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GESCHICHTE/378: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 188 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 46 / 13. November 2012
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1990/V: Sport in einem Deutschland - Konzept für die Vereinigung
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 188)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Die Öffnung im November 1989 und der dann folgende Abriss der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenzanlagen brachte nach langjährigen mühseligen Verhandlungen zwischen den Sportorganisationen im Westen und Osten Deutschlands nun die Möglichkeit und auch die große Herausforderung, eine einheitliche deutsche Sportorganisation auf den Prinzipien staatlicher Unabhängigkeit, ehrenamtlicher Führung, föderativer Strukturen und selbstständiger Vereine zu entwickeln.

Fast alle Landessportbünde des DSB vereinbarten Partnerschaften zu den Bezirksorganisationen des DTSB und halfen beim Aufbau der Landessportbünde in den entstehenden "neuen" Ländern. Parallel dazu führten die Spitzenverbände von DSB und DTSB Vereinigungsgespräche und schlossen sich nach und nach zu gesamtdeutschen Verbänden zusammen.

Mit einer Vielzahl von Besprechungen der beiderseitigen Präsidenten Hans Hansen und Martin Kilian sowie Beratungen von Fachkommissionen mit Experten von beiden Seiten wurden zügig die Grundlagen für die bevorstehende Vereinigung geschaffen und am 28. Juni 1990 als Konzeption mit folgenden Eckpunkten vereinbart:


"Konzeption für die Vereinigung

Grundlage der Vereinigung sind die in der Satzung des DSB (...) sowie im (...) Statut des DTSB verankerten Prinzipien, Zwecke, Aufgaben und Mitgliedschaften der deutschen Turn- und Sportbewegung, z.B.

  • die ehrenamtliche Führung,
  • föderalistische Strukturen,
  • Selbständigkeit der Mitgliedsverbände,
  • Freiheit und Freiwilligkeit der Sportausübung,
  • parteipolitische Neutralität und weltanschauliche Toleranz,
  • Gemeinnützigkeit,
  • Subsidiarität.

Als realistischer Weg zur Vereinigung im Sport - basierend auf der gegenwärtigen gesamtdeutschen politischen Entwicklung und den Vorschlägen der Fachkommissionen - wird das folgende Programm angesehen:

  1. Im Zeitraum der Länderbildung in der DDR (Herbst 1990) werden dort entsprechende Landessportbünde entstehen. Die Vereinigung des Sports in Berlin vollzieht sich durch den Beitritt des TSB Berlin (Ost) zum Landessportbund Berlin.
  2. Die Landessportbünde in der DDR beantragen im Benehmen mit dem DTSB ihren Beitritt zum Deutschen Sportbund. Die Aufnahme würde nach der staatlichen Vereinigung wirksam. Abschnitt 4 ist dabei zu berücksichtigen.
  3. Der DTSB nimmt bis zur staatlichen Vereinigung seine Funktion wahr und beschließt dann entsprechend den Statuten seine Auflösung.
  4. Als Voraussetzung für die Aufnahme der Landessportbünde in der DDR in den Deutschen Sportbund müßte dessen Satzung geändert werden. Eine Strukturkommission des DSB bereitet diese Änderung unter Berücksichtigung der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der neuen Mitglieder vor.
  5. Die Spitzenverbände und die übrigen Mitgliedsverbände des DSB vereinigen sich mit den Verbänden in der DDR zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Form, aber so zügig wie möglich - im Hinblick auf ihre internationalen Bestimmungen und Verpflichtungen.
  6. Nach dem Spitzengespräch am 28. Juni 1990 zwischen DSB und DTSB wird eine gemeinsame Koordinierungskommission (mit je einer Leiterin/einem Leiter und je einer Vertreterin/einem Vertreter jeder Fachkommission - jeweils beider Seiten) - soweit erforderlich - zusammentreten."

Aus den umfassenden Arbeitsergebnissen der vier Fachkommissionen - Strukturen/Verwaltung/Finanzen, 2. Breitensport, 3. Leistungssport und 4. Bildung/Wissenschaft/Gesundheit werden nachstehend - beispielhaft - die Beratungsergebnisse des Arbeitskreises 1 wiedergegeben:

