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GESCHICHTE/226: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 76 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 19 / 11. Mai 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1969/VI: Das Ringen um neue Organisationsformen im deutschen Sport
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 76)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Im nacholympischen Jahr 1969 wurde in der Bundesrepublik - auch im Hinblick auf die Olympischen Spiele 1972 in München - um neue Organisationsformen und auch um Führungspersönlichkeiten des Sports gerungen. Dabei ging es sowohl um Strukturfragen über die Organisation der Führung des DSB selbst und die Neuordnung der DSB-Verwaltung sowie die Installation neuer Gremien bis hin zu neuen Organisationsformen zwischen der unabhängigen Sportbewegung und der staatlichen Sportpolitik. Ausführlich berichtete der Sportinformationsdienst (sid) am 28. Januar über die ZDF-Diskussion "Der deutsche Sport als Angeklagter?":

"München braucht Daume, NOK und Sportbund brauchen Führung. Und diese Führung könnten Willi Weyer dem Deutschen Sportbund und Josef Neckermann dem Nationalen Olympischen Komitee geben. Diese nachhaltigen Forderungen charakterisierten Ton und Inhalt der Sendung 'Der deutsche Sport als Angeklagter', die das Zweite Deutsche Fernsehen als einen Höhepunkt der seit Mexiko andauernden Diskussion über die Situation des deutschen Sports ausstrahlte.

Nicht eine zu befürchtende Medaillenflaute bewegte die vier Sportpublizisten Alfons Gerz (Düsseldorf), Willi Knecht (Berlin), Willi Krämer (Wiesbaden) und Werner Schneider (Düsseldorf) zu ihrer kein Tabu scheuenden Bestandsaufnahme, sondern die zwingenden Notwendigkeiten. Die kritische Sonde ging an vielen sonst unausgesprochenen Fehlern nicht ängstlich vorüber: Kann der Sport die gebende Hand des Staates schlagen, wenn die Finanzen den Besitzer gewechselt haben?

Der DSB hat in den 20 Jahren seines Bestehens sein eigenes Haus noch nicht gebaut! Wird die Führungskrise (...) durch einen Generalbevollmächtigten des Bundes für den Sport gelöst? Das Feilschen um Millionen für München 1972 muss ein Ende haben! Die internationale Repräsentanz des bundesdeutschen Sportes ist sträflich vernachlässigt worden! Die Wachablösung in der deutschen Sportführung lässt sich nicht mehr hinausschieben! Endlich versickerten die Gespräche nicht in unverbindlichen Vorstellungen, sondern unverblümt, fast schockierend wurden in dieser Sendung des ZDF Forderungen ausgesprochen, die die Zukunft des deutschen Sports entscheidend in neue Wege leiten. Die alten Zöpfe müssen abgeschnitten werde. Auch ohne goldene Schere haben sich die vier Publizisten an diese Aufgabe gemacht. Die Bilanz fasst ZDF-Sportchef Willi Krämer zusammen:

Der deutsche Sport muss sich eine neue Führungsstruktur geben. Das dynamische und mit Verantwortung ausgestattete Management muss bei voller Anerkennung der ehrenamtlichen Basis die Spitze der Neun-Millionen-Bewegung bilden.
Staat und Sport müssen - notfalls durch Vereinbarung oder Rahmenvertrag - zu echter, vertrauensvoller Zusammenarbeit in den großen Gemeinschaftsaufgaben kommen. Der Staat darf dabei nicht nur Zahlmeister sein.
Auf dem Wege nach München 1972 bietet sich ein Kuratorium des Sports nach dem Modell der konzertierten Aktion an. Aber noch mehr: Olympische Spiele in München können weder weißblau noch betont münchnerisch gefärbt sein. Sie dürfen dem Lobbyismus oder Querelen keinen Raum geben. Der Sport kann sich auf den Erfolgen und vorbildlichen Leistungen der Vergangenheit nicht ausruhen. Der Blick über die Zonengrenze darf weder durch ideologische Ressentiments noch durch Unkenntnis der politischen Hintergründe zu falschen Rückschlüssen über die Wege der mitteldeutschen Sportaufrüstung führen. Wenn der Sport Vorbehalte gegen unseren Staat hat, so muss er endlich dieses Mißtrauen erklären. Mut, Einsicht und Aufgeschlossenheit müssen eine dritte Spaltung der deutschen Sportbewegung verhindern, die Trennung zwischen Breiten- und Hochleistungssport. Die Schlüsselfigur aber heißt Willi Daume. Ihm gebührt eine Heuss-Rolle im deutschen Sport, die ihn in DSB und NOK von Alltagsaufgaben entlastet, dem Sport aber die notwendige Führung zurückgibt."

