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GESCHICHTE/170: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 53 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 43 / 20. Oktober 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1965/II: DSB beschreitet neue Wege zur Förderung des Leistungssports
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 53)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Bereits 1964 in Tokio führte er den Titel "Olympia-Inspekteur" der deutschen Mannschaft, 1972 war er verantwortlich für die Gestaltung und Durchführung der Eröffnungs- und der Schlussfeier der Münchner Olympischen Spiele, und nach der Konstituierung des Bundesausschusses zur Förderung des Leistungssports 1965 wurde er dessen erster Leitender Direktor in der Frankfurter DSB-Zentrale. Viel zu früh starb er im Juli 1984 im Alter von erst 69 Jahren. Die Rede ist von Siegfried Perrey, der wegen seiner Verdienste um die deutsch-französische Zusammenarbeit im Sport durch den französischen Staatspräsidenten auch zum "Ritter der Ehrenlegion" ernannt wurde.

Nach seiner Berufung zum hauptamtlichen Verantwortlichen für den Leistungssport schilderte er in einem Grundsatzartikel, der eine große Verbreitung erfuhr, seine Vorstellungen vom Beschreiten neuer Wege zur Förderung des Leistungssports:

"Es ist schwer, in einem Rennen um die Weltspitze mithalten zu können. Das wissen nicht nur unsere besten Athleten, die sich jahrein und jahraus als große Idealisten opferwillig der Askese des Hochleistungstrainings unterwerfen. Auch die deutsche Sportführung hat mit ihren Fachverbänden erkannt, daß es mit den herkömmlichen Methoden nicht gelingen kann, die in Tokio errungenen Erfolge im Jahre 1968 in Mexiko und Grenoble fortzusetzen.

In allen Bereichen des Leistungssportes gibt es ein Wettrüsten. Athleten, Trainer, Psychologen und Ärzte finden sich zusammen, um Gemeinschaftsprogramme aufzustellen, nach denen ihre Leute trainieren sollen. Die allgemeinen Trainingsmethoden werden verfeinert. Man demonstriert bestimmte Grundgesetze des Hochleistungssportes und transportiert dazu Methoden des Ausdauer-, Kraft- und Schnellkrafttrainings.

Man streitet sich um die Bedeutung des Intervalltrainings und ist sich schließlich doch darin einig, daß nicht jedes zu jedem paßt. Vielmehr ist man bemüht, aus der Vielzahl der angebotenen Methoden seinem Schützling das zu vermitteln, was seinen körperlichen Voraussetzungen entspricht und was ihn in seiner speziellen Sportart entscheidend fördert.

Die führenden Sportnationen haben, ihrer Mentalität entsprechend, Wege gefunden, die ihnen erfolgreich erscheinen. Die Oststaaten konzentrieren sich auf Hochschulen mit Wissenschaftsund Trainerräten, die Amerikaner fördern im Gegensatz zum Staatsamateurismus den College-Studenten durch die Persönlichkeit des unumstrittenen Fachlehrers, und die Franzosen sehen eine erfolgreiche Zukunft in ihrem Leistungssport, indem sie beide Richtungen akzeptieren und damit einmal dem Studenten und dem Soldaten vereinfachte Förderungswege aufzeigen. In Paris und in seinen Vororten hat der hochbegabte Spitzensportler keine sozialen Sorgen. Der Staat hat ihm diese abgenommen, ohne ihn in ein Drillverfahren östlicher Prägung zu bringen. In Hannover hat Anfang des Jahres der Hauptausschuß des Deutschen Sportbundes einem umfangreichen Programm, das Präsident Willi Daume vortrug, zugestimmt. Man berief Prof. Dr. Josef Nöcker aus Leverkusen zum Vorsitzenden des neuen "Bundesausschusses zur Förderung des Leistungssportes", der seine Arbeit inzwischen aufgenommen hat.

Fünfundzwanzig Persönlichkeiten, routinierte und bewährte Fachkenner des Spitzensports, Ärzte, Pädagogen und andere Wissenschaftler, haben sich der umfangreichen Arbeit zur Verfügung gestellt. Sie wollen Arbeitsgruppen bilden, in denen spezielle Aufgaben untersucht werden sollen. So wird es einen sportmedizinischen und einen pädagogisch-methodischen Arbeitskreis geben. Dazu werden Kollegien entstehen, die sich mit dem Leistungssport der Frau und dem der Jugend auseinandersetzen.

