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GESCHICHTE/197: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 63 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 5 / 2. Februar 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1967/IV: Deutscher Bundestag führte zum ersten Male eine "Sportdebatte"
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 63)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Einen Tag vor der 5. Hauptausschuss-Sitzung des DSB im Frankfurter Römer gab es am 1. Dezember 1967 im Bonner Bundestag eine Premiere besonderer Art, denn zum ersten Male seit der Konstituierung des Bundesparlamentes standen Fragen des Sports im Plenum zur Debatte an. In der Zeitschrift "Sport in Niedersachsen" des Landessportbundes berichtete seinerzeit der Sportjournalist Maximilian Grunwald (M. G.) über diese Veranstaltung besonderer Art, die wegen des geringen Interesses der Abgeordneten an einem Freitagnachmittag aber auch auf herbe Kritik in den Kreisen des Sports stieß:

"Als am Freitag, dem 1. Dezember, im Plenarsaal des Bundestages der 'Dienstruf' des Saaldieners: 'Der Präsident' zu hören war, erlebte das Parlament eine Premiere. Zum ersten Male in den 18 Jahren des Bundestages diskutierten die Abgeordneten über Fragen des Sports und der Leibeserziehung im Rahmen einer mehrstündigen Sitzung. Seit Wochen bereiteten sich die Sportexperten der drei Bundestagsfraktionen auf diese Auseinandersetzung im Plenum vor, der eine Grundsatzerklärung von Bundesinnenminister Paul Lücke vorausging. Schulsport, Errichtung von Leistungszentren und Förderung des Sportstättenbaus sowie die Olympischen Spiele 1972 in München standen im Mittelpunkt der Aussprache.

Wenige Tage vor dieser Diskussion beantworteten die 'Experten' unter den Abgeordneten der drei Fraktionen die Frage: 'Was versprechen Sie sich von der Sportdebatte des Bundestages?'

'Um die Notwendigkeit einer verstärkten Sportförderung Politikern und Öffentlichkeit in unserem Lande deutlich zu machen, hat die CDU/CSU-Fraktion ihre Große Anfrage an die Bundesregierung gerichtet', sagte Annemarie Griesinger (Marktgröningen). Die Trägerin des Goldenen Sportabzeichens faßte ihre Forderungen und Erwartungen wie folgt zusammen:

1. Der Bau von Sport- und Freizeitanlagen für Breiten- und Leistungssport müssen ihren festen Platz in der mittelfristigen Finanzplanung erhalten;

2. eine Ergänzung des Bundesbaugesetzes muß die Schaffung ausreichender Sport-, Spiel- und Freizeitanlagen ermöglichen. Kinderspielplätze allein genügen nicht, sie müssen durch Jugendspiel- und Freizeitanlagen ergänzt werden;

3. der Leistungssport ist durch weitere Trainingszentren und die stärkere Talentsuche über die Bundesgugendspiele angemessen zu unterstützen;

4. Förderung der Sportwissenschaft, Vorlage der Vorstellungen der Bundesregierung zum gesamtdeutschen Sportverkehr, besonders im Hinblick auf die Olympischen Spiele. Dr. Günther Müller, (München), früherer bayrischer Meister über 200 m Brust und Absolvent der Bayrischen Sportakademie in Grünwald, sprach für die SPD zusammen mit Dr. Adolf Müller-Emmert (Kaiserslautern).

'Ich glaube, daß die Bundesregierung gezwungen wird, ihre Planungen und Vorstellungen darzulegen. Diese Debatte kann aber nur ein Ansatz für die künftige Sportförderung sein.' Dr. Müller meint, daß die Vorbereitung für München 1972 spät, aber nicht zu spät einsetze. Schwerpunkte der sportpolitischen Vorstellungen der SPD sind ferner der gesamtdeutsche Sport, die Errichtung eines Bundesamtes für Sport und die Leibesübungen in der Bundeswehr. Der Münchner Abgeordnete lehnte Sportkompanien nach französischem Muster ab, plädierte aber für Leistungszentren in der Bundeswehr.

'Ein Bundesamt für Sport könnte ähnlich wie die Bundeszentrale für politische Bildung errichtet werden', erläuterte Dr. Müller. 'Dieses Bundesamt fände seine Aufgaben in der Koordinierung des Sports und der Förderungsmaßnahmen sowie der Unterstützung der Sportwissenschaft.'

Die Bundestagsdebatte und die Erklärung des Bundesinnenministers Lücke ergaben, daß der Sport in Zukunft mehr gefördert werden soll als bisher. Dabei solle es sich um eine gezielte und langfristig angelegte Sportförderung handeln, die von Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam getragen werden soll. Darunter fällt auch der Goldene Plan, und wiederholt klang die Notwendigkeit der Durchführung des zweiten Memorandums der Deutschen Olympischen Gesellschaft an.

Alle im Bundestag vertretenen Parteien befürworteten die Sportförderung, wobei vor allem von Minister Wehner klar herausgestellt wurde, daß der Sport von der Politik keine Auflagen erhalten dürfe. Der Verkehr zwischen dem Deutschen Sportbund und dem Turn- und Sportbund in Ostberlin sollte sich auch nach den im Sport geltenden Regeln vollziehen.

