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GESCHICHTE/248: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 86 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 29 / 20. Juli 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1971/VI: Helmut Schmidt zur Sportförderung in der Bundeswehr
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 86)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Helmut Schmidt, von 1969 bis 1972 Bundesminister der Verteidigung, dann Bundesfinanzminister, bevor er 1974 Bundeskanzler wurde, gab Ende 1971 der Wochenzeitschrift "Die Zeit" und der "Olympischen Jugend" das folgende Interview über die Sportförderung in der Bundeswehr. Die Fragen stellte der Bonner Sportjournalist Ernst-Dieter Schmickler.


"FRAGE: Vor rund einem Jahr, Herr Minister Schmidt, haben Sie eine neue Regelung für die Förderung wehrpflichtiger Spitzensportler erlassen. Können Sie heute von einer verbesserten Sportförderung in der Bundeswehr sprechen?

HELMUT SCHMIDT: Ja, das kann ich; denn die Regelung für die Förderung wehrpflichtiger Spitzensportler hat sich bewährt. Die Verantwortlichen der Sportfachverbände und die Sportler haben dies bestätigt. Außerdem lässt es sich durch Ergebnisse und Zahlen beweisen; dazu einige Beispiele: Hans-Peter Hofmeister plazierte sich bei den Europameisterschaften der Leichtathleten hervorragend, und wenige Tage später gewann er bei den Internationalen Militärmeisterschaften des Conseil International du Sport Militaire (CISM) die Goldmedaillen über 100 und 200 m in international bemerkenswerten Zeiten. Ähnliches gilt für seine Mannschaftskameraden Hennig, Reich und Kannenberg, alle Soldaten in einer Sportfördergruppe. Aber auch bei anderen Sportarten wird deutlich, dass sich das konzentrierte Training in den Fördergruppen und Lehrkompanien auswirkt. Ich nenne die Beispiele Hein und Convents als Fechter, die Schwimmer Hillemeyer und Huda, die Wasserballmannschaft und nicht zuletzt die Olympiaauswahl des Deutschen Fußball-Bundes, in der sechs Soldaten Stammspieler sind. Diese Aufzählung lässt sich aus fast allen Bereichen des Sports ergänzen. Auch die ständig wachsende Zahl der Anträge des Deutschen Sportbundes, mit denen um eine Aufnahme in eine Fördergruppe/Lehrkompanie gebeten wird, beweist, dass unter den wehrpflichtigen Spitzensportlern die günstigen Trainingsmöglichkeiten bei der Bundeswehr bekannt geworden sind. Z. Zt. sind 300 Spitzensportler als Soldaten in den 12 Fördergruppen und zwei Lehrkompanien. Je Quartal kommen etwa 25 Spitzensportler hinzu.

FRAGE: Vielfach ist es doch wohl so, dass die überwiegende Zahl der Bundeswehrsoldaten entweder bei der Bundeswehr überhaupt erstmalig - oder aber erstmalig seit ihrer Schulzeit - Kontakt mit dem Sport bekommen. Welche Erfahrungen hat die Bundeswehr mit dem sogenannten Trainingsprogramm gemacht, das auf Untersuchungsergebnissen der Sportmedizinischen Institute in Köln, Münster und Freiburg basiert?

HELMUT SCHMIDT: Aufgrund der Untersuchungsergebnisse der Sportmedizinischen Institute in Köln, Münster und Freiburg wurden zwei Modelle eines Trainingsprogramms entwickelt und mit Rekruten aller Teilstreitkräfte erprobt. Ziel dieses Tests war es u. a. auch, festzustellen, bis zu welchem Grade derartige Programme normativ festzulegen und unter den alltäglichen Truppenbedingungen zu praktizieren sind. Die Ergebnisse waren überaus ermutigend. Es war nicht nur ein beachtlicher Leistungsanstieg - und damit eine Bestätigung der Untersuchungsergebnisse der Institute - festzustellen; gleichzeitig wurde erkennbar, dass die Organisation und die Durchführung solcher Trainingsprogramme in der Truppe auf keine nennenswerten Schwierigkeiten stößt. Das Trainingsprogramm darf jedoch nicht isoliert als ein reines Mittel zur körperlichen Ertüchtigung gesehen werden. Es kam vor allem darauf an, ein solches Programm im Rahmen der Körperbildung harmonisch in die gesamte Sportausbildung einzufügen. Das bedeutete, dass in die Gestaltung des Trainingsprogramms in besonderem Maße didaktisch-methodische Überlegungen einbezogen werden mussten. Auf diesen Erfahrungen aufbauend, wurde in die Neufassung der Zentralen Dienstvorschrift 'Sport in der Bundeswehr' (ZDv 3/10) ein Trainingsprogramm zur Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Rekruten aufgenommen. Voraussichtlich ab Frühjahr 1972 wird es Teil der allgemeinen Grundausbildung der Soldaten und damit Pflichtfach für alle Rekruten.

