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GESCHICHTE/272: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 103 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 49 / 7. Dezember 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1975/I: Der DSB fordert erneut einen besseren Schulsport
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 103)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Am 21. Februar 1975 fand im Sekretariat der Kultusminister-Konferenz (KMK) in Bonn nach achtjähriger Pause ein weiteres Spitzengespräch zwischen den Präsidien der KMK und des DSB statt. Bei diesem Anlass übergab der DSB auch den Entwurf einer neuen Konzeption für die Sportlehrerausbildung. DSB-Präsident Willi Weyer betonte dabei in seinem Eingangsstatement, dass der DSB nicht müde werde, auch in Zukunft auf einen besseren Schulsport zu pochen.

Hier Weyers Ausführungen im Wortlaut:

"Das letzte Spitzengespräch zwischen DSB und KMK hat am 17.7.1967 in Bonn stattgefunden. Die letzte direkte Begegnung zwischen DSB und KMK liegt auch schon wieder fast drei Jahre zurück; es handelte sich (im Mai 1972 in Berlin) um die Verhandlung über eine Spezialfrage - die Verabschiedung des Aktionsprogramms für den Schulsport. Fast in jedem Gespräch zwischen KMK und DSB stand am Ende die Absicht, die immer drängenderen grundsätzlichen und speziellen Probleme des Sports im Bildungswesen - vor allem in der Schule - in gemeinsamen Kommissionen zu bearbeiten.

So beauftragte die KMK 1961 in Bad Dürkheim ihren Schulausschuss, 'eine Arbeitsgruppe zu bilden, die unter Hinzuziehung von Vertretern des Deutschen Sportbundes die Beratungen fortsetzen, neue Vorschläge zur Überwindung der vorhandenen Schwierigkeiten erarbeiten und das Ergebnis der Kultusministerkonferenz vorlegen' sollte;
1967 'in Bonn wurde vorgesehen, in einer besonderen Kommission die Situation der Hochschulinstitute für Leibesübungen zu untersuchen und darüber zu berichten'.

Die Bildung solcher gemeinsamen Ausschüsse ist nie zustande gekommen, und das scheint mir für die bisherige Zusammenarbeit zwischen KMK und DSB bezeichnend zu sein. Es fehlt immer noch an regelmäßigen und intensiven gemeinsamen Bemühungen. Schon deshalb ist es wichtig, dass heute in Bonn endlich wieder ein Spitzengespräch realisiert werden konnte.

Aber nicht nur die Mängel in der Kooperation machen dieses Gespräch heute notwendig. Es geht in erster Linie wieder um die sachlichen Probleme, d.h. in diesem Fall: um die Mängel unseres Bildungssystems im Zusammenhang mit der Berücksichtigung des Sports.

Immer wieder, wenn KMK und DSB miteinander sprachen, haben sie gemeinsam bekräftigt, dass der Sport ein fester Bestandteil von Bildung und Erziehung sei und deshalb auch in allen Bildungsgesetzen und -verordnungen angemessen berücksichtigt werden müsse: 1956 in den 'Empfehlungen zur Förderung der Leibeserziehung in den Schulen', 1961 bei der Begegnung in Bad Dürkheim, 1965 bei der Übergabe des 'DSB-Memorandums zum Stand der schulischen Leibeserziehung' und auch 1972 bei der Verabschiedung des 'Aktionsprogramms für den Schulsport'. Trotz aller Beteuerungen der zuständigen Stellen ist de facto diese Forderung immer noch nicht erfüllt. Weder ist der Sport in bestehende grundlegende Bestimmungen eingearbeitet noch in neueren Gesetzen zur Weiterbildung und zum Bildungsurlaub auch nur erwähnt worden. Im Grundgesetz wird der Sport bei uns - im Gegensatz zur DDR oder zur Schweiz - nicht erwähnt; und - abgesehen von einigen Ansätzen - findet er bisher auch noch keine befriedigende Einordnung in die Verfassung der Länder. So bleibt der Sport abhängig vom Wohlwollen der Behörden und von der Eigenverantwortung der Lehrer, Übungsleiter und Helfer, deren Arbeit aber immer schwerer wird. Dabei müsste der Sport mit seinen sozialen, biologischen, pädagogischen und psychologischen Funktionen für den Menschen unserer Zeit längst eine Pflichtaufgabe von hohem politischen Rang sein!

