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GESCHICHTE/210: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 70 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 12 / 23. März 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1969/I: Sport-Hearing im Bundestag war ein Meilenstein zu echter Partnerschaft
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsseschichte (Teil 70)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Dass noch viele Fragen nach der angestrebten Partnerschaft von Sport und öffentlicher Hand offen waren, sich andererseits aber die gesellschaftspolitische Anerkennung des Sports auf einem guten Weg befand, zeigte die öffentliche Anhörung im Januar 1969 im Innenausschuss des Bundestages, damals noch das für die Sportförderung zuständige Gremium des Parlamentes. Über das "Sport-Hearing" berichtete Hans-Dieter Krebs seinerzeit im DSB-Pressedienst:

"Das vorweggenommene Urteil, der deutsche Sport ginge angeschlagen und als Angeklagter in die öffentliche Anhörung des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, hat sich nach der sechsstündigen Informationssitzung nur als halbwahr erwiesen. Denn bei aller Reserve gegenüber noch nicht ausgereiften Vorstellungen für die Zukunft einer freien Sportbewegung über das Nahziel München 1972 hinaus hat das Gespräch in Bonn bewiesen, daß der Sport seine Kräfte aktiviert, seine Fähigkeiten besser erkennt und die Notwendigkeit von Reformen nicht nur in Programmen bekräftigt.

Gleichzeitig zeigte das Hearing zum Thema Sport, die vierte öffentliche Anhörung von Experten zu wichtigen Fragen überhaupt, erneut auf, daß sich die angestrebte Kooperation der Partner Sport und öffentliche Hand nur im vertrauensvollen Miteinander und im Ringen um die bestmöglichen Lösungen verwirklichen läßt.

Im Fraktionssaal der SPD erwies sich die Einsicht, daß zahlreiche Prägen nach dem richtigen Weg offengeblieben sind. Aber ein Leitsatz hat die Parlamentarier überzeugt, den Olympiasieger Josef Neckermann aussprach: 'Wollen wir heute mit der Kritik ein Ende machen, um zu einer gemeinsamen Leistung zu kommen!'

Sportpräsident Willi Daume hatte die heilsame Unruhe begrüßt, die nach Mexiko-City den deutschen Sport ergriffen hat, wenngleich er die Verdienste dieser Neun-Millionen-Bewegung gegen den Vorwurf einer 'Misere' in Schutz nahm, der einem augenscheinlich ungenügenden Medaillenerfolg entsprang. Aber die in der öffentlichen Diskussion angeregte Gewissenserforschung führte zu ersten Konsequenzen: Ausbau des Bundesausschusses zur Förderung des Leistungssportes mit mehr hauptamtlichen Kräften und eine stärkere Beteiligung der Fachverbände, Trainer und Aktiven an dieser Leitstelle des Spitzensports unter der fachlichen Führung des DSB.

Aber dieses Konzept kann schon jetzt Schuldige für eine ungenügende Medaillenausbeute in Sapporo und München 1972 festnageln, nämlich diesen Leistungsausschuß, an den die Fachverbände mit ihren Vertretern auch Teile ihrer Verantwortung delegieren. Die Diskussion dieses Konzeptes muß ebenso intensiv behandelt werden wie die Frage, wie und in welchem Status sich das beratende Gremium einer ständigen Sportkonferenz von öffentlicher Hand und Sport bilden solle, ohne in den Geruch eines politischen Steuerungsapparates zu geraten. Die Verbindung von Sport und politischer Macht beruht nicht allein auf Subventionen, nach denen gerufen wird und die zugesagt wurden, sondern steht in engstem Zusammenhang mit der Überwindung von Vorurteilen auf beiden Seiten. Minister Benda hat das Vertrauen in die Mitverantwortung des Staates für den Sport angesprochen. Es verlangt von den Parlamenten des Bundes, der Länder und der Gemeinden außer den Bewilligungen von Zuschüssen, die nur die unabdingbaren langfristigen Pläne des Sportes fördern, nicht aber reglementieren, auch die Ausnutzung aller gesetzlichen Handhaben, um den Sport, besonders den Schulsport als Ausgangspunkt der Talentsuche, in seiner gesellschaftspolitischen Rolle zu verankern.

Der Sport aber darf sich auf seinen Verdiensten nicht ausruhen. Er hat Reformen eingeleitet und Initiativen vorgelegt, die ihn immer stärker in die Rolle der Partnerschaft hineinwachsen lassen. Der Ruf nach Erfolgen indes spricht nur einen Teilbereich dieser von Hermann Schmitt-Vockenhausen erwähnten "konzertierten Aktion" an. Es steht weit mehr auf dem Spiel. Das Sport-Hearing, das einen weiteren Meilenstein auf dem Wege zur gesellschaftlichen Anerkennung darstellte, diente in erster Linie der Information. Es rückte indes vor den Augen einer weiten Öffentlichkeit zu einer Bestandsaufnahme des deutschen Sports auf. Sie kündigte über den Drei-Stufen-Plan des DSB oder die Reform der Bundesjugendspiele hinaus eine Entwicklung an, die sich in den Niederungen des Alltags und der von Willi Daume angesprochenen 'Mühsal der Demokratie' nur langsam vorantreiben läßt (...).

Als erste Konsequenz aus den Ergebnissen des Sport-Hearings bezeichnete der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Günther Müller, Münhen, seinen Vorschlag, ein 'Bundes-Sportkomitee' als Alternative zu dem von Bundesinnenminister Ernst Benda vorgeschlagenen Sportbeirat beim Bundesinnenministerium zu konstituieren.