Bundesinnenminister Lücke schlug vor, eine Bundeszentrale für Sport zu gründen, die nicht nur dem Leistungssport dienen, sondern auch dafür sorgen solle, daß von möglichst vielen Menschen Sport getrieben wird.

Daneben solle sie sich der Sportwissenschaft, der Trainerschulung sowie der Entwicklung und Planung des Sportstättenbaus annehmen. Beifall klang auf, als Lücke dem Sportbund und seinen 36.000 Sportvereinen für ihre Aktivität dankte. Den 400.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern und den 8,2 Millionen Mitgliedern dieser Vereine sei es in erster Linie zu verdanken, "daß wir heute zu den führenden Sportnationen gehören".


Skeptischer äußerte sich zu dieser letzten Bemerkung Lückes der CDU/CSU-Abgeordnete Dr. Wörner, der da sagte:

"Wir sind leider eher ein Volk von Zuschauern als von Sportlern gewordene" Aber das müsse sich nun ändern. Von den Sprechern aller Parteien wurde betont, wie sehr der Sport der Förderung der Gesundheit diene.

Daß der Sport trotz aller erfreulichen Erklärungen anscheinend aber doch nur von einem Teil des Parlaments, und zwar von den schon bisher bekannten Freunden des Sports, für voll anerkannt wird, zeigte das äußere Bild dieser Plenarsitzung. Waren vorher bei den Beratungen über die Filmförderung noch über 300 Abgeordnete im Saal gewesen, so waren es bei der Debatte über die Sportförderung lediglich nur knapp 50 Abgeordnete, denen die Aufwartung des Sports wirklich eine Angelegenheit von volkspolitischer Bedeutung war. Selbst die Regierungsbank war selten so entblößt.
M. G."


Berliner Senator Neubauer für Leistungsförderung

Zur Mobilisierung aller sportlichen Kräfte, um auch damit die Leistungsfähigkeit der demokratischen Gesellschaftsordnung zu beweisen, rief 1967 der Berliner Jugend- und Sportsenator Kurt Neubauer (SPD) auf. Der Sportpublizist Willi Knecht berichtete darüber für die Sportpresse:

"Ein aufsehenerregendes Referat mit dem Titel 'Vertieft der Sport die Spaltung Deutschlands?' hielt der Berliner Senator für Jugend und Sport, Kurt Neubauer, auf einer Veranstaltung des Landesvorstandes der Jungsozialisten im Berliner Europa-Center. Neubauer fordert darin die kompromißlose Förderung des Leistungssports und Gelassenheit gegenüber den politischen Störmanövern der Zone.

Manche der mit den politischen Auffassungen der Bundesrepublik nicht übereinstimmenden Entscheidungen internationaler Fachföderationen stünden in unmittelbarem Zusammenhang mit den großen sportlichen Leistungen Mitteldeutschlands, sagte Senator Neubauer. Die unerhörten Anstrengungen um sportliche Siege und das mit ihnen verbundene internationale Prestige seien Teilstücke des Mühens um politische Anerkennung der 'DDR'. Die Bundesrepublik könne der Verlagerung des Ansehens der Deutschen zugunsten der 'DDR' nur dann entgegenwirken, wenn auch sie auf sportlichem Gebiet alle Kräfte mobilisiere und die sportliche Leistungsfähigkeit ihrer Gesellschaftsordnung beweise. Der Ostblock, Frankreich und die USA hätten längst eigene Wege der Förderung des Höchstleistungssports gefunden, und die Bundesrepublik müsse sich bei der Entwicklung eines für sie passenden eigenen Weges von überalterten Ansichten lösen. Dies gelte besonders für die noch oft starre Handhabung längst überholter Amateurbegriffe.

Die geschaffenen Leistungszentren würden in ihrer Wirksamkeit die schon früher praktizierte sporadische Lehrgangstätigkeit kaum übertreffen, solange Leistungssportler auf eigene Kosten unter Inanspruchnahme ihres Jahresurlaubs oder unbezahlten Urlaubs an Meisterschaftsvorbereitungen oder internationalen Titelkämpfen teilnähmen. Es sei Aufgabe, den über Jahre hinaus engagierten Leistungssportlern finanzielle, kontrollierbare Zuwendungen zu überlassen als Äquivalent für die wirtschaftlichen Einbußen während der Wettkampfzeit und als Starthilfe für den verspäteten Aufbau einer Existenz.

Zu den sportlichen Auseinandersetzungen über den internationalen Status der Verbände in beiden Teilen Deutschlands und dem häufigen Protokollstreit erklärte Senator Neubauer: "Ein geduldetes Emblem am Trainingsanzug bedeutet längst keine Anerkennung." Er warnte davor, dem Sport wie anläßlich der Leichtathletik-Europameisterschaften in Budapest hochpolitische Entscheidungen aufzubürden oder ihn mit Auflagen zu belasten, die das Risiko der Alleinvertretung Deutschlands durch die "DDR" einschlössen. Den politischen Störmanövern der Zone müsse mit Gelassenheit begegnet werden, weil sonst der Sport in Gefahr gerate, tatsächlich ein Faktor zur Vertiefung der Spaltung Deutschlands zu werden."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 5 / 2. Febraur 2010, S. 20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2010