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GESCHICHTE/341: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 160 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 16 / 17. April 2012
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1985/V: Resolution der DSJ zur Jugendarbeitslosigkeit
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 160)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Im "Internationalen Jahr der Jugend" 1985 widmete sich die Deutsche Sportjugend in der sportlichen Jugendsozialarbeit vor allem den Zielgruppen unter den Kindern und Jugendlichen, die bis dahin nur in relativ geringem Umfang am Sport beteiligt waren, obwohl der Sport gerade für sie besondere Lebenshilfen bewirken kann. Dabei handelte es sich insbesondere um arbeitslose Jugendliche, um Kinder und Jugendliche aus ausländischen Gastarbeiterfamilien (wie sie seinerzeit bezeichnet wurden), um straffällig gewordene Jugendliche und um Kinder in Erziehungsheimen. Als langfristige Perspektive sah die DSJ ferner ihre Zielsetzung, in Kooperation mit dem Deutschen Behinderten-Sportverband (DBS) den Anteil der sporttreibenden behinderten Kinder dem Aktivitätsgrad ihrer Alterskameraden anzugleichen, wobei dem Gedanken der Akzeptanz und der Integration besondere Bedeutung beigemessen wurde.

Bei der "Versammlung der Jugendwarte" (heute Jugendhauptausschuss der DSJ) am 19. Oktober 1985 in Stuttgart-Fellbach stellten sich die Delegierten der Jugendausschüsse der Verbände und Bünde dem seinerzeit in der Bundesrepublik drängenden Problem der Jugendarbeitslosigkeit. Der von der DSJ beschlossenen Erklärung stimmte in seiner folgenden Sitzung am 30. November 1985 auch der Hauptausschuss des DSB einmütig zu und stellte sich damit hinter die Forderungen seiner Jugendorganisation. Die Resolution zum Problem der Jugendarbeitslosigkeit hat folgenden Wortlaut:

"Seit mehreren Jahren gehören Jugendarbeitslosigkeit und Mangel an Ausbildungsplätzen zu den wichtigsten gesellschaftlichen Problemen in unserem Land. Trotz politischer Initiativen und verschiedener Anstrengungen gesellschaftlicher Kräfte bleiben die Zahlen der Arbeitslosen, insbesondere bei jugendlichen Arbeitslosen, unverändert hoch.Eine übergreifende Konzeption zur wirklichen Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit ist noch nicht zu erkennen.

Der Ausschluss aus dem Ausbildungs- und Erwerbssystem hat Folgen, die bis zu schweren Entwicklungsstörungen reichen können. Die Auswirkungen sind um so schwerwiegender, je länger die Arbeitslosigkeit dauert, die den Jugendlichen letztlich den Erwachsenenstatus verwehrt. Ohne die Möglichkeit, Selbständigkeit einzuüben, Selbstbewusstsein zu entwickeln und befriedigende soziale Beziehungen aufzubauen, wächst das Gefühl von Überflüssigkeit und Perspektivlosigkeit. Junge Frauen verzichten auf berufliche Qualifikationen.

Der Sport bietet nur begrenzte Möglichkeiten, die soziale Lage der Jugendlichen zu verbessern, da er die gesellschaftlichen Ursachen nicht erreicht. Er kann aber dazu beitragen, die psychosozialen Folgeerscheinungen zu verringern, wenn er soziale Kontakte und Einbindung bietet, Erfolgserlebnisse und Selbstbestätigung ermöglicht, Mitgestaltung und Eigeninitiative zulässt. Eine auf diesem Weg erreichbare Festigung der Persönlichkeit soll nicht nur die Alltagsbewältigung erleichtern, sondern auch das solidarische und energische Eintreten für das Recht auf Ausbildung und Arbeit stärken.

Die Deutsche Sportjugend kennt die Auswirkungen des Problems aus der eigenen Arbeit. Konnte früher die Solidargemeinschaft Sportverein einzelnen betroffenen Jugendlichen durch persönliche Kontakte oft noch zu einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatzverhältnis verhelfen, so ist dies heute angesichts der massiven Berufsnot nicht mehr möglich. Übungs- und Jugendleiter werden dadurch mit neuen Konflikten und Schwierigkeiten konfrontiert. Die in dieser Altersstufe ohnehin vorhandene Fluktuation verschärft sich.

Die Deutsche Sportjugend stellt sich in jugendpolitischer Mitverantwortung dem genannten Problem von Jugendarbeitslosigkeit und Berufsnot im Interesse der jugendlichen Vereinsmitglieder und auch der Arbeitslosen, die keinem Sportverein angehören.Sie ist zu besonderen Anstrengungen und zum Erproben neuer Wege bereit.

Die Deutsche Sportjugend fordert:

- Die Vereine und Verbände müssen die von der Arbeitslosigkeit bedrohten und betroffenen Jugendlichen verstärkt in ihre Arbeit einbeziehen;

- Arbeitslosigkeit darf für Jugendliche weder einen Grund darstellen, den Verein zu verlassen, noch ihn daran hindern, einem Verein beizutreten;

- Mitglieds- und Teilnehmerbeiträge sollten entfallen;

- die Kosten für Sportkleidung müssen den Möglichkeiten der jugendlichen Arbeitslosen entsprechen und weitgehend reduziert werden;

- für die Wahrnehmung dieser zusätzlichen sozialen Aufgaben sind Vereinen und Verbänden öffentliche Mittel in erforderlichem Umfang bereitzustellen;

- die Auseinandersetzung mit dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit muss in die Bildungsarbeit der Sportjugend einbezogen werden; jugendliche Arbeitslose sind verstärkt als Jugend-, Übungs- oder Organisationsleiter in die gesamte Vereinsarbeit einzubeziehen und vermehrt zur Lehrgangs- und Ausbildungsmaßnahmen der Verbände zu entsenden, um sie in soziale Gruppen einzubinden und ihr Selbstwertgefühl stärken zu helfen;

- die Jugendarbeit in den Vereinen ist so zu ändern, dass sich alle Jugendlichen angesprochen fühlen;

- fachliche und überfachliche Sportangebote in den Vereinen sind auf die Bedürfnisse der jugendlichen Arbeitslosen auszurichten, um jede Aussonderung von Gruppen zu vermeiden und auch den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, Eigenverantwortung zu erlernen und solche bewusst zu erleben;

- die Ursachen ihrer sozialen Lage und gesellschaftlichen Zusammenhänge müssen jugendlichen Arbeitslosen vermittelt werden, um ihnen das Gefühl individuellen Versagens zu nehmen;

- alle gesellschaftlichen Kräfte sind dazu aufgefordert, jungen Menschen aus ihrer Perspektivlosigkeit herauszuhelfen, indem sie in genügender Anzahl Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen. In diesem Sinne begrüßt die Deutsche Sportjugend alle politischen Aktivitäten der Jugendlichen selbst sowie der Jugendorganisationen.

Die Deutsche Sportjugend hat kein Verständnis für eine Politik, in der die Rechte der Jugendlichen vernachlässigt werden. Sie fordert die Verantwortlichen in Wirtschaft, Politik und Sport auf, endlich zu handeln - Ausbildung und Arbeit für alle!"

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 16 / 17. April 2012, S. 29
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2012