"Strukturen/Verwaltung/Finanzen
  1. Die wichtigsten Prinzipien und Schritte zur Schaffung einheitlicher Strukturen sind in der Präambel der Gesamtkonzeption dargestellt. Die dazu notwendigen Änderungen der DSB-Satzung werden von einer (am 23. Juni 1990 eingesetzten) Strukturkommission des DSB vorbereitet. Zum einheitlichen Sportbund soll nur eine Sportjugend gehören.
  2. Für die neue, einheitliche Sportorganisation entwickelt die Strukturkommission des DSB unter Mitwirkung von Vertretern des DTSB eine Personalkonzeption, in die für den DTSB-Bereich sowohl die Berücksichtigung hauptamtlicher Mitarbeiter in der Hauptverwaltung wie auch die demokratische Mitwirkung in ehrenamtlichen Gremien des DSB eingeschlossen sind. Von den Spitzenverbänden des DSB wird analoges Vorgehen erwartet.
  3. Auf Landes- und kommunaler Ebene werden im DDR-Bereich überall öffentliche Sportverwaltungen eingerichtet, für die auf qualifiziertes Fachpersonal des DTSB zurückgegriffen werden sollte. Dies gilt ebenso für die hauptamtlichen Geschäftsführer der (ansonsten ehrenamtlich geleiteten) Kreissportbünde; diese sollten durch Länder und Gemeinden finanziert werden.
  4. In den neuen Landessportbünden sollten die Landes(fach)verbände oder diese und die Vereine, ggf. auch die Kreissportbünde, Mitglieder sein. DTSB und DSB (sowie dessen LSB) wollen die sich bildenden Landessportbünde in allen Fragen (Vereinsgründungen, Sportanlagenutzung, Ausbildungssystem, Sportjugend, Finanzierung, Personalprobleme etc.) beraten.
  5. Bei der Vereinigung der Spitzenverbände und der Verbände mit besonderer Aufgabenstellung sind besondere Strukturprobleme in den einzelnen Sportarten und Disziplinen (siehe Blätter 3 - 5 der Fachkommission 1) von den Verbänden auf Grund ihrer Autonomie selbst zu lösen, doch bieten DTSB und DSB ihre Beratung an."

Sport im Einigungsvertrag

Auch in dem am 31. August 1990 durch Bundesinnenminister Schäuble und DDR-Staatssekretär Krause im (Ost-)Berliner Kronprinzenpalais unterzeichneten Einigungsvertrag wurde der Sport einbezogen. Der Siebte Sportbericht der Bundesregierung informierter darüber wie folgt:

"Der wichtige gesellschaftliche Bereich des Sports wird in Art. 39 des Einigungsvertrages behandelt. Abs. 1 stellt fest, dass mit dem Beitritt der DDR der Sport im beigetretenen Teil nach den gleichen Strukturen wie in der Bundesrepublik aufgebaut werden soll. Selbstverwaltung soll auch für den Sport in der DDR gelten, was zugleich die Gesichtspunkte der Eigenverantwortung und Unabhängigkeit vom Staat bedeutet. Ausdrücklich wird festgestellt, dass die Zuständigkeitsverteilung sich nach den vom Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzen richtet.

Abs. 2 befasst sich mit dem Spitzensport. Die in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Grundsätze und Regeln für die Förderung des Spitzensports, die nicht in Gesetzform bestehen, finden auch im Gebiet der DDR Anwendung. In diesem Rahmen werden das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig, das vom IOC anerkannte Doping-Kontrollabor in Kreischa und die Forschungs- und Entwicklungsstelle für Sportgeräte (FES) in Berlin (Ost) als Einrichtungen im vereinten Deutschland in erforderlichem Umfang fortgeführt oder bestehenden Einrichtungen angegliedert. Der Sport hat den Bundesminister des Innern gebeten, die in den genannten Einrichtungen bestehenden wissenschaftlichen und personellen Kapazitäten für den Sport zu erhalten. Offen bleibt nach dem Einigungsvertrag, in welcher Rechtsträgerschaft und in welcher Rechtsform die genannten Einrichtungen fortzuführen sind.

In Abs. 3 ist bestimmt, dass der Bund für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1992 den Behindertensport, auch soweit er nicht Spitzensport ist, fördert. Diese Vorschrift war deshalb erforderlich, weil der Behindertensport in der DDR ganz besonders vernachlässigt wurde. Bei der Förderung des Spitzensports in den fünf neuen Bundesländern wird darauf zu achten sein, dass das Umfeld der Spitzenathleten soweit als möglich erhalten bleibt. Die Athleten sollen in den fünf neuen Bundesländern weiter trainieren können und nicht ins westliche Deutschland oder ins Ausland abwandern. Daraus folgen die Schwerpunkte der Förderung des Bundes; diese muss sich im wesentlichen beziehen auf

  • die Erhaltung zentraler Trainingseinrichtungen,
  • die Finanzierung der die Spitzenathleten betreuenden Trainer und
  • die Sicherung des sozialen Umfeldes der Kaderathleten."

Am 26./27. Oktober 1990 nahmen erstmalig die Präsidenten der fünf neuen ostdeutschen Landessportbünde an der Herbsttagung der Ständigen Konferenz der Landessportbünde in Hannover teil und übergaben bei dieser Gelegenheit symbolisch ihre Aufnahmeanträge in den DSB an dessen Präsident Hansen. Diese Aufnahme wurde dann einstimmig durch den DSB-Hauptausschuss am 14. Dezember unmittelbar vor dem 21. Bundestag aus Anlass des 40jährigen DSB-Jubiläums am 15. Dezember im Kuppelsaal der Stadthalle von Hannover vollzogen. Zuvor hatte sich der DTSB der ehemaligen DDR am 5. Dezember 1990 in Berlin aufgelöst.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 46 / 13. November 2012, S. 24
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2012