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GESCHICHTE/312: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 134 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 36 / 6. September 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1981/IV: Grundsatzerklärung zum Sport der ausländischen Mitbürger
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 134)

Eine Serie von Friedrich Mevert


In Anwesenheit von Bundesinnenminister Gerhard-Rudolf Baum (FDP) befasste sich der Hauptausschuss des DSB in seiner Tagung am 5. Dezember 1981 im Frankfurter Römer schwerpunktmäßig mit dem Sport für ausländische Mitbürger. In einer Grundsatzerklärung betonte das DSB-Gremium die politische Mitverantwortung, auch ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien in die "Sport für alle"-Bewegung einzubeziehen. Die Präsidenten der Landessportbünde und Spitzenverbände appellierten gemeinsam mit dem DSB-Präsidium an alle Vereine und Verbände, sich dieser wichtigen sozialen Aufgabe engagiert anzunehmen. Bereits im Vorjahr hatte der DSB gemeinsam mit den Kirchen zum "Tag des ausländischen Mitbürgers" am 28. September aufgerufen und waren die Deutsche und die Berliner Sportjugend von der Theodor-Heuss-Stiftung für das Projekt "Deutsch-Türkischer Kindertreff" in Berlin-Kreuzberg mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet worden.


Die Grundsatzerklärung hat folgenden Wortlaut (Auszüge):

"Mit ihrer Forderung 'Sport für alle' verpflichtet sich die Turn- und Sportbewegung, allen Bevölkerungsgruppen entsprechend ihren Interessen und Bedürfnissen ausreichend Bewegung, Spiel und Sport in vielen Formen des Freizeit-, Breiten- und Spitzensports zu ermöglichen. Diese Verpflichtung schließt die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien ein. Sie sind Mitbürger, die in allen Lebensbereichen anerkannt und integriert werden und deshalb auch das gleiche Recht und die gleichen Chancen wie alle anderen Bürger in unserem Lande erhalten müssen, am Sport teilnehmen zu können.

Der Deutsche Sportbund ist sich der hiermit verbundenen besonderen politischen Mitverantwortung bewusst und appelliert daher an die Vereine und Verbände, sich dieser wichtigen sozialen Aufgabe engagiert anzunehmen, und an die öffentlichen Hände, den Sport in seinem Bemühen zu unterstützen.


Bedeutung des Sports für die ausländischen Mitbürger

Sport besitzt für ausländische Mitbürger eine besondere Bedeutung

- Sport kann ihre gesellschaftliche Isolierung verringern und ihre soziale Eingliederung erleichtern helfen, ohne dass sie ihre kulturelle Eigenart und Identität aufgeben müssen.

- Sport bietet den ausländischen Mitbürgern auf diese Weise auch die Chance, sprachliche und kulturelle Barrieren in einem fremdem Land zu überwinden.

- Sport kann gerade in dieser Gruppe unserer Gesellschaft im erheblichen Maße zur Erfüllung der Freizeit beitragen, einen Ausgleich gegenüber den Beanspruchungen der Arbeitswelt schaffen und neue Erlebnisgehalte erschließen.



Zur Situation der ausländischen Mitbürger

In der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) leben zur Zeit etwa vier Millionen ausländische Mitbürger. Diese Zahl nimmt vor allem durch Geburt und Familienzusammenführung ständig zu. Ungefähr eine Million von ihnen sind unter 16 Jahre alt. Diese Jugendlichen sind zum größten Teil bereits in unserem Lande geboren. Viele ausländische Mitbürger haben den Wunsch, hier auf Dauer ansässig zu werden.

Die ausländischen Mitbürger sind hohen Belastungen durch die für sie oft ungewohnten industriellen Arbeitsbedingungen sowie durch die Anpassung an unsere Lebensverhältnisse ausgesetzt. Ihre Lage ist darüber hinaus häufig durch rechtliche Unsicherheit, durch unzureichende Wohnverhältnisse, durch erschwerte Bildungsmöglichkeiten sowie durch Vorurteile in der deutschen Bevölkerung belastet. Viele bestehende Freizeitangebote werden außerdem den Lebensgewohnheiten und den kulturellen Besonderheiten der ausländischen Mitbürger kaum gerecht. Diese Tatsachen führen dazu, dass ausländische Mitbürger auch im Sport unterrepräsentiert sind. Weitere Gründe kommen hinzu:

- Der Freizeit- und Breitensport ist in den Heimatländern dieser ausländischen Mitbürger noch wenig entwickelt; deshalb haben sie die Wirkungen des Sports auch kaum erlebt und erfahren.

