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GESCHICHTE/227: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 77 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 20 / 18. Mai 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1970/II: Gesamtdeutsche Sportpolitik kommt wieder in Bewegung
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 77)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Nach über zehnjährigem Schweigen kam durch die Gespräche zwischen DSB und DTSB am 2. Juli in Halle und am 20. November in München wieder Bewegung in die gesamtdeutsche Sportpolitik. Unter dem Thema "Die gesellschaftliche Stellung des Sports in der BRD und der DDR - Standort und Folgerungen" befasste sich auch die Deutsche Sportjugend bei ihrer 16. Vollversammlung am 7./8. März in Saarbrücken damit. In einer Resolution heißt es: "Die DSJ appelliert an die Jugendleitungen ihrer Turn- und Sportvereine, im Sinne des Verhandlungsangebots des DSB an den DTSB alle Möglichkeiten für einen verstärkten Kontakt mit den Sportgemeinschaften des DTSB auszuschöpfen und neue Wege zu suchen, damit die sportlichen Begegnungen und das menschliche Verstehen zwischen den Bürgern der DDR und der BRD gefördert werden."

Bei den Besprechungen zwischen dem Deutschen Sportbund und dem Deutschen Turn- und Sportbund am 2. Juli 1970 in Halle hatte der DTSB ausdrücklich die Regeln, Bestimmungen und allgemeinen Gepflogenheiten der Internationalen Föderationen sowie das Internationalen Olympischen Komitees für den innerdeutschen Sportverkehr anerkannt. Er hat darüber hinaus erklärt, dass er den Sportverkehr zwischen den Vereinen des DSB und den Gemeinschaften des DTSB von Vorbehalten freihalten wolle. Der DSB empfahl daher, verstärkt um Sportkontakte mit den Gemeinschaften des DTSB bemüht zu sein und frühere Verbindungen wieder aufzunehmen. Fördermittel ständen bereit. Die Verhandlungen endeten mit der Vereinbarung, am 20. November in München wieder zusammenzukommen. Der DSB entwickelte seine Vorstellungen für einen normalen Sportverkehr in folgender Erklärung, die Präsident Wilhelm Kregel vortrug:

"Es besteht in der Welt ungeteilter Konsens darüber, daß unterschiedliche gesellschaftliche Ordnungen und gegensätzliche politische Auffassungen kein Hindernis für die Pflege der Beziehungen zwischen den Sportorganisationen sein dürfen und erst recht kein Grund, um sich gegeneinander abzuschließen oder fortlaufend voneinander politische Erklärungen zu verlangen.

DSB und DTSB, unsere beiden deutschen Sportorganisationen, haben sich unterschiedlich und unabhängig voneinander entwickelt; sie sind selbständig und ihre Mitgliedsorganisationen von den Internationalen Föderationen anerkannt. Die von den Internationalen Föderationen gewährten Rechte schließen die Pflicht ein, allen anderen Sportorganisationen in gegenseitiger Achtung zu begegnen. Die vom Internationalen Olympischen Komitee und den Internationalen Föderationen in ihren Regeln festgehaltenen Prinzipien der Gleichberechtigung, der Gegenseitigkeit oder der Unverletzlichkeit bilden also die Grundlagen für die Beziehungen zwischen DSB und DTSB mit ihren Vereinen, Gemeinschaften und Verbänden. Diese Regeln stecken auch ab, was in der Kompetenz einer Sportorganisation liegt und was nicht mehr.

Der DSB betrachtet die Regeln, Bestimmungen und allgemeinen Gepflogenheiten des IOC und der Föderationen als den einzig möglichen Rahmen für Vereinbarungen zwischen unseren beiden Sportorganisationen. Davon gehen auch unsere Vorschläge aus; und wenn unterschiedliche Auffassungen über die Vergangenheit bestehen bleiben sollten, müßten wir uns doch über einiges verständigen können, was in Zukunft geschehen soll.

Wir wissen, daß auch der Weg zur Regelung unserer sportlichen Beziehungen nicht leicht ist; wir sollten es uns heute nicht dadurch schwerer machen, daß wir uns gegenseitig die Vorkommnisse von gestern aufzurechnen versuchen. Wir werten vielmehr die Tatsache, daß wir hier zusammentreffen, als Beweis dafür, daß es beiden Seiten nicht an gutem Willen zum Abbau der Spannungen fehlt."