Man entwickelte die Formel vom 'kooperativen autonomen Zusammenwirken' der Beteiligten. Nach den Vorstellungen von Dr. Müller sollen in diesem 'Bundes-Sportkomitee' Delegierte des DSB, der aktiven Sportler, der Bundestagsfraktionen, der Regierung und der Bundesländer vertreten sein, damit auf diese Weise eine wirkungsvolle und verbindliche Kooperation gesichert ist. Dieses Komitee soll seiner Aufgabenstellung nach für alle Fragen, die sich aus dem Verhältnis zwischen Sport und Staat ergeben, zuständig sein.

Den Vorschlag von Bundesinnenminister Ernst Benda, einen Beirat beim Innenministerium zu berufen, lehnen die sozialdemokratischen Sportpolitiker ab, weil damit der unabhängigen Position des Sports nicht gedient sei. Als Beispiel für die Wirksamkeit eines echten parlamentarischen und kooperativen Zusammenwirkens nannte Dr. Müller den Wirtschaftsrat. DSB-Arbeitskommission legt eine Studie zur Gewinnung von Führungsnachwuchs vor Es liegt im Wesen des Sports, (...) sich mit dem Bestehenden nicht zu begnügen. Das bezieht sich nicht nur auf die Aus- und Fortbildung derer, die den Sport aktiv betreiben, sondern auch auf die innere Führung und die dort tätigen Führungskräfte. Alle Bereiche des Lebens und viele gesellschaftliche Organisationen stehen bei ständig wachsenden Aufgaben und der sich immer schneller wandelnden Gesellschaft vor neuen Problemen. An die Stelle einfacher, überschaubarer Zusammenhänge sind (...) kompliziertere Entscheidungsprozesse getreten, die nur durch eine entsprechende Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte bewältigt werden können, wenn auf breitester Basis bewußt gemacht wird, daß Führen und Verwalten erlernbar sind. Das sind Grundgedanken einer Entwicklungsstudie über Führungsaufgaben, die die Arbeitskommission des Deutschen Sportbundes, beim DSB-Bundestag 1968 ins Leben gerufen, unter Vorsitz von Dr. Claus Hess, Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes, erarbeitet hat.

Die neuen Größenordnungen des Sports stellen zunehmende fachliche und intellektuelle Anforderungen an die Führungskräfte im Sport. Das bedeutet, daß ein Aus- und Weiterbildungsweg zu konzipieren ist, der alle Führungs- und Verwaltungskräfte im Sport einbezieht und davon ausgeht, neue Methoden sowie wichtige Erkenntnisse mit Hilfe einer konstruktiven Kritik und einer umfassenden Aufnahmebereitschaft zu vermitteln. (...)

Die Zeit des autoritären Führungsstils, wie er noch für die Vergangenheit genügte, ist längst vorüber. Die 'Sportführung aus der Aktentasche', unklare Anweisungen und Geheimnistuerei haben dazu geführt, daß der deutsche Sport sich einem Fehlbestand an Führungskräften, vornehmlich jungen urd zur Verantwortung bereiten, gegenübersieht. Es blieb auch nicht aus, daß fortlaufende nervlich aufreibende Konfliktsituationen zwischen den unterschiedlichen Ämtern und den verschiedenen Generationen auftraten, daß die Unterstützung der Nachwuchskräfte durch die jeweils amtierenden Träger der Verantwortung auf allen Ebenen zu schwach war, daß kritische Wertung von Entscheidungen kaum möglich wurde.

Hierin nun soll es nicht nur bei programmatischen Erklärungen bleiben. Die DSB-Arbeitskommission zeigte in der Studie Wege auf, wie man dem Fehlbestand geeigneter Führungskräfte und dem bisherigen unsicheren Führungsstil beikommen kann. Einige Sätze in der Studie mögen manchen ergrauten ehrenamtlichen Funktionären, ohne die der Sport auch in Zukunft nicht wird auskommen können, provokatorisch erscheinen. Aber es geht darum, einen Umdenkungsprozeß zu vollziehen. Zwischen den Gründerjähren und den heutigen Aufgaben in der modernen Gesellschaft ergeben sich Diskrepanzen. Andere Institutionen wie etwa die Kirchen, die Wissenschaft und vor allem die Wirtschaft haben das bereits früher erkannt und gelöst. Zwei dominierende Funktionen haben sich auf Grund der Anforderungen an die Führungs- und Verwaltungskräfte herausgebildet: sportverwaltende und sportorganisatorische sowie sporttechnische. Die erste Punktion soll sich nach den Themen Organisationslehre und Menschenführung, Rechts- und Wirtschaftskunde, Öffentlichkeitsarbeit, internationale Arbeit sowie Sport und Gesellschaft aufbauen.

Zur Erreichung des Programms, das letzten Endes auch gerade aktiven Sportlern nach Beendigung ihrer Laufbahn eine berufliche Möglichkeit bieten soll, wird im Deutschen Sportbund ein hauptamtliches Bildungsreferat geschaffen (...). Das wird noch in diesem Jahre geschehen. Die genaue Entwicklung des Bildungsplans soll bis Juni 1970 erfolgen, der Beginn der Grundkurse bis Ende 1970. Die Arbeitskommission für Führungsfragen, der neben Dr. Hess u. a. auch DFB-Generalsekretär Paßlack, Pfarrer Hörmann und DSB-Generalsekretär Gieseler angehören, hat mit dieser Studie den Weg gezeigt, wie der deutsche Sport die Aufgaben der modernen Gesellschaft bewältigen kann und muß, um neben anderen gesellschaftlichen Organisationen im nationalen und internationalen Bereich als gleichwertig anerkannt zu werden."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 12 / 23. März 2010, S. 26
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2010