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GESCHICHTE/392: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 202 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 11 / 12. März 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1992/VI: DSB-Bundestag: "Soziale Offensive des Sports" im Mittelpunkt
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 202)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Neben der Verabschiedung des "Goldenen Planes Ost" hatte das Präsidium des DSB die "Soziale Offensive des Sports" als Generalthema in den Mittelpunkt des DSB-Bundestages am 27./28. November 1992 in Berlin gestellt. Vor dem parlamentarischen Teil der Versammlung, in dem u.a. auch Resolutionen zum Schulsport und zur Dopingbekämpfung beschlossen wurden, war in vier Arbeitskreisen in Podiums- und Plenumsdiskussionen ein breites Spektrum sportlicher Aufgabenstellungen beraten worden.

Der Arbeitskreis 3 befasste sich unter dem Thema "Sportbedürfnisse besonderer Zielgruppen im Spannungsfeld zwischen sozialem Anspruch und Vereinswirklichkeit" mit der "Sozialen Offensive des Sports" im engeren Sinn und fasste seine Beratungsergebnisse als "Ansatzpunkte für ein soziales Programm des Sports" für Vereine und Verbände wie folgt zusammen:

"Die sozialen Funktionen des Sports, vor allem seine integrative Kraft, sind ein wesentliches Element der alltäglichen Arbeit in den Vereinen und Verbänden des Sports. Übungs- und Wettkamp betrieb, Freizeit- und Breitensport, sportliche Betreuung und Gremienarbeit vermitteln soziale Einbindung und Anerkennung, ermöglichen soziale Lernprozesse, bieten Chancen zur Gestaltung sozialen Lebens. Diese soziale Erlebnisqualität sichert dem Sport gesellschaftliche Anerkennung. Die sozialen Funktionen des Sports sind auch denen gegenüber zum Tragen zu bringen, die gesellschaftlich desintegriert sind.

Die Erfahrungen mit diesem Aufgabenfeld in der Vergangenheit legen es nahe,

  • die Handlungsmöglichkeiten der Vereine und Verbände zu ermitteln und gegebenenfalls behutsam zu erweitern;
  • die gesellschaftlichen Problemlagen ständig neu zu analysieren;
  • die Lebenssituation der betroffenen Personengruppen zum Ausgangspunkt zu machen;

Drei Analyse-Ebenen führen zu zwei zentralen Ansatzpunkten für ein soziales Programm des Sports:

  1. Der erste Arbeitsschwerpunkt sieht die Vereine im Zentrum. Die prinzipielle Offenheit, derzufolge jede(r) Mitglied werden kann, reicht nicht aus, um alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen einzubinden. Für manche sind die Hürden höher. Diese Hürden gilt es abzubauen und die soziale Schieflage in der Mitgliederstruktur der Vereine zu korrigieren. Die hierzu notwendigen vielfältigen Bemühungen dürfen nicht nur auf dem Interesse an steigenden Mitgliederzahlen, sondern müssen vor allem auf der sozialen Verantwortung für alle Alters-, Geschlechts- und Sozialgruppen aufbauen. - Dieser Ansatzpunkt geht von den präventiven sozialen Möglichkeiten des Sports aus, indem es ihm gelingt, der Verfestigung einer Zweidrittelgesellschaft entgegenzuwirken.
  2. Der zweite Arbeitsschwerpunkt geht davon aus, dass auch Erfolge im präventiven Bereich der Sportvereine nicht ausreichen, um angemessen auf soziale Probleme zu reagieren. Arbeitslosigkeit, Einwanderung, Armut, Sucht, Kriminalität, teilweise auch Behinderung bedeuten für die betroffenen Personen und Gruppen soziale Ausgrenzung in einem Maße, das die Handlungsmöglichkeiten der Vereine in der Regel überfordert. Die hier ansetzenden Programme der professionellen Träger von Sozialarbeit und Therapie beziehen allerdings zunehmend Sport, Spiel und Bewegung in ihre Konzeptionen ein. Diese Arbeit ist vor allem von den Sportverbänden und -bünden zu unterstützen, sächlich und personell. Vereine sollten bei entsprechenden Voraussetzungen einbezogen werden, in der Regel aber nicht als alleinige Träger von Interventionsmaßnahmen auftreten, zumal spezielle Fachkompetenz erforderlich ist. In die gesellschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland sind die Vereine im Sinne eines sozialen "Puffers" einzubauen und in ihren sozialen Handlungsmöglichkeiten zu fördern. Das Zusammenleben von Ausländern und Deutschen braucht angesichts zunehmender Fremdenfeindlichkeit die integrative Kraft der Sportvereine und ihres sozialen Engagements."

