Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

GESCHICHTE/238: Bedeutende Sportpersönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte - Teil 16 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 23 / 9. Juni 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Fritz Wildung - der profilierteste Führer des deutschen Arbeitersports
Bedeutende Sportpersönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte (16)


Als sich in den Jahren 1945/46 die neuen politischen und sportlichen Strukturen im zerstörten Nachkriegsdeutschland bildeten, kamen viele der führenden Köpfe der Landessportbünde aus der Arbeitersportbewegung oder standen deren Zielsetzungen nahe. Dennoch wurde mehrheitlich eine Wiederbelebung des Arbeiterturn- und Sportbundes (ATSB) zugunsten einer Einheitssportbewegung abgelehnt, insbesondere von dem früheren Geschäftsführenden Vorsitzenden der Zentralkomission für Arbeitersport und Körperkultur, Fritz Wildung. Dieser war sich in dieser Frage damals wohl auch mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher einig. So wurde Fritz Wildung auch 1988 bei der 2. Hoyaer Tagung zur Entwicklung des Nachkriegssports in Deutschland von Willi Daume zusammen mit Prälat Ludwig Wolker als wesentlicher Begründer des Einheitsgedankens im deutschen Sport ausdrücklich gewürdigt.

Fritz Wildung wurde am 19. Dezember 1872 in dem kleinen. Dorf Tewel in der Lüneburger Heide geboren, wuchs in ärmlichen. Verhältnissen auf, machte nach der Schulzeit eine Tischlerlehre und zog mit 20 Jahren 1893 nach Berlin. Dort trat er - zwischenzeitlich Mitglied der SPD - 1895 dem Turnverein "Fichte" bei, besuchte Abendkurse der Arbeiterbildungsschule und übernahm die Leitung der Vereinszeitung dieses 1890 gegründeten ältesten deutschen Arbeiterturnvereins. Dieses Amt wies die Richtung für seinen späteren sportpolitischen und beruflichen Weg.

1907 wurde Fritz Wildung bei der Bundestagung des ATB in Stuttgart zum Presseleiter gewählt, siedelte von Berlin nach Leipzig zur Zentrale des Arbeiterturnerbundes über, begründete mehrere Zeitschriften der Organisation und veröffentlichte 1911 ein "Handbuch des Arbeitersports". Für die SPD war er ab 1913 Mitglied der Leipziger Stadtverordnetenversammlung und anschließend Stadtrat. In dieser Punktion leitete er von 1920 bis 1923 das Stadtamt für Leibesübungen als erstes Amt seiner Art in Deutschland.

1923 schied Wildung aus dem Vorstand des zwischenzeitlich zum Arbeiterturn- und Sportbund (ATSB) erweiterten Verbandes aus und wechselte als Geschäftsführender Vorsitzender zur Zentralkommission für Arbeitersport und Körperkultur, die in Berlin als Dachorganisation aller Arbeitersportgruppen und damit als Gegenstück zum bürgerlichen Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen fungierte. In diesem Amt engagierte sich Wildung für die Förderung der Leibesübungen in der Politik im Allgemeinen und für die Anerkennung des ATSB im Besonderen. Auch in der Sozialistischen Arbeitersport-Internationale (SASI) wirkte er an führender Stelle mit. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verlor Wildung 1933 seine Ämter, lehnte aber eine ihm angebotene Mitarbeit im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen ab. Er kam sogar kurze Zeit in Haft, wurde zeitweilig unter Polizeiaufsicht gestellt und musste sich und seine Familie - darunter auch seine Tochter, die spätere Bundestagspräsidentin Annemarie Renger - mit Mühe und Not durch die zwölf Jahre der NS-Zeit und den Krieg bringen.

Nach dem Zusammenbruch 1945 stand Fritz Wildung als einer der ersten wieder in den Reihen der SPD und war mit Rat und Tat um den Neuaufbau des Sports in Deutschland bemüht. Beim ersten SPD-Parteitag im Mai 1946 in Hannover wurde er zum Sportreferenten des Parteivorstandes berufen und hat in dieser Funktion unter Verzicht auf die Wiedergründung einer gesonderten politischen Sportorganisation maßgeblich zum Aufbau einer einheitlichen Sportbewegung beigetragen, bevor er sich aus Altersgründen aus der vorderen Verhandlungsfront zurückzog. 1949 wurde Fritz Wildung persönliches Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland. Der Deutsche Fußball-Bund ernannte ihn zum Ehrenmitglied.

Fritz Wildung, der als junger Mensch darum kämpfte, die demokratischen Prinzipien des Arbeitersports gegen den kaiserlichen Obrigkeitsstaat durchzusetzen, war später ein ebenso engagierter Streiter gegen totalitäre kommunistische Einflüsse in der Arbeitersportbewegung. Er starb am 23. September 1954 im Alter von fast 82 Jahren in Berlin.

Sein Wirken als profiliertester Führer des Arbeitersports würdigte der Deutsche Sportbund 1986 mit der Schaffung der Fritz-Wildung-Plakette, die alle zwei Jahre an Vereine oder Gruppen verliehen wurde, die ein vorbildliches Modell von sozialer Hilfe im Sport oder durch Sport aufgebaut hatten. In der Jury für diesen Preis wirkte bis zu ihrem Tode auch Fritz Wildungs Tochter Annemarie Renger mit.


*


Quelle:
DOSB-Presse Nr. 23 / 9. Juni 2010, S. 36
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Tel. 069/67 00-255
E-Mail: presse@dosb.de
Internet: www.dosb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2010