- Häufig fehlen auch die motorischen Voraussetzungen bei den ausländischen Mitbürgern für die Teilnahme am Sport.

- Die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, hat Vorrang vor der Freizeitgestaltung, die ebenfalls eine regelmäßige zeitliche Bindung verlangt.

- Selbst wer von den ausländischen Mitbürgern gern Sport; treiben möchte, findet den Weg zu einem deutschen Verein nur schwer, weil die Angst vor Vorurteilen, Ablehnung und Isolation groß ist.

- Die Frauen ausländischer Arbeitnehmer sind fast ausschließlich auf Hausarbeit und Berufstätigkeit verwiesen und kommen schon aus diesen Gründen nicht zur sportlichen Betätigung.

Sportprogramme, die ausländische Mitbürger ansprechen sollen, müssen diese besonderen Bedingungen berücksichtigen, die auch schon die Einstellung ausländischer Kinder und Jugendlicher zum Sport beeinflussen.


Die Aufgabe des Sportvereins

Vor allem der Sportverein ist ein sozialer Lebensraum, in dem Deutsche und Ausländer einander bei sinnvoller Freizeittätigkeit begegnen können. Die Vereine sollten sich deshalb den ausländischen Mitbürgern stärker öffnen, ihnen und ihren Familien besondere sportliche Angebote machen und sie auch für Funktionen in den Entscheidungsgremien gewinnen. Dabei ist zu beachten,

- dass Maßnahmen, Angebote, Mitgliedsverhältnisse und damit die Vereinseigenart grundlegend erhalten bleiben;

- ein Interessenausgleich zwischen den deutschen und ausländischen Mitgliedern gefunden wird."


Nach den vorstehenden grundsätzlichen Erklärungen enthält die Konzeption in acht Abschnitten eine Vielzahl von entsprechenden Empfehlungen zu konkreten Maßnahmen:

"1. Mitgliedschaftsmodelle für Einzelmitgliedschaften, Abteilungen und Mannschaften ausländischer Mitbürger, Vereine für einzelne Nationen oder Volksgruppen sowie für noch nicht organisierte ausländische Mitbürger;

2. Geeignete sportliche Angebote;

3. Sport für besondere Zielgruppen;

4.(Teilnahme an Wettkämpfen;

5. Übungsleiter und Organisationsleiter;

6. Ökonomische Fragen;

7. Öffentlichkeitsarbeit und

8. Begleitende Hilfen durch andere Institutionen."

Im letzten Abschnitt werden insbesondere angesprochen:

"- Die Sportwissenschaft sollte Freizeitbedürfnisse und -verhalten, kulturelle und Bildungsvorstellungen, Sportinteresse und die Auswirkungen besonderer Sportprogramme bei ausländischen Mitbürgern sowie die besonderen Eingliederungsprobleme ausländischer Mädchen und Frauen untersuchen.

- Die kommunalen Sportämter sollten - in Verbindung mit den Sportvereinen, den Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften und Ausländer-Einrichtungen - die örtliche Sportförderung für ausländische Mitbürger koordinieren helfen. Dabei hat die Tätigkeit der Vereine Vorrang.

- Die Bundesregierung, die Bundesanstalt für Arbeit und die Landesregierungen sollten im Rahmen bestehender Richtlinien und Maßnahmen Mittel für Ausländer-Programme der Sportorganisationen bereitstellen.

- Auch die Massenmedien sollten ihren Beitrag zur Information ausländischer Mitbürger über Möglichkeiten des Sporttreibens (mit konkreten Hinweisen auf bestehende Einrichtungen und Angebote) sowie zur Aufklärung der deutschen Bevölkerung über die Probleme ausländischer Mitbürger im Sport leisten.

- Die Landessportbünde sollten - möglichst in Verbindung mit den Landesfachverbänden - mit Hilfe der Landesregierungen Modell-Lehrgänge zum Sport der ausländischen Mitbürger durchführen."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 36 / 6. September 2011, S. 17
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2011