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GESCHICHTE/263: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 97 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 43 / 26. Oktober 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1973/V: DSJ sagt Teilnahme an den X. Weltfestspielen in Ost-Berlin ab
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 97)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Die Deutsche Sportjugend sagte 1973 nach eingehenden Beratungen eine Teilnahme an den X. Weltfestspielen in Berlin (Ost), der Hauptstadt der DDR, ab und begründete dies gegenüber der Öffentlichkeit mit der nachfolgenden Erklärung:

"(...) Die Deutsche Sportjugend hält es für dringend notwendig, dass Jugendliche und ihre Organisationen aus unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen miteinander ins Gespräch kommen, um

die internationale Verständigung zu fördern,
besonders die Kooperation mit der Jugend der DDR und der anderen sozialistischen Länder zu verbessern,
sich mit den verschiedenen Formen und Ursachen des Unfriedens auseinanderzusetzen,
bestehende Spannungen zu entschärfen,
einen eigenen Beitrag zur Verständigung und zum Frieden zu leisten.

Von diesen Absichten her kann die Deutsche Sportjugend grundsätzlich die Idee eines Weltjugendtreffens begrüßen. Wenn aber Jugendorganisationen mit unterschiedlichen politischen und ideologischen Überzeugungen eingeladen werden, dann können nicht, wie im Aufruf des Internationalen Vorbereitungskomitees geschehen, die Ergebnisse den eigentlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen größtenteils vorweggenommen werden.

Das Programm und die Absichtserklärungen des Aufrufs lassen darüber hinaus eine ausgewogene Beurteilung der weltweiten gesellschaftlichen Defizite vermissen. Unterdrückung, Ausbeutung, Unfreiheit, Rassismus, ausländische Einmischung in innere Angelegenheiten und Verwehren nationaler Unabhängigkeit sind grundsätzlich zu verurteilen und zu bekämpfen.

Diese Erscheinungsformen menschenunwürdigen Daseins sind aber nicht nur auf die westliche Hemisphäre beschränkt, sondern auch im Einflussbereich sozialistischer Staaten und Gruppierungen festzustellen. Diese einseitige Tendenz lässt sich mit dem Selbstverständnis der Deutschen Sportjugend nicht vereinbaren."


In der Mai-Ausgabe 1973 der "Olympischen Jugend" kommentierte der damalige DSJ-Pressereferent und spätere DSB-Pressechef Harald Pieper diese Entscheidung unter der Überschrift "Klare Aussage" wie folgt:

"Auf der politischen Plattform, wo gemeinhin Kompromisse und taktische Winkelzüge den Lauf der Dinge bestimmen, wird eine klare Aussage mit besonderer Aufmerksamkeit registriert. Die Deutsche Sportjugend konnte also ihre eindeutige Stellungnahme zu den X. Weltfestspielen der Jugend und Studenten, die vom 28. Juli bis 5. August in Ost-Berlin stattfinden, auf den Titelseiten der großen Zeitungen abgedruckt sehen.

Leicht hat es sich die mit 4,5 Millionen Mitgliedern größte bundesdeutsche Jugendorganisation mit der Absage an den Gastgeber in der DDR nicht gemacht. Wochenlang sah sich der Vorstand im Zugzwang sozialliberaler Entspannungspolitik, ehe er eigenwillig den Schritt zurück wagte.

Doch selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Egon Bahrs Methode der Annäherung um jeden Preis viel vom Glanz der ersten Tage verloren hat, war dies eine unpopuläre Entscheidung, Rüsten sich doch von den Jusos über die Beamtenbund- und Wanderjugend bis schließlich zur Deutschen Schreberjugend alle, die irgendein Fähnlein hochhalten, zum großen Fest der Völkerfreundschaft. Sogar die Junge Union schiebt die endgültige Absage noch vor sich her. Die Deutsche Sportjugend, der man gerade in letzter Zeit eine progressive Marschrichtung nachsagt, also auf dem Kriegspfad der Reaktion?