Als Basis dieser Bestrebungen hat der DSB Ihnen schon am 10. Februar 1970 mitgeteilt:

"Wir begegnen Ihnen auf der Grundlage sportlicher Anerkennung und Achtung, nach dem Prinzip der Gleichberechtigung, so wie es die Regeln und allgemeinen Gepflogenheiten des Sports in aller Welt verlangen. Das schließt die protokollarischen Regelungen ein und jegliche Diskriminierung aus.

Im übrigen kann es nach sorgfältiger Prüfung aller rechtlichen und gesetzlichen Gegebenheiten unsererseits keine Hindernisse mehr geben, die Begegnungen zwischen den Sportlern unserer beiden Organisationen erneut zu beleben. Ihrerseits wurde noch nicht zu erkennen gegeben, wie Sie sich die praktische Ausgestaltung der Beziehungen im einzelnen vorstellen, obwohl Ihre drei Fragen vom 16. März 1970 durch den DSB bereits fünf Wochen vorher eindeutig beantwortet worden waren. Unsere und Ihre Sportler sollten nicht nur gelegentlich bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften einmal aufeinandertreffen, sondern in fortlaufenden Wettkämpfen ihre Kräfte messen. Wir meinen, daß dies gerade für die Olympischen Spiele 1972 in München besonders wichtig sein wird und bieten Ihnen heute schon jede erwünschte Hilfestellung an. Bei der sportlichen Vorbereitung spielen Grenzen längst keine Rolle mehr; so sind internationale Trainingslager u. a. m. üblich. Ihre Rennschlittensportler waren zum Beispiel um den Jahreswechsel schon einmal zu einem solchen Meeting bei uns. Warum sollte das, was mit den Sportlern vieler anderer Länder möglich ist, nicht auch zwischen unseren Organisationen ermöglicht werden können?

Mit dem Ziele sportlicher Kooperation schlage ich folgende praktische Maßnahmen vor, um zu normalen Beziehungen zwischen den Vereinen, Gemeinschaften und Verbänden unserer beiden Sportorganisationen zu kommen:

verstärkter Sportverkehr auf verschiedenen Ebenen;
internationale Trainingslehrgänge, unter anderem mit abschließenden Wettkämpfen;
gegenseitige Beschickung sportwissenschaftlicher Kongresse;
Austausch sportwissenschaftlicher Erkenntnisse (z. B. über die Dokumentationsstelle);
Erfahrungsaustausch im Sportstätten- und Sportgerätebau;
Unterrichtung über Maßnahmen und Austausch von Materialien zur Förderung des Volkssports;
gemeinsame Sportjugendlager wechselseitig im Bereiche des DSB und des DTSB.

Grundzüge für die Regelung dieses vorgelegten Programms ließen sich in folgenden vertraglichen Elementen zusammenfassen, die unsere Haltung als Ausdruck aufrechten Ringens, um sportliche Verständigung und nicht - wie uns nachgesagt wird - der Bevormundung oder Anmaßung weiter verdeutlichen mögen;

a) DSB und DTSB vereinbaren im Geiste sportlicher Achtung und gegenseitiger Anerkennung und auf der Grundlage der Gleichberechtigung die Beziehungen miteinander und unter ihren Mitgliedsorganisationen zu verbessern.

b) Die Beziehungen zwischen DSB und DTSB vollziehen sich nach den Statuten, Regeln, Bestimmungen und allgemeinen Gepflogenheiten des Internationalen Olympischen Komitees, der Internationalen Föderationen und weiterer Weltsportorganisationen.

c) DSB und DTSB verpflichten sich, Diskriminierung und den Mißbrauch des Sports zu politischen Zwecken nicht zuzulassen und dementsprechende Empfehlungen an ihre Mitgliedsorganisationen zu geben.

d) DSB und DTSB respektieren gegenseitig ihre Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Zuständigkeit; sie unterlassen jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der jeweils zuständigen Sportorganisation.

e) DSB und DTSB werden jeder Haltung entgegentreten, welche die Beziehungen untereinander und das friedliche Zusammenwirken im internationalen Sport stören könnten, und dementsprechend bei ihren Regierungen vorstellen werden.

f) DSB und DTSB werden die vorgelegten Programmpunkte für einen verstärkten Sportverkehr bis zum 1. September 1970 prüfen und die Ergebnisse schriftlich austauschen, um die nächsten Verhandlungen zwischen den beiden Organisatioimen vorzubereiten.

g) DSB und DTSB wollen zur Regelung des Sportverkehrs zwischen ihren Organisationen im fortlaufenden Gespräch bleiben und ihren Mitgliedsorganisationen empfehlen, den Wettkampfverkehr in den einzelnen Sportarten ergänzend zu regeln.

h) DSB und DTSB sind der Auffassung, daß sie mit ihren Vereinbarungen eine Verbesserung der Beziehungen zwischen ihren beiden Organisationen auch einen Beitrag zur allgemeinen Normalisierung leisten.

