Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

GESCHICHTE/246: Nur wer sorgfältig zurückblickt, kommt auch erfolgreich nach vorne (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 28 / 13. Juli 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Nur wer sorgfältig zurückblickt, kommt auch erfolgreich nach vorne
Die Bedeutung von Sportmuseen und Sportarchiven nimmt zu

Von Walter Mirwald


"Nur der, der seine Vergangenheit kennt und Schlüsse daraus zieht, kann die Herausforderungen der Zukunft meistern." Ein kluger Satz, der bei manchen offiziellen Gelegenheiten, auch bei Jubiläen unserer Turn- und Sportvereine, gerne ausgesprochen wird. Doch bei näherem Hinschauen und Stichproben in der Landschaft des Sports stellt man fest, dass es häufig nur bei Absichtserklärungen bleibt. Der Blick ist in den Vereinen und Verbänden ist meist nur nach vorne gerichtet. Schneller, weiter, höher. Immer Volldampf voraus. Wir arbeiten nach vorne, nicht rückwärts, heißt es häufig.

Derlei Sprüche hat Karl Lennartz, langjähriger Leiter des Carl- und Liselott Diem-Archivs an der Sporthochschule Köln, zu Genüge gehört. Auch Antworten wie: "Im Krieg verbrannt", "Das war vor meiner Zeit" oder "Für ein arbeitsfähiges Archiv fehlen uns die Mittel". Lennartz gibt aber nicht auf, reist wie ein Missionar durch die Lande und appelliert, wichtige Papiere und Exponate zu archivieren und nicht leichtfertig wegzuwerfen. "Wenn ein Vereinsgeschäftsführer nach 20 Jahren aufhört, schmeißt er oft die Sachen weg", sagt er. "Das darf nicht sein."

Um sich einem derart leichtfertigen Handeln entgegenzustemmen, hat eine Gruppe engagierter Brauchtumshüter, mit initiiert von Karl Lennartz, am 24. Mai 2003 im Hörsaal 2 der Deutschen Sporthochschule Köln die Deutsche Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sportarchiven und Sportsammlungen e.V. - kurz DAGS genannt - gegründet.

Die derzeit knapp 70 Mitglieder dieser Vereinigung betreiben seitdem einen regen Austausch, veranstalten hochkarätige Symposien, verzeichnen Erfolg, sind aber auch vor Rückschlägen nicht gefeit. So konnte es bisher noch nicht erreicht werden, ein Handbuch zu erstellen, das eine "Landkarte der Sportarchive und Sportmuseen" enthält. Dazu wäre eine - wenn auch nur geringfügige - finanzielle Beteiligung der einzelnen Institutionen notwendig gewesen - und so weit ging dann die Liebe zum Aufspüren der eigenen Vergangenheit wohl doch nicht.

Dennoch: Lennartz und seine Mitstreiter sind längst keine einsamen Rufer in der Wüste mehr. In den Sportvereinen- und Verbänden ist das Klingeln der Alarmglocken nicht ungehört geblieben.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zum Beispiel hat sich in den vergangenen Jahren mit dem von Ina Müller geleiteten Archiv sehr gut aufgestellt: Ein Archiv mit einem Schriftgut von 8.000 thematisch geordneten und in einer Datenbank erfassten Werken, einem Hauptarchiv mit 11.000 Akten, einem WM-Archiv mit 3.000 Aktenordnern sowie geordneten Nachlässen von Sepp Herberger, Helmut Schön und Peco Bauwens.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), seit diesem Jahr auch Mitglied bei der DAGS, steht noch am Anfang, hat aber das im November 2009 gestartete Projekt "Gedächtnis des deutschen Sports" mit einer Ganztages- und einer Halbtagesstelle ausgestattet. Beim DFB und beim DOSB wird also ernst genommen, was schon der frühere Bundespräsident und Sportfreund Johannes Rau während seiner von 1999 bis 2004 dauernden Amtszeit so formuliert hat: "Archive können helfen, dass es in dem bewegten und an Untiefen reichen Meer der Informationen Inseln und Kontinente des gesicherten Wissens gibt, damit wir nicht den Boden unter den Füßen verlieren."