Eine solche Beurteilung würde an den Tatsachen vorbeigehen. Und die stellen sich so dar, dass die DDR-Veranstalter zwar die friedliebende Jugend der Welt auch mit "unterschiedlichen politischen, philosophischen und religiösen Anschauungen" einladen, sie aber mit schon vorher festgelegten Zielvorstellungen in die ostblock-ideologische Himmelsrichtung schicken wollen. Dies ist im Zusammenhang mit den dürftigen Ergebnissen bei den letzten Ost-West-Sportgesprächen für die DSJ ein deutliches Zeichen dafür, dass die DDR unter Annäherung und Verständigungsbereitschaft bedingungsloses Entgegenkommen versteht. Im Vertrauen auf die gegebenen Vertragsvoraussetzungen sieht die Sportjugend-Führung das als eine Zumutung an. So hat sie die immer noch vom Sendungsbewusstsein geprägte bundesdeutsche Ost-Politik ihrem Selbstverständnis entsprechend abgewandelt. Das macht die gesamte Lage zwar nicht ernster, aber in einem nicht unwesentlichen Teilbereich zunächst hoffnungsloser. Sollten allerdings bei ähnlichen Gelegenheiten andere Institutionen sich auch wieder dazu durchringen, Standpunkte zu vertreten, wären wenigstens die Voraussetzungen zu neuen und besseren Partnerschaftsversuchen gegeben."


Fünf Thesen zur Sportpolitik in der Bundesrepublik Deutschland

"Sportpolitik in der Bundesrepublik Deutschland" hieß eine von der Evangelischen Akademie Tutzing und dem Deutschen Sportbund im Oktober 1973 gemeinsam veranstaltete Tagung, die eine ungewöhnlich große Resonanz fand. In den drei Tagen stellten Vertreter der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien sowie die Bundesregierung ihre Pläne und Programme zur Sportförderung vor und diskutierten sie mit einem sachkundigen Auditorium. Einer der Höhe-punkte war die Ansprache von DSB-Präsident Wilhelm Kregel.

Der Generalsekretär des Deutschen Sportbundes, Karlheinz Gieseler, fasste abschließend das Ergebnis der Tagung in folgenden fünf Thesen zusammen:

"1. Sportpolitik ist Gesellschaftspolitik, wenn man darunter die Mitwirkung des Sports an der Entfaltung des Menschen bei laufender Anpassung der Sportorganisation meint. Die Tarn- und Sportbewegung handelt in diesem Sinne und hat dafür ihr Programm 'Sport für alle' entwickelt.

2. Die Sportpolitik hat bisher noch keinen Eingang in die Gesellschaftspolitik gefunden, so wie sie sich in den differenzierten, unterschiedlichen Parteiprogrammen darstellt, sondern ist vielmehr in fast gleichlautende Leitsätze, Programme u. a. m. abgedrängt worden, die am Rande der Parteiarbeit mitlaufen.

3. Diese Tatsache schlägt sich auch in der Sportförderung der öffentlichen Hände nieder, die nicht gesetzlich gesichert und nicht durchgehend zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sowie der Sportorganisation abgestimmt ist, sondern nur punktuell einsetzt und auch über die Deutsche Sportkonferenz noch nicht ihr umfassendes Konzept gefunden hat.

4. Sport, Parteien und Staat müssen ein neues Verhältnis zueinander finden und dabei eine falsch verstandene Neutralität beider Seiten, die sich in einer Art Nonkonformismus darstellt, überwinden. Dieses veränderte Verständnis weist die Sportorganisation im Sinne der verfassungsmäßig gesicherten Subsidiarität als uneingeschränkten Partner des Staates aus.

5. Spiel und Sport sind für eine Freizeitgesellschaft von ständig wachsender politischer Bedeutung. Wer politisch handeln will, muss mitbestimmen können. Auch politisch profilierte, dem Sport verbundene Frauen und Männer müssen deshalb in der Führung des DSB, seiner Verbände und Vereine stehen können, ohne dass dadurch der Gedanke aufkommt, der Sport hätte seine parteipolitische Neutralität aufgegeben. Sport, Parteien und Staat hätten ihren Gewinn davon."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 43 / 26. Oktober 2010, S. 25
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2010