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GESCHICHTE/237: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 80 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 23 / 9. Juni 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1970/V: Deutsche Sportkonferenz am 22. Oktober in Bonn gegründet
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 80)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Im Herbst 1970 war es soweit: Die Deutsche Sportkonferenz, in zahlreichen Sitzungen und noch mehr vertraulichen Gesprächen vorbereitet, vor allem aber mit viel Erwartungen von einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen den freien Sportorganisationen und den verschiedenen staatlichen Institutionen begleitet, wurde in einem Bonner Hotel ins Leben gerufen. Über den Gründungsakt dieser Konferenz, die ohne ein Vorbild war und eine Koordination in der Sportpolitik auf breiter Basis ermöglichen sollte, berichteten die DSB-Mitteilungen:

"Ohne die Stimme besonders zu heben und gleichsam in einem Nebensatz machte Willi Daume am 23. Januar 1969 während eines öffentlichen Hearings vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages die Bemerkung: 'Es empfiehlt sich die Bildung eines Koordinationskomitees an einem Runden Tisch mit allen beteiligten Körperschaften und dem DSB in allen seinen Gliederungen, vom Präsidenten bis zu den Aktiven.'

Was der damalige DSB-Präsident unter Punkt 4 a von einem längeren Vorschlagskatalog ablas, wurde nun in die Tat umgesetzt: Am 22. Oktober 1970 trafen sich die Vertreter des Sports mit den Abgesandten der politischen Parteien, des Innenministeriums, der Kultusminister und der kommunalen Spitzenverbände im Bonner Steigenberger Hotel, um die Koordination zwischen Sport und Staat auf einer breiteren Plattform als bisher abzustimmen und gemeinsam zu planen. Sie saßen nicht an einem Runden Tisch, sondern in einem Karree zusammen, und ihre Versammlung nennt sich auch nicht Koordinationskomitee, sondern trägt die anspruchsvollere Bezeichnung Deutsche Sportkonferenz. Im Übrigen aber wollen sie so verfahren, wie es Willi Daume schon damals vorgeschwebt haben mag.

Zwischen dem Hearing und dem Gründungsdatum der Sportkonferenz liegen fast auf den Tag genau ein Jahr und neun Monate, und was zu klären war, ist geklärt worden. 64 Damen und Herren wurden von Bundesminister Genscher, der sich im Vorsitz mit DSB-Präsident Dr. Kregel abwechselt, in Bonn zu Tisch und ans Werk gebeten. Der Deutsche Sportbund hat schon angekündigt, er werde als erstes ein Schulprogramm vorlegen.

Auch dicht verschlossene Konferenztüren haben nicht verhindern können, dass die Öffentlichkeit erfuhr, wie hartnäckig in manchen der beteiligten Institutionen um die Nominierung für die Deutsche Sportkonferenz gerungen wurde, die ohne Vorbild ist. So tat sich der Sport wahrscheinlich deshalb schwer, weil ihn enge Tuchführung zur staatlichen Seite in vergangenen Zeiten unvergeßliche Erfahrungen haben machen lassen, die zur Vorsicht mahnen; zum anderen war ihm das unter Genschers Vorgänger Benda im Innenministerium erdachte, von wachsamen Parlamentariern aber recht bald abgewürgte Konzept einer Bundeszentrale für Sport, die nichts anderes gewesen wäre als ein aufgeblähter Beamtenapparat zur Reglementierung des Sports, eine deutliche Warnung.

Noch länger - über die vereinbarte Zeit hinaus - dauerte es allerdings, bis auf der Gegenseite der letzte Name bekannt war, was bestenfalls eher als ein Zeichen für die Bedeutung, die man der Sportkonferenz zumißt, denn als Merkmal für mangelndes Interesse gewertet werden kann. Vielleicht hat es auch hier wie dort an Informationen über Programm, Arbeitsweise und Möglichkeiten der DSK gemangelt, denn bei aller Bedeutung, die der Sportkonferenz zuzumessen ist, liegt eindeutig fest: Dieses Gremium kann nur koordinieren und Empfehlungen geben, doch seine Beschlüsse dürfen nicht gegen einen Partner gerichtet sein. Mit anderen Worten heißt das: Entscheidungen der Parlamente können von der Sache wohl nachhaltig beeinflußt, nicht aber vorweggenommen werden.