Unter den circa 6.200 Museen in Deutschland gibt es derzeit 70 bis 80 Sportmuseen. Ein Vorzeigeobjekt ist das Deutsche Sport & und Olympiamuseum im Kölner Rheinauhafen. Immerhin konnten dort im Jahr 2009 insgesamt 130.000 Besucher registriert werden. Das gut sortierte Berliner Sportmuseum im Bereich des Olympiastadions ist nicht öffentlich. In Leipzig, wo viele Schätze gesammelt sind, wird ein ehrgeiziges Neubauprojekt geplant, dass bisher verborgene Exponate öffentlich machen soll. Zudem soll in Dortmund das Deutsche Fußball-Museum mit einem Finanzaufwand von 27 Millionen Euro entstehen und im Jahre 2014 bezugsfertig sein. Den Fußballern sind da die Schützen und Skifahrer schon weit voraus. Neben dem Archiv in der Bundesgeschäftstelle in Wiesbaden betreibt der Deutsche Schützenbund das Deutsche Schützenmuseum auf Schloss Callenberg bei Coburg und beschäftigt hauptamtlich einen Verbandshistoriker. Das Schützenmuseum gibt es seit 2004. Es ist außer an Heiligabend täglich von 11 bis 17 Uhr geöffnet und zählte bisher circa 70.000 Besucher. Im Deutschen Skimuseum in München-Planegg sind auch interessante Exponate ausgestellt. Hier ist eine Besichtigung aber nur nach vorheriger Vereinbarung möglich.

Vorbildliche Sammelstätten sind beispielsweise auch das Niedersächsische Institut für Sportgeschichte (NISH) in Hoya, das Institut für Sportgeschichte Baden-Württemberg mit Sitz in Maulbronn und das Westfälisch-Lippisches Institut für Turn- und Sportgeschichte in Schloss Werries in Hamm.

Doch es gibt auch private Initiativen. Immer mehr Menschen sammeln "Sport": Briefmarken, Medaillen, Programme, Andenken. Die Exponate werden getauscht, ersteigert und in Ausstellungen gezeigt. Der Wert mancher Sammlungen - so war es in den DAGS-Nachrichten zu lesen - geht inzwischen in die Millionen. Auch hier fehlt es an Informationen und Hilfen untereinander.

Einen interessanten Ansatz liefert auch der Landessportbund Hessen, für den viele Jahre lang Rolf Lutz erfolgreich auf den Spuren der Vergangenheit wandelte - eine Arbeit, die von Peter Schermer weitergeführt wird. Schermer hat ermittelt, dass es bundesweit im Sportbereich nur ein gutes Dutzend "anerkannte" Archive gibt. Unter "anerkannt" versteht Schermer offen und für jedermann zugänglich. Er glaubt aber, dass allein in Hessen knapp 700 "Archive im Aufbau" existieren. Es gibt auch den Begriff "Schlafende Archive". Das heißt: Viele Vereine und Verbände sammeln Material, das allerdings ungeordnet und unstrukturiert gelagert wird.

Dass das Umdenken und das Erinnern an das Vergangene in der Sportlandschaft zum rechten Zeitpunkt kommt, zeigt auch eine andere Entwicklung: Während - wie Experten beobachtet haben - vor zwei Jahrzehnten noch mehr als einhundert Sportwissenschaftler Sportgeschichte - haupt- und nebenamtlich - an den deutschen Hochschulen unterrichteten, soll dies heute nur noch ein Dutzend sein. Die daraus resultierende Feststellung: Die meisten Sportstudenten hören während ihres Studiums nichts mehr von der Entwicklung ihres Faches.

Lennartz fordert ein Archivgesetze für Sportorganisationen. Denn der Sport könne nicht als private Sache abgeschoben werden. Sport sei Kulturwert und werde in vielen Bereichen mit staatlichen Mitteln gefördert. Lennartz regte zudem an, dass Vereine und Verbände Archivbeauftragte benennen sollten.

Bei Tagungen der Sportarchivare wurde ein Zukunftsszenarium entworfen, das irgendwann einmal das Idealbild sein sollte: Möglichst alle Sportarchive- und Sammlungen sind untereinander elektronisch vernetzt. Jeder weiß, was der andere wo sammelt. Jeder hat bei Bedarf Zugriff zu den Materialien, so dass auch Doppelsammlungen nur eingeschränkt notwendig sind. Das alles wird auf einer "Landkarte der Sportmuseen und Sportarchive" festgehalten. Wie gesagt: ein Traum. Aber Träumen von der Zukunft muss beim Sammeln des Vergangenen gestattet sein.


*


Quelle:
DOSB-Presse Nr. 28 / 13. Juli 2010, S. 19
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Tel. 069/67 00-255
E-Mail: presse@dosb.de
Internet: www.dosb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2010