FRAGE: 1957 nahm die Sportschule der Bundeswehr in Sonthofen ihre Arbeit auf. Die neue Sportschule in Warendorf wird für den Sport in der Bundeswehr zweifellos zeitgemäße Voraussetzungen bringen. Wann wird die neue Sportschule in Warendorf fertig sein, und wie will die Bundeswehr in Zukunft ihren personellen Bedarf an Sportlehrern und Übungsleitern decken?

HELMUT SCHMIDT: Lassen Sie mich diese Frage in zwei Teilen beantworten: 1. In Warendorf, wo der Neubau der Sportschule der Bundeswehr entsteht, ist bereits die 2. Lehrkompanie der Sportschule mit z. Zt. 96 wehrpflichtigen Spitzensportlern stationiert. Für diese Sportler wurden als Sofortmaßnahme ein Sportfeld mit einer 400 m-Kunststoffbahn und allen leichtathletischen Anlagen, zwei Kleinspielfelder, zwei Spielhallen und zwei Kleinturnhallen fertiggestellt. Natürlich sind weitere Baumaßnahmen erforderlich, um der Sportschule der Bundeswehr die Möglichkeiten zu geben, qualifizierte Sportleiter für die Truppe auszubilden und Leistungssportler unter optimalen Bedingungen trainieren zu lassen. Geplant sind weitere Sportfelder, Spiel-, Turn-, Leichtathletik- und Schwimmhallen, ein Lehrsaalgebäude und die sportmedizinische Abteilung. Nach der mittelfristigen Investitions- und Terminplanung ist der Beginn der Baumaßnahmen zum Endausbau für das 1. Quartal 1973 und für die Fertigstellung Ende 1976 bis Anfang 1977 vorgesehen. Wir bemühen uns, diese Termine vorzuverlegen.

2. Die Bundeswehr beschäftigt an ihren Schulen zivile Sportlehrer, die ihre Ausbildung an zivilen Sporthochschulen bzw. Akademien erhalten haben. Von den insgesamt 114 Dienstposten sind zur Zeit 102 besetzt. Dem Stellenangebot steht gleichbleibend eine adäquate Nachfrage von Seiten der Studentenschaft gegenüber, so dass auch in Zukunft keine Schwierigkeiten in der Dekkung des personellen Bedarfes an Sportlehrern entstehen werden. Durch die Aufnahme der Ausbildung zum Sportausbilder (Übungsleiter) in die Laufbahnlehrgänge der Offiziers- und Unteroffiziersanwärter wurde in den letzten Jahren das große Fehl an Sportausbildern für die Truppe verringert. In erster Linie muss jetzt die Qualität der Ausbildung verbessert werden. Auf lange Sicht wird es als wünschenswert angesehen, außer den Sportleitern, die ja ihre Aufgabe in Zweitfunktion wahrnehmen, in jedem Bataillon für die Organisation des Sports zumindest eine hauptamtliche Sportlehrkraft zu haben. Möglichkeiten dafür lassen sich bei den strukturellen Reformen vorsehen.

FRAGE: Der Sport ist sicherlich auch dazu geeignet, einen Beitrag zur gesellschaftspolitischen Integration der Bundeswehr zu leisten. Gibt es Möglichkeiten der weiteren Verbesserung dieser Aufgabe durch das Zusammenwirken zwischen der Bundeswehr und den Sportvereinen und Sportverbänden?

