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GESCHICHTE/291: Vor 60 Jahren - Das IOC erkennt das NOK der Bundesrepublik an (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 18 / 3. Mai 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Vor 60 Jahren: Das IOC erkennt das NOK der Bundesrepublik an


Zur Tagung des Exekutivkomitees des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am 28. und 29. August 1950 in Lausanne reichte das bundesdeutsche Nationale Olympische Komitee (NOK) einen Antrag auf volle Anerkennung durch das IOC ein. Dieser hatte folgendem Wortlaut:

"Die deutsche Sportjugend missbilligt zutiefst die von den Verbrechen des Nazi-Regimes begangenen Grausamkeiten, die fast über die ganze Welt so viel Leid gebracht haben. Sie drückt hiermit ihr tiefes Bedauern darüber aus. Sie hofft, dass es ihr bald gestattet wird, sich mit der Sportjugend der ganzen Welt zu vereinen, um beweisen zu können, dass sie willens ist, mitzuarbeiten am Aufbau des Friedens, dem die Bemühungen des Wohltäters der Menschheit, Baron Pierre de Coubertin, vor allem galten."

Das Exekutivkomitee nahm diese Entschuldigung entgegen und beschloss im Verlauf seiner Beratungen einstimmig, den Mitgliedern des IOC zu empfehlen, bei der bevorstehenden IOC-Session im Mai 1951 in Wien "das Deutsche Olympische Komitee endgültig anzuerkennen". Außerdem wurde die Teilnahme deutscher Sportler an den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki empfohlen, "mit Ausnahme der Winterspiele in Oslo".

Zum Zeitpunkt der 45. IOC-Session vom 7. bis 9. Mai 1951 in Wien hatte sich dann aber die Ausgangslage für das olympische Gremium insoweit verändert, als zwei Wochen zuvor, am 22. April 1951, auf Weisung der Sowjetunion auch die DDR ein NOK gegründet und einen Antrag auf olympische Anerkennung beim IOC eingereicht hatte. Auch von der Sowjetunion lag der Wiener Session ein Anerkennungsantrag vor, der ebenso wie der des bundesdeutschen NOK in der Session genehmigt wurde. Abgelehnt wurde jedoch nach mehrstündiger Beratung der Antrag des DDR-Komitees und stattdessen das NOK der Bundesrepublik beauftragt, mit dem DDR-Komitee unverzüglich über die Bildung eines gemeinsamen deutschen Komitees und einer gemeinsamen Olympiamannschaft zu verhandeln und die Verhandlungsergebnisse bereits zwei Wochen später dem IOC in Lausanne vorzustellen.

Die vom IOC vorgegebenen Verhandlungen zwischen beiden NOKs fanden am 17. Mai in Hannover und am 21. Mai in Lausanne statt, mussten aber zwangsläufig ohne konkrete Ergebnisse enden, da beide Seiten auf ihren unterschiedlichen Standpunkten beharrten. In der DDR hatte SED-Generalsekretär Walter Ulbricht die Verhandlungsziele vorgeschrieben, und für die Bundesregierung sich auch Bundeskanzler Konrad Adenauer eingeschaltet, so dass man auf beiden Seiten auf Weisung und in enger Absprache mit den jeweiligen politischen Führungen handelte. Unter der Leitung von IOC-Vizepräsident Avery Brundage wurde am 22. Mai 1951 nach Anhörung beider Seiten ein vom IOC entworfenes Kommuniquè unterzeichnet, das als "Lausanner Vereinbarung" später große Bedeutung erhielt. Darin wurde von beiden Delegationen - wenn auch nach anfänglichem Widerspruch der ostdeutschen Vertreter - anerkannt, dass es nach den Regeln des IOC für jedes Land nur ein NOK geben könne. In der Erklärung, dem "Agreement on German participation in 1952 Olympic Games", wurde dazu festgestellt, dass das "German Olympic Committee" bereits anerkannt sei und es deshalb die Zuständigkeit für die Teilnahme habe. Betont wurde auch, dass die Teilnahme an den Spielen für die besten deutschen Amateure unabhängig von ihrem Wohnsitz möglich sei. Im Schlussabsatz wird die Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass das IOC zu seiner Sitzung im Juli 1952 in Helsinki einen Bericht über seine Empfehlung erwarte, ein Olympisches Komitee "for all of Germany" zu bilden. Es unterzeichneten Ritter von Halt, Willi Daume, Max Dana und Peco Bauwens für das bundesdeutsche NOK und Kurt Edel, Werner Scharen (der 1960 in die Bundesrepublik flüchtete) und Anni Strauß für das DDR-NOK. Die ostdeutsche Delegation wurde nach ihrer Rückkehr wegen Nichterreichens des "Minimalzieles" massiv vom SED-Zentralkomitee und von Ulbricht persönlich gerügt.

