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GESCHICHTE/211: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 71 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 13-14 / 30. März 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1969/II: Weyer wird Geschäftsführender DSB-Präsident - und tritt zurück
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 71)

Eine Serie von Friedrich Mevert


"Kaum jemand mit Sitz und Stimme fehlte im Bremer Rathaus", schrieb Franz Freckmann, der damalige Sportchef der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, "als der außerordentliche Bundestag des Deutschen Sport-Bundes am 1. März eröffnet wurde. Präsident Willi Daume hatte aus "nagender Kritik" und "bissigen Ratschlägen", aber auch aus seiner seit 1966 währenden eigenen Einsicht Konsequenzen gezogen und teilte mit: Willi Weyer, bisher einer der Vizepräsidenten, wird geschäftsführend die Arbeit des Präsidenten übernehmen.

Daume sagte außerdem, er werde die Hauptversammlung des NOK im Mai bitten, ihn vom Amt des NOK-Präsidenten freizustellen und einen anderen zu wählen. Dazu sei gleich bemerkt, daß nach Daumes längerem Bericht, der mit minutenlangem Beifall aufgenommen wurde, der Vertreter des Fachverbandes Handball sich gegen Daumes Rücktritt als NOK-Präsident äußerte und von Daume die Antwort erhielt, die Angelegenheit liege in der Zuständigkeit des NOK. Das noch bemerkenswertere Ergebnis der Bremer Tagung war die Annahme eines vom DSB ausgegangenen, in mehrfachen Beratungen (zuletzt am Vortage in Bremen) abgeänderten Konzepts zur Neuordnung des Bundesausschusses zur Förderung des Leistungssports. Lange wurde über die einzelnen Punkte debattiert, aber als die Abstimmung vorüber war, riet Daurae alsbald dazu, Nägel mit Köpfen zu machen, d. h. gleich.Termine zu setzen, da Durchführungsbestimmungen, Kompetenzabgrenzungen und personelle Besetzungen bis zum 30. Juni erarbeitet sein sollen.

Man beschloß, daß am 19. April die Fachverbände, am 20. April die Sportwarte, am 3. Mai die Vertreter der Aktiven, am 4. Mai die Trainer tagen sollen, wobei eine Einladung des DFB nach Frankfurt dankbar aufgegriffen wurde. Frankfurt wurde übrigens mit 197 Stimmen (gegenüber 73 für Köln, 11 für Baden-Baden und 0 für Wiesbaden) als Sitz aller zusammenführenden Teile der DSB-Verwaltung und des Leistungsausschusses gewählt. Das Präsidium hatte sich am Tage vorher mit Mehrheit für Köln ausgesprochen.

Der Bundesausschuß zur Förderung des Leistungssports erhält also einen siebenköpfigen Vorstand, bestehend aus den gewählten Vorsitzenden der drei Kommissionen der Sportwarte, Trainer und Wissenschaft, den Beiräten der Fachverbände und der Aktiven sowie einem Delegierten des NOK und dem vom DSB zu bestellenden Leitenden Sportdirektor. Dieser Vorstand wählt sich seinen Vorsitzenden.

Zweiter Teil der organisatorischen Gliederung sind vier Kommissionen: Sportwarte, Trainer, Wissenschaftler und Aktive. Dritter Teil ist ein Beirat aus je sieben Vertretern der Bundesfachverbände und der Aktiven, vierter Teil Vollversammlungen der Fachverbände, der Sportwarte, dsr Trainer und der Sprecher der Nationalmannschaften.

Der Versammlung der Sportwarte gehören auch an: je ein Vertreter der Bundeswehr (die in Bremen ein großzügiges Förderungsprogramm für soldatische Leistungssportler unterbreiten ließ), des BGS, der Polizei, der Leibeserzieher und der AG der Pädagogischen Hochschulen. NOK, Bundesinnenministerium und Deutsche Sporthilfe sind in verschiedener Weise beteiligt. Die Beratung zu all diesen Punkten leitete mit großem Geschick bereits Willi Weyer.

Vorher hatte Willi Daume in seiner Rede, die einen höchst eindrucksvollen Abschied vom Amt bedeutete, betont, die Entwicklung des Sports in der Bundesrepublik in den letzten zehn Jahren sei ohne Beispiel in der ganzen Welt. Dabei habe nicht "General Trend" geholfen, sondern kluge Gedanken und eine prachtvolle Initiative hätten sich ausgewirkt. Daume sagte mit Bezug auf die Zukunft, die Förderung des Höchstleistungssports und auch die Leistungszentren ließen sich nicht schematisieren, und er ermahnte dazu, als wichtiger immer noch die Gesamtentwicklung junger Menschen anzusehen.

Gegenüber dem Diktat der technisierten Gesellschaft müßten Freiheit und Individualität wenigstens in den Bereichen erhalten werden, in denen es möglich sei, und dazu gehöre der Sport. Der Ruf nach dem Staat sei immer zugleich der Ruf nach mehr Unfreiheit - auch dieses Wort stand am Schluß der Daume-Rede, die so elegant und so fesselnd war, daß Willi Weyer vergeblich um Wortmeldungen zur Diskussion aufforderte.

Vor Bremen war man auf eine Kontroverse Josef Neckermann/Dr. von Opel - Willi Daume gefaßt, aber dazu kam es nicht. Gewiß, Neckermann verteidigte seine nachmexikanischen kritischen Äußerungen, aber er sagte auch in seinem (...) Bericht über die von ihm geleitete Deutsche Sporthilfe, mit Daume habe "engste Zusammenarbeit und bestes Einvernehmen" bestanden. Schwimmverbands-Präsident Karg stellte aber fest: 'Durch ihre Kritik, Herr Neckermann, haben wir manchen Mitarbeiter verloren.'