Die dritte Sportstunde muss bleiben

Mit der folgenden Resolution forderte der DSB-Bundestag alle verantwortlichen Politiker aus aktuellem Anlass auf, dafür zu sorgen, dass der Schulsport nicht geschwächt, sondern verbessert werde:

"Seit seiner Gründung im Jahre 1950 hat sich der Deutsche Sportbund für die Förderung und Weiterentwicklung des Schulsports eingesetzt. Die Empfehlungen zur Förderung der Leibeserziehung in den Schulen von 1956 sowie die Aktionsprogramme für den Schulsport von 1972 bis 1985 wurden zusammen mit den Kultusministerien und den kommunalen Spitzenverbänden erstellt und verabschiedet. Mindestens drei Sportstunden in allen Schularten und auf allen Schulstufen sind wesentlicher Teil dieser gemeinsamen Vereinbarungen. Der freie Sport in Deutschland nimmt es nicht hin, dass versucht wird, die dritte Schulsportstunde zu streichen. Dies darf auch nicht auf dem Umweg über die Flexibilisierung der Stundentafeln geschehen.

Flexibilisierung bedeutet, dass jede einzelne Schule selbst entscheiden kann, ob sie dem Sportunterricht zwei oder mehr Stunden pro Woche einräumt. In Wirklichkeit wird dadurch die Pflichtstundenzahl im Sport gekürzt. Der Bundestag des Deutschen Sportbundes fordert die verantwortlichen Politiker auf, die Situation des Schulsports nicht weiter zu verschlechtern.

  1. Die Kultusminister der Länder dürfen ihre Zuständigkeit und Verantwortung für den Schulsport nicht vernachlässigen. Sie müssen vielmehr dafür sorgen, dass für alle Schüler die Grundversorgung von drei Pflichtsportstunden im Schulsport gewährleistet bleibt. Die dritte Sportstunde darf nicht wegfallen.
  2. Stundenplankürzungen im Sport dürfen nicht mit der Notwendigkeit von Sparmaßnahmen begründet werden. Wer an Bewegung, Spiel und Sport für unsere Kinder und Jugendlichen spart, spart an der Zukunft unserer jungen Generation. Aus pädagogischer, entwicklungspsychologischer und ärztlicher Sicht sind Einschränkungen unvertretbar.
  3. Die Sportlehrerschaft in Deutschland ist überaltert. Die Einstellung junger Sportlehrkräfte ist erforderlich. Stundenkürzungen im Schulsport verstärken den Prozess der Überalterung, indem sie den Sportlehrerbedarf verringern.
  4. Der Umfang des verbindlichen Sportunterrichts in der Schule ist eine Berechnungsgrundlage für den Sportstättenbau der Städte und Gemeinden. Jede Einschränkung des Sportunterrichts geht auch zu Lasten der Sportvereine und Sportverbände. Wir brauchen aber nicht weniger, sondern mehr Sportgelegenheiten, die allen Bürgern zur Verfügung stehen.
  5. Vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland darf der Sport in der Schule nicht vernachlässigt werden. Gerade er bietet Kindern und Jugendlichen eine echte Alternative zu Gewalt, Drogensucht und Bindungslosigkeit.
  6. Es bleibt die Aufgabe der Schule, in einer bewegungsarmen Lebenswelt auf den außerschulischen Sport vorzubereiten. Der Vereinssport kann nicht die Aufgaben des Schulsports übernehmen. Schule und Sportverein haben sich ergänzende und gemeinsame Aufgaben. Sie setzen eigene Schwerpunkte in der Sporterziehung, um das Beste für Kinder und Jugendliche zu erreichen.
  7. Im nächsten Jahr bewirbt sich Berlin um die Olympischen Sommerspiele 2000. Niemand hat Verständnis dafür, dass gleichzeitig Maßnahmen beschlossen werden, die zu einer Verschlechterung der Schulsportsituation in Deutschland führen."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 11 / 12. März 2013, S. 21
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2013