Auch in der Schule spiegelt sich diese unbefriedigende Stellung des Sports wider. Die Ergebnisse der Erhebung der KMK von 1973 zeigen, dass sich die Situation im Schulsport nicht grundlegend geändert hat. Sicher ist bemerkenswert, dass in allen Bundesländern jetzt wohl in den allgemeinbildenden Schulen drei Stunden Sport pro Woche per Erlass angeordnet sind, aber die Wirklichkeit sieht anders aus:

die Schüler allgemeinbildender Schulen erhalten im Durchschnitt nur zwei Stunden Sport pro Woche,
Grund-, Haupt- und Sonderschulen liegen noch unter diesem Schnitt,
berufliche Schulen müssen noch immer fast ganz ohne Sport auskommen,
für die Schule ausgebildete Sportlehrer werden durchschnittlich nur mit etwa fünf Stunden pro Woche im Fach Sport eingesetzt,
ein erheblicher Prozentsatz fachfremder Lehrer und nicht für die Schule ausgebildete Sportlehrkräfte erteilen Sportunterricht (obwohl in unserer Zeit voll ausgebildete Sportlehrer keinen Platz mehr in der Schule bekommen).

Darüber hinaus wird in vielen problematischen Einzelfragen, die der DSB immer wieder - auch gegenüber der KMK - angesprochen hat, die Vernachlässigung des Sports als Bildungsfaktor durch die zuständigen Bildungsinstitutionen deutlich, z.B. die Nichtberücksichtigung der Sportnote bei der Errechnung der Durchschnittsnote im Abitur als Voraussetzung für die Zulassung zum Studium von Numerus-clausus-Fächern, zu denen der Sport ja auch bald überall gehören wird. Die Fachleute aus unserer Delegation werden dazu im einzelnen - wie es in der Tagesodnung angedeutet ist - Näheres aussagen.

Der Deutsche Sportbund wird nicht müde werden, auf einen besseren Schulsport zu pochen. Hier liegen Anfang oder Ende des Programms 'Sport für alle'. Ist der DSB für den Schulsport auch nicht unmittelbar zuständig, so fühlt er sich doch dafür verantwortlich; er weiß sich einig mit Millionen Menschen, die darauf drängen, dass in der Schule die solide Grundlage für einen lebenslangen Sport geschaffen wird.

Der Deutsche Sportbund wird deshalb in seinem 'Sportplan 80', der in Vorbereitung ist, noch einmal nachdrücklich seine neuen Vorstellungen über den Sport in Wissenschaft und Bildung entwickeln. Er will weiterhin in der Öffentlichkeit klar und deutlich seine Meinung sagen, wenn besondere Probleme sichtbar werden. Wir sind nicht weltfremd und kennen den großen Umbruch im Bildungsbereich; Schwierigkeiten sind uns nicht unbekannt geblieben. Aber sie dürfen nicht auf dem Rücken des Sports - und damit auf den krummen Buckeln haltungs- und sozialgeschädigter Kinder ausgetragen werden.

Es geht uns vor allem, lassen Sie mich das ausdrücklich festhalten, um die schwächsten Glieder einer langen Kette; die starken Glieder haben es etwas leichter; sie sind mit ihren Leistungen nicht zu übersehen, wenn sie in der pädagogischen Wertung auch nicht mehr zu kurz kommen."

An dem Gespräch in Bonn nahmen u. a. teil:

Seitens des Deutschen Sportbundes: Präsident Minister Willi Weyer und die zuständigen Präsidialmitglieder Prof. Ommo Grupe und Erika Dienstl; seitens der Kultusministerkonferenz: der Präsident der KMK, Minister Prof. Grolle, sowie Kultusminister Prof. Hahn, Staatsminister Prof. Maier und Staatssekretär Thiele.

Sie erörterten vor allem folgende Probleme:

Bewegung, Spiel und Sport im Elementarbereich;
Sportunterricht an Grund- und Hauptschulen an Realschulen und an Gymnasien;
Sportunterricht an den berufsbildenden Schulen;
Sportlehrermangel;
Sportlehrerausbildung;
Bewertung der Sportnote bei der Zulassung zum Studium;
Zulassung von Hochleistungssportlern zum Studium.

Der Deutsche Sportbund überreichte dem Präsidium der Kultusministerkonferenz den Entwurf einer neuen Konzeption für die Sportlehrerausbildung mit der Bitte, diesen Entwurf alsbald in die Beratungen der Kultusministerkonferenz mit einzubeziehen. Weiterhin wurden die Fragen der Bewertung der Sportnote beim Zulassungsverfahren zum Hochschulstudium und der Zulassung von Hochleistungssportlern zum Studium angesprochen. Das Präsidium der KMK sagte zu, auf der nächsten Plenarsitzung den Vorschlag des Deutschen Sportbundes zur Einrichtung von gemeinsamen Fachkommissionen für den Elementarbereich, den Schulbereich und den Hochschulbereich zu behandeln. Man kam außerdem überein, das in den Ländern vorhandene statistische Material über die Situation im Schulsport zu sammeln und gemeinsam auszuwerten.

Abschließend stellten DSB-Präsident Willi Weyer und Minister Prof. Dr. Grolle übereinstimmend die Notwendigkeit derartiger Gespräche fest und sprachen ab, sie in regelmäßigem Turnus fortzusetzen.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 49 / 7. Dezember 2010, S. 33
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2010