Sport und Politik erzielen Übereinkunft über gemeinsames Gremium

Der Vorbereitung der am 22. Oktober 1970 in Bonn ins Leben gerufenen "Deutschen Sportkonferenz" diente ein Gespräch zwischen Vertretern des DSB und der vier Bundestagsparteien im September 1969, über das der Bonner Sportjournalist Ernst-Dieter Schmickler berichtete:

"Als Arbeitsessen gab es eine kräftige Gemüsesuppe mit Würstchen. Gastgeber Willi Weyer, der Geschäftsführende DSB-Präsident und nordrhein-westfälische Innenminister, lobte das sportlich-faire Verhalten der Vertreter der vier Bundestagsparteien CDU, SPD, CSU und FDP, die in vorzüglicher Weise den Sport in den Mittelpunkt sachbezogener Gespräche stellten. Daß der Sport auch in den Wahlreden nicht unberücksichtigt bleiben würde, erschien den Beteiligten selbstverständlich.

Allein aus der sozialen und gesundheitspolitischen Stellung ergab sich die Frage: "Sport im Wahlkampf?" So meinte auch der Sportreferent der nordrhein-westfälischen Landesregierung und Vorsitzende des SPD-Sportbeirates, Friedel Schirmer, humorvoll zu CDU-Generalsekretär Dr. Bruno Heck: "Wir werden den Sport nicht zum zentralen Wahlkampfthema machen".

In rund 120 Minuten war man sich über die grundlegende Bildung eines Koordinierungsinstrumentes auf Bundesebene einig. Über Verfahren, Bezeichnung, personelle und zahlenmäßige Besetzung sowie die Finanzierung soll unverzüglich eine Elferkommission mit Minister Eisenmann - FDP, Staatssekretär Köppler - CDU, Werner Kubitza - FDP, Staatssekretär Lauerbach - CSU, Dr. Müller-Emmert - SPD, Friedel Schirmer - SPD, Minister a.D. Stücklen - CDU, Dr. Wörner - CDU sowie Willi Weyer, Professor Dr. Lotz und Karlheinz Gieseler vom Deutschen Sportbund Beratungen aufnehmen. Gemeinsam befürworteten die Konferenzteilnehmer eine baldige Realisierung dieser Einrichtung nach den Bundestagswahlen auf der Grundlage der Juni-Beschlüsse des Bundestages. Der Kommission soll es auch vorbehalten bleiben, eine aussagekräftige, sachgerechte und dem gesellschaftlichen Anspruch des Sports zutreffende Bezeichnung für dieses Gremium zu finden.

Die nahtlose Verzahnung aller sportlichen Ebenen in Bund, Ländern und Gemeinden sahen die Repräsentanten des Sports und die Parlamentarier als vorrangige Aufgabe einer solchen Koordinierungsstelle an.

Auf die Dringlichkeit der Konstituierung des Gremiums wies der CDU-Sportsprecher, Dr. Manfred Wörner, hin. Der Göppinger Abgeordnete glaubt an eine Arbeitsaufnahme noch in diesem Jahr.

Übereinstimmend kommentierten SPD-Minister Herbert Wehner und CDU-Generalsekretär Dr. Bruno Heck die parlamentarischen SportverhandIungen als nicht aus einer 'Olympia-Hysterie' geboren. Schwerpunkt der anlaufenden Kommissionsberatungen wird die Präge der Beteiligung von Legislative und Exekutive von Bund und Ländern sein.

Eine Vertretung der Gemeinden dürfte sich durch den Landkreistag, den Deutschen Städtetag und den Gemeindetag unschwer ermöglichen lassen. Die ersten Vorstellungen sprechen von 40 bis 60 Mitgliedern in diesem Gremium, in dem Sport und Politik gemeinsam an einem Tisch sitzen.

Umfassende Mitwirkung von Bund, Ländern und Gemeinden und die Notwendigkeit eines arbeitsfähigen, beschlußfreudigen Gremiums stehen sich jedoch etwas konträr gegenüber. Willi Weyers Vorschlag: Sport und öffentliche Hand stellen jeweils die Hälfte der Mitglieder mit wechselndem Vorsitz und ad hoc-Arbeitsgruppen.

Nicht unbedeutend dürfte in diesem Zusammenhang die ministerielle Entwicklung in Sachen Sport auf Bundesebene sein. Bei der Erörterung der Minister-Repräsentanz in dem Koordinierungsgremium sprach man bei den Sozialdemokraten bereits nicht mehr vom Bundesinnenminister, sondern vom 'zuständigen Kabinettsmitglied'. Denn nach SPD-Meinung soll der Sport in der neuen Ressort-Einheit 'Sport-Jugend-Gesundheit' untergebracht werden.

FDP-Fraktionsvorsitzender Wolfgang Mischnick meinte dazu: 'Wir klammern uns nicht an Bezeichnungen; Hauptsache ist, es geschieht etwas.'"


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 19 / 11. Mai 2010, S. 35
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2010