gesellschaft in der freien Welt wird dann den jungen Aktiven wenigstens eine ethisch fundierte, weil sozial gerechte Lösung anzubieten haben. Das wäre eine Rückenstärkung für alle, die nicht von der Überzeugung lassen wollen, daß jeder Idealismus das Fundament des Sports ist ...!"


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 27 / 30. Juni 2009, S. 39-40
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2009