Da nicht anzunehmen ist, dass die Deutsche Sportkonferenz, die sich in der Regel nur zweimal im Jahr trifft, über einzelne Fragenkomplexe ausführlich und erschöpfend beraten kann, wird die Filigranarbeit ohnehin innerhalb der Ausschüsse zu leisten sein, die nach Bedarf gebildet werden.

Die aus dem parlamentarischen Leben übernommene Vorstellung, dass in der Sportkonferenz zwei Fraktionen nebeneinander sitzen, hält näherer Betrachtung nicht stand: Wie die Parteien mit der Bundestagsabgeordneten Annemarie Griesinger, die dem Vorstand des Bundesausschusses Frauensport im DSB angehört, mit dem Olympiateilnehmer Nermerich und dem im Deutschen Leichtathletik-Verband an führender Stelle tätigen Professor Berno Wischmann Persönlichkeiten benannt haben, die aktiv im Sportleben stehen, so sind auch auf der anderen Seite Frauen und Männer zu finden, die ihre Berufung eher großem Fachwissen als ihrer Funktion innerhalb der Sportorganisationen zu verdanken haben.

Unausgesprochen geht es in der Deutschen Sportkonferenz nicht zuletzt um eine Entkrampfung des Verhältnisses Sport - Staat. Doch das ist nicht Juristendeutsch und konnte wohl deshalb in dieser Deutlichkeit auch nicht in das Arbeitsprogramm niedergeschrieben werden."


Kein Befehlsempfänger des Staates

Von ganz besonderer Bedeutung war aber - auch für die breite Öffentlichkeit -, was der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher in seinem Redebeitrag vor der DSK 1970 u. a. ausführte:

"Die Sportorganisationen haben sich bereits zu beachtlicher Größe entwickelt, als der Staat sich seiner Aufgaben im Bereich des Sports nur halb bewußt war und er diese noch zögernd wahrnahm. Der Sport steht heute als seines Wertes wohl bewußte, festgefügte Organisation da, die mit Recht Partner und nicht Befehlsempfänger des Staates zu sein beansprucht. Der Staat hat sich inzwischen des Sports mit größerer Tatkraft angenommen. Er geht dabei von der klaren Voraussetzung aus, dass es keine echte Alternative zur Unabhängigkeit der Sportorganisationen gibt. Die Vorstellung, der Staat könne den Sport in eigene Regie übernehmen, ist ebenso utopisch wie gefährlich. Jede Art von Bevormundung würde Bestand und Funktion der Sportorganisationen gefährden.

Für die Mehrheit der mehr als 400.000 ehrenamtlichen Helfer, auf deren Schultern die Arbeit der Vereine und Verbände ruht, ist die Freiheit von staatlicher Einflussnahme und die Mitgestaltung ihrer Organisation Voraussetzung ihrer Mitarbeit. Der Staat braucht somit den Sport ebenso wie der Sport in steigendem Maße den Staat braucht, um seinen wachsenden Aufgaben gerecht zu werden.

Der Sport darf nicht Bittsteller sein, wenn es darum geht, dass der Staat die Voraussetzung für seine Arbeit schafft und diese mitfinanziert. Nach den Regeln unserer Gesellschaftsordnung hat er grundsätzlich einen Anspruch darauf.

Der Sport darf niemals eine Frage der Macht- oder der Tagespolitik sein; aber er ist in dem Sinne politisch, wie jede bedeutsame Lebensäußerung unserer Gesellschaft politisch ist. Dass dies von Lenkung und Bevormundung weit entfernt ist, scheint mir gerade diese Konferenz zu zeigen."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 23 / 9. Juni 2010, S. 32
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2010