(...) Ich hoffe, daß die (...) praktischen Vorschläge den Blick auf die künftige Entwicklung des Sportverkehrs zwischen den Vereinen, Gemeinschaften und Verbänden des DSB und DTSB lenken. Und darum muß es nun doch wohl immer und zu allererst gehen!"


Briefwechsel zwischen Daume und Ewald

DSB-Präsident Willi Daume hatte dem DTSB am 10. Februar ein Gespräch über die Verbesserung der Sportkontakte angebobten hatte. Es folgte dieser Briefwechsel:

"Sehr geehrter Herr Daume!

In Beantwortung Ihres Schreibens vorn 10. Februar 1970 an den Deutschen Turn- und Sportbund schlage ich Ihnen Verhandlungen zwischen dem Präsidium des DTSB der DDR und dem Präsidium des DSB der BRD für den 8. Mai 1970 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, vor. Ich möchte betonen, daß Verhandlungen nur dann zu fruchtbaren Ergebnissen führen, die dem Sport und der olympischen Idee dienen, wenn vor allem folgende Punkte zum Inhalt unserer Besprechung gemacht werden:

1. Anerkennung und Verwirklichung des Grundsatzes durch den DSB' und die Sportverbände der Bundesrepublik, daß die Beziehungen zwischen den Sportorganisationen des souveränen Staates der DDR und der BRD auf gleichberechtigter Grundlage unter Verzicht auf jede Form der Alleinvertretungsanmaßung nach den Gesetzen, Statuten, Regeln, Bestimmungen und allgemeinen Gepflogenheiten des Internationalen Olympischen Comitees, der internationalen Sportföderationen und weiterer Vifeltsportorganisationen durchgeführt werden.

2. Anerkennung und Verwirklichung des Grundsatzes durch den DSB der BRD und die Sportverbände der Bundesrepublik, daß in den internationalen Sportorganisationen, auf internationalen Sportveranstaltungen jeglicher Art sowie in den Begegnungen der Sportler der DDR und der BRD jegliche Diskriminierung und jeglicher politischer Mißbrauch ausgeschlossen werden.

3. Verzicht auf jede Form der Einmischung in die Angelegenheiten der DDR-Sportorganisationen und Verzicht auf jede Form der Diskriminierung in den internationalen Sportorganisationen durch den DSB und die Sportverbände der BRD.

Nach Klärung dieser grundsätzlichen Fragen werden weitere Verhandlungen geführt mit dem Ziel, einen Vertrag zur Regelung der sportlichen Beziehungen (...) auf der Ebene von Sportorganisationen souveräner Staaten abzuschließen.


Mit sportlichem Gruß gez. Ewald"


Der DSB hat die Einladung des DTSB zu Verhandlungen im Grundsatz angenommen, jedoch um eine Vorverlegung des Termins vom 8. auf den 4. oder 5. Mai gebeten. Das ist der Kern des Antwortschreibens, das Daume am 6. April 1970 an DTSB-Präsident Manfred Ewald sandte:

"Sehr geehrter Herr Ewald,

ich bestätige den Erhalt Ihres Schreibens vom 16.2.1970 an den Deutschen Sportbund.

Die darin ausgesprochene Einladung zu Verhandlungen zwischen unseren beiden Organisationen in Berlin nehmen wir im Grundsatz an. Nur bitten wir um Vorverlegung des Termins auf den 4. oder 5. Mai 1970. Wir müssen diesen Vorschlag machen, weil der von Ihnen genannte 8. Mai 1970 schon in der Sitzungsperiode des Internationalen Olympischen Comitees in Amsterdam liegt, die am 7. Mai 1970 beginnt. Einige unserer maßgebenden Herren müssen wegen der München-Repräsentation dort von Anfang an zugegen sein.

Unsere Delegation für die Verhandlungen in Berlin wird voraussichtlich aus vier bis fünf Beauftragten bestehen. Die zur Erledigung der erforderlichen Formalitäten notwendigen Personalangaben stellen wir Ihnen nach endgültiger Terminbestätigung zu.


Mit freundlichen Grüßen Willi Daume"


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 20 / 18. Mai 2010, S. 20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2010