In den folgenden Monaten wurde deutlich, dass das bundesdeutsche NOK auch wegen zahlreicher persönlicher Verbindungen in der weitaus stärkeren Verhandlungsposition war und - mit Bonner Unterstützung - von dem sogenannten Alleinvertretungsanspruch ausging, der in der Politik als "Hallstein-Doktrin" bekannt wurde. Bereits fünf Tage nach der Lausanner Zusammenkunft erklärten die Präsidien von DSB und NOK bei einer gemeinsamen Sitzung am 27. Mai in Stuttgart-Bad Cannstatt, die entsprechenden Vorbereitungen und Verhandlungen auf der Grundlage der Lausanner Vereinbarung aufzunehmen.

Am gleichen Tag distanzierte sich bereits das NOK der DDR bei einer außerordentlichen Versammlung in Leipzig von der Lausanner Vereinbarung, und am 2. September kündigte der ostdeutsche NOK-Präsident Kurt Edel in einem Schreiben an das IOC die Vereinbarung wegen des Verhaltens der bundesdeutschen Sportführung auf. Eine Mitgliederversammlung hatte zuvor die Vereinbarung für nichtig erklärt und erneut die Anerkennung des NOK der DDR durch das IOC gefordert, da eine solche Anerkennung die Voraussetzung für die Teilnahme von DDR-Sportlern an den Olympischen Spielen sei. Wie der frühere DDR-Sportfunktionär Werner Scharch nach seiner Flucht in die Bundesrepublik (1960) berichtete, sei diese Haltung dem DDR-Sport nachdrücklich vom Sekretariat des ZK der SED vorgeschrieben worden.

Es gab zwar Korrespondenzen und Verhandlungen zwischen beiden Organisationen, zuletzt am 15. November in Kassel und am 20. November in Hamburg, doch die Fronten hatten sich so sehr verhärtet, dass es zu keiner Einigung kam. Am 17. November war bei der bundesdeutschen NOK-Mitgliederversammlung in einer Entschließung nochmals darauf hingewiesen worden, dass es "für die Bildung einer sportlich-schlagstarken Mannschaft ... nun allerhöchste Zeit" sei und dass für die Mitarbeit in olympischen Aufgaben Voraussetzung "selbstverständlich nur" die Lausanner Vereinbarung sein könne.

Einen letzten Vermittlungsversuch unternahm das finnische IOC-Mitglied Erik von Frenckell, Bürgermeister von Helsinki und OK-Präsident der Sommerspiele 1952, indem er in Absprache mit dem IOC für den 8. Februar 1952 beide deutschen NOKs nach Kopenhagen einlud. Doch am Tagungsort warteten die IOC-Delegation unter der Leitung von Präsident Sigfrid Edström und die westdeutschen Delegierten mit Ritter von Halt vergeblich auf die Ostdeutschen. Diese trafen nicht nur verspätet in Kopenhagen ein, sondern kamen auch zum kurzfristig vereinbarten zweiten Termin nicht pünktlich, so dass Edström die Geduld verlor und nach dieser Brüskierung des IOC die letzte offizielle Vermittlungsaktion noch vor Beginn abbrach. Die Teilnahme einer gesamtdeutschen Mannschaft 1952 war damit gescheitert. Ein gesamtdeutsches Olympiateam ging dann erstmalig bei den Olympischen Winterspielen 1956 in Cortina d'Ampezzo und letztmalig - vor der Wiedervereinigung - bei den Sommerspielen 1964 in Tokio an den Start.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 18 / 3. Mai 2011, S. 30
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2011