HELMUT SCHMIDT: Gerade der Sport bietet gute Möglichkeiten der gesellschaftspolitischen Integration. Deswegen führt die Bundeswehr den Sport nach den Grundsätzen und Zielen des Deutschen Sportbundes und seiner Mitgliedsverbände durch. Die Gemeinsamkeit bei der Prüfung für das Deutsche Sportabzeichen und bei der Förderung von Spitzensportlern der Bundeswehr an den Leistungszentren der zivilen Fachverbände sind Beispiele aus den Bereichen des Breiten- und Spitzensports. Eine besonders wirkungsvolle Vertiefung dieser bereits bestehenden Koperation wird mit der Anerkennung der Sportleiterausbildung bei der Bundeswehr im Bereich des Deutschen Sportbundes gegeben sein. Sicherlich wird sich die Tätigkeit der vorgesehenen hauptamtlichen Sportlehrkräfte, auch über den Sport in der Truppe hinaus, bei den örtlichen Vereinen positiv auswirken.

FRAGE: Herr Minister Schmidt, einen eklatanten Mangel gibt es nach wie vor im Bereich der Bundeswehr-Sportstätten. Im 'Weißbuch der Bundeswehr' haben Sie im Mai des vergangenen Jahres Verbesserungen angekündigt; sind solche bereits erkennbar?

HELMUT SCHMIDT: Seit der Vorlage des Weißbuches im Mai 1970 sind bis heute 61 Sportplätze und 43 Sport- und Ausbildungshallen der Truppe übergeben worden, so dass zur Zeit 394 Sportplätze und 485 Sport- und Ausbildungshallen vorhanden sind. In den nächsten Jahren wird im Rahmen des mittelfristigen Liegenschafts- und Bauprogramms der Bau von Sportplätzen und Sport- und Ausbildungshallen verstärkt fortgesetzt. Hierfür sind rund 49 Millionen für Sportplätze und rund 56 Millionen DM für Sport- und Ausbildungshallen eingeplant. Im Weißbuch 1970 ist ein Bedarf von 186 Schwimmhallen festgestellt worden. Hiervon werden vordringlich die 53 Schwimmhallen in Schul- und Großstandorten (...) gebaut. Nach dem Neubau von vier Schwimmhallen seit 1970 verfügt die Bundeswehr zur Zeit über 12 Schwimmhallen.

FRAGE: Die Tatsache, dass die Soldaten der Bundeswehr entscheidend dazu beitragen, dass die Olympischen Spiele 1972 organisatorisch gesichert sind, ist von Ostberliner Seite mit entsprechendem Propaganda-Vokabular bedacht worden. Welche Aufgaben erfüllt die Bundeswehr bei der Vorbereitung und Durchführung der Spiele der XX. Olympiade 1972 in München und in Kiel?

HELMUT SCHMIDT: In keinem Land der Welt werden Olympische Spiele durchgeführt, ohne dass die Streitkräfte des jeweiligen Landes, mehr oder weniger stark, ihren Anteil dazu beitragen. So war es in (...) in Rom, Innsbruck, Tokio, Mexiko und Grenoble. Die Hilfeleistungen der Bundeswehr in München und Kiel liegen auf personellem und materiellem Gebiet: Fernmelder sorgen mit ihrem Gerät für eine schnelle Übermittlung der Ergebnisse, Köche helfen bei der Verpflegung, Ärzte und Sanitäter der Bundeswehr in Zusammenarbeit mit DHK, Malteserhilfsdienst u. a. im Sanitätsdienst. Ebenso sind Soldaten als Helfer im Olympischen Dorf und im Pressezentrum eingesetzt. Die Marine sorgt mit Schiffen, Booten und anderem Gerät für einen reibungslosen Ablauf der Olympischen Segelwettbewerbe. Für Unterkunfts- und Arbeitsräume der Sportler und Journalisten in München und Kiel stellt die Bundeswehr leihweise Mobiliar zur Verfügung. Insgesamt werden ca. 13.000 Soldaten als Helfer auf den verschiedensten Gebieten tätig werden."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 29 / 20. Juli 2010, S. 25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010