Der Angegriffene schlug zurück, verwies auf ungenügende Arbeit von Fachverbänden und sagte: 'Wir sind nicht daran interessiert, uns in die Arbeit der Fachverbände einzuschalten.' Neu in den DSB aufgenommen wurden als ordentliche Mitglieder der Deutsche Bahnengolf-Verband (242 Vereine) und der Deutsche Skibob-Verband, als außerordentliches Mitglied der jüdische Turn- und Sportverein Maccabi für Deutschland. Glatt ging die Beitragserhöhung von 3,5 auf 5 Pfennig für die ordentlichen und von 2 auf 3,5 für die außerordentlichen Mitglieder durch."


Willi Weyer trat in Duisburg-Wedau wieder zurück

Unterschiedliche Auffassungen über eine von der Trauarbeit AG vorgelegte Studie zum Aufbau einer zentralen Verwaltung des DSB führten in der 73. Präsidiumssitzung am 10. Oktober in Duisburg zu heftigen Kontroversen innerhalb des Präsidiums mit der Konsequenz, dass in der Hauptausschuss-Sitzung am folgenden Tage Willi Weyer von seinem Amt als Geschäftsführender DSB-Präsident nach knapp acht Monaten Amtszeit wieder zurücktrat.

Der niedersächsische LSB-Pressewart Willi Weiss kommentierte diesen Rücktritt in "Sport in Niedersachsen" (auszugsweise) wie folgt:

"DSB-Vizepräsident Willi Weyer, dessen Bestellung zum Geschäftsführenden Präsidenten des Deutschen Sportbundes (DSB) auf dem außerordentlichen DSB~Bundestag in Bremen einhellig begrüßt und gebilligt worden war, und der damals mit dieser Punktion nicht etwa nur 'beliehen' wurde, zeigte sich mit Bezug auf die 'Geschäftsführung' plötzlich amtsmüde. Dr. Walter Wülfing (Hannover) - neben Weyer, Lindner, Dr. Hübner und Dr. Kregel einer der fünf DSB-Vizepräsidenten - war von Weyers Entschluß so betroffen gewesen, daß er in Duisburg-Wedau auf Fragen nur zu antworten vermöchte: 'Ich habe kein Verständnis für Weyers Handeln. Vor wenigen Monaten erst hatte er dieses zusätzliche Amt übernommen, und jetzt legte er es innerhalb weniger Minuten nieder, ohne zuvor mit Willi Daume oder mit uns über seine Beweggründe gesprochen zu haben.'

Wir sind davon überzeugt, daß Willi Weyer, der in Nordrhein-Westfalen nicht nur Innenminister, sondern auch Vorsitzender des Landessportbundes ist, gewichtige Gründe für seinen Rücktritt gehabt hat. Dieser Willi Weyer wird ja zur Zeit von Arbeit, Verantwortung und Mitverantwortung nahezu erdrückt. Allerdings hatte er seinen engsten Mitarbeiter Willi Daume, der (...) im Ausland war, vorher nicht unterrichtet, daß 'etwas in Duisburg-Wedau passieren' würde.

Viele haben Weyers Handeln als einen zwar nicht ausgesprochenen, aber praktisch erklärten Protest gegen Daume bezeichnet. (...) Doch das eine wissen wir: Weder Weyers Rücktritt noch Daumes Verbleiben im Amt hat eine neue Krise im deutschen Sport heraufbeschworen. Die Zehn-Millionen-Organisation des deutschen Sports ist nicht so anfällig, daß das Tun oder Unterlassen eines einzelnen sie alsbald aus dem Gleichgewicht zu bringen vermöchte. (...)

Wenn wir die Dinge unabhängig von allem persönlichen Für und Wider beim Namen nennen wollen, geht es um eine neue Ordnung des Verhältnisses vom Deutschen Sportbund, der Dachorganisation unseres Sports, zu den Fachverbänden, um eine Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen allen Institutionen des Sports, aber auch um eine Verstärkung der Arbeitsintensität im Leistungs- und Breitensport bis hinunter in die Vereine. Viele Fragen sind dabei (das wissen nicht nur Weyer und Daume) noch ungelöst, manche nicht einmal angesprochen worden. In diesem Zusammenhang müssen wir uns auch des Generationsproblems bewußt werden, mit dem wir weder im Sport noch in den Schulen und Hochschulen und zum Teil nicht einmal in den eigenen Familien fertig geworden sind. (...)

Gehen wir wieder an die Arbeit, wie wir es gestern und vorgestern getan haben. Der Sport ist eine dynamische Kraft, die aus sich selber lebt und leben will. Diese Kraft überdauert sogar Krisenzeiten. Die Geschichte des deutschen Sports hat dafür eine Fülle von Anschauungsmaterial bereit. Auch der gegenwärtige Zustand macht alles andere denn eine stationäre Behandlung des Patienten notwendig."

Die Folgerungen aus diesem Rücktritt waren wichtigster Beratungspunkt des DSB-Präsidiurns schon am 1. November 1969 in Hannover. Dort berief das Präsidium zur organisatorischen Stärkung der Dachorganisation der deutschen Sportbewegung eine Reform- und Satzungskommission unter der Leitung von Willi Weyer, die ihre Arbeit innerhalb von sechs Wochen bis zum 15. Dezember abschließen sollte, damit die Ergebnisse dann mit den Mitgliedsverbänden erörtert und beim DSB-Bundestag 1970 beschlossen und umgesetzt werden könnten. Das Präsidium legte ferner fest, dass mit dem Bau des neuen "Hauses des deutschen Sports" in Frankfurt am Main unverzüglich begonnen werden sollte.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 13-14 / 30. März 2010, S. 39
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2010