Auch wird man sich im neuen Bundesausschuß sehr gewissenhaft über die Dosierungsprogramme für den Jugendlichen unterhalten. Zweifellos müssen in unseren Fachverbänden alle Möglichkeiten erschöpft werden, den Jugendlichen rechtzeitig an den Leistungssport heranzuführen, ohne ihn in seiner körperlichen und allgemeinen Entwicklung zu schädigen. Das bedarf mancher revolutionärer Maßnahme, zumal viele konservative Auffassungen zu beseitigen sind. Dennoch wird man gerade auf diesem zukunftsweisenden Entwicklungsgebiet des Leistungssportes bemüht bleiben, mit viel Umsicht die Probleme zu lösen. Auch eine groß angelegte Dokumentation wird entstehen. Auf diesem Sektor wurde in der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit nur unvollständig gearbeitet. Die wichtigsten Informationen bezogen wir bisher aus Freundeskreisen. Jetzt wird an der Deutschen Sporthochschule Köln eine Zentralstelle eingerichtet, die auf lange Sicht zu planen versteht und alles interessante Material unseren Verbänden zuzuführen vermag.

Der Bundesausschuß wird sich schon in diesem Jahre sehr energisch für die Verbesserung des Lehrwesens einsetzen. Es gilt, den Leistungsstand unserer Trainer anzuheben. In vielen Verbänden muß dafür eine elementare Arbeit geleistet werden. Einzelne Fachverbände besitzen heute noch nicht einen verantwortlichen Cheftrainer, den der Ausschuß als Vermittler aller Ergebnisse aus Lehre und Forschung so dringend benötigt.

Die Verbände sind aufgefordert worden, ihre Fachtrainer zur Weiterbildung zur Verfügung zu stellen, damit zumindest einmal in der vor uns liegenden Zeit eine Übereinstimmung in der Definition der Grundbegriffe der modernen Trainingslehre erreicht werden kann. Die Verfahrensweise in der Zusammenarbeit zwischen dem Bundesausschuß und den Verbänden wird unverändert bleiben. Das wünschen sich die auf ihr Selbstbestimmungsrecht verständlicherweise sehr bedachten Organisationen. Es gibt also keine Weisungsrechte für Professor Nöcker und seine Mitarbeiter, deren Funktion nur beratend bleibt.

Dort, wo in der vorolympischen Zeit in der Zusammenarbeit Vertrauen gefunden wurde, wird die Arbeit fließend und erfolgreich gestaltet werden können. In einigen anderen Fällen wird es darum gehen, sich mehr als bisher zu nähern und bessere Kontakte zu erstellen. Das mag anfangs nur langsam vor sich gehen, wird aber auf die Dauer auch zum Erfolg führen, weil sich ausnahmslos in Hannover auch diejenigen zur Zusammenarbeit mit dem Bundesausschuß bereit erklärt haben, die früher zögernd oder sogar abweisend eingestellt waren.

Die Verbände können sich also zukünftig ihre Partner suchen. Sie haben die Möglichkeit, das ihnen genehme Leistungszentrum anzusteuern. Solche Schwerpunkte der Leistungsförderung wird es in Freiburg, Mainz, Leverkusen, Köln, Hamburg und Berlin geben. Diese Zentren sind fast ausnahmslos überfachlich.

Eine ganz spezielle Funktion werden das Ruderzentrum Ratzeburg, die Eisschnellaufbahn Inzell, die großen Leichtathletikanlagen Stuttgart und die Westfalenhalle Dortmund in den Wintermonaten ausüben. Die Kanuten haben sich für Duisburg mit der Wedau entschieden. Und zahlreiche weitere Fachverbände werden sich im Verlauf der nächsten Monate entscheiden, welche eigenen Schwerpunkte sie sich zu schaffen gewillt sind oder wo sie sich anschließen wollen.

Die in der Sportmedizin bisher führenden Universitäten werden eine umfangreiche und damit merkbare personelle und materielle Förderung erfahren. Für den Leistungssport der Frau ist eine Beratungsstelle in Nürnberg eingerichtet worden, die unter der Leitung der bekannten Olympiaärztin Frau Dr. Inge Bausenwein stehen wird.

Mehrere Kursistenheime werden in Universitätsstädten so ausgebaut werden, und dieses noch in diesem Jahr, daß hochqualifizierte Studenten in ihnen leben können und ideale Trainingsmöglichkeiten an Ort und Stelle finden.

Damit wird es erstmalig möglich sein, den zu sportlicher Höchstleistung qualifizierten jüngeren Athleten auch in sozialer Hinsicht eine gute Ausgangsposition zu schaffen. Wir wollen dort, wo intensiv und zielbewußt trainiert wird, verhindern, daß sich soziale Engpässe ergeben und den Athleten in seiner Weiterbildung beeinträchtigen. Es ist ein Fortschritt, daß man sich nun endlich bereit findet, den Athleten zu verstehen und ihm zu helfen, denn das heute notwendige tägliche Training ist so entscheidend im Leben des Hochleistungssportlers, daß es ohne die Schaffung von günstigen Voraussetzungen nach individuellen Erfordernissen nicht geht."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 43 / 20. Oktober 2009, S. 29-32
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2009