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GESCHICHTE/413: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 218 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 32 / 6. August 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1995/III: Partnerschaft des Sports mit anderen gesellschaftlichen Organisationen
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 218)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Beim 5. Spitzengespräch "Kirche und Sport" am 5. Juli 1995 in Frankfurt am Main kündigten die Repräsentanten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Katholischen Kirche und des Deutschen Sportbundes (DSB) einen gemeinsamen Einsatz für das soziale Klima in Deutschland und einen weiteren Ausbau der Partnerschaft an. Beide Kirchen und der DSB wollen sich künftig verstärkt für einen humanen Sport im Sinne der Chancengleichheit und der Stärkung des Gemeinsinns einsetzen. Das war das Fazit des Spitzengesprächs der Delegationen der drei Partner unter der Leitung von Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt (EKD-Ratsvorsitzender), Bischof Dr. D. Karl Lehmann (Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz) und DSB-Präsident Manfred von Richthofen.

Die Delegationen verabschiedeten nach Abschluss ihrer Beratungen eine gemeinsame Erklärung, die folgenden Wortlaut hatte:

"Kirche und Sport verstehen ihre Zusammenarbeit als konstruktive Partnerschaft für den Dienst am Menschen, für ein soziales und gerechtes Miteinander, für Lebensfreude und eine sinnvolle Lebensqualität. In ihren Gemeinden und Vereinen wollen Kirchen und Sport beispiel- und vorbildhaft gemeinsame Bemühungen, Aktionen, Projekte und Kampagnen unterstützen.

Kirchen und Sportorganisationen sehen mit Sorge ein Anwachsen all jener Interessen in unserer Gesellschaft, die Eigennutz, Profit- oder Konsumdenken übermäßig in den Mittelpunkt stellen. Diese Entwicklungen führten zu erheblichen sozialen Spannungen in unserem Land, die es abzubauen gilt.

Sie wollen sich an einem Sport orientieren, der offen und gesellig für alle ist, wo Kinder, ältere Menschen, Familien oder Alleinstehende ihren Platz haben, wo Freude, Spaß und Leistung keine Gegensätze bilden.

Folgende Aufgaben werden die drei Partner in den Mittelpunkt ihrer künftigen gemeinsamen Bemühungen stellen:

1) Ehrenamtliches Engagement in den Kirchen und im Sport - die sozialen Begabungen des Menschen wiederentdecken
Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind das unentbehrliche Rückgrat unseres Engagements in den Gemeinden und Vereinen. Ohne ihre Tätigkeit wären die breite Palette des Sport- und Vereinsangebotes und die zahlreichen Aktivitäten des Gemeindealltags weder inhaltlich noch personell vorstellbar. Unsere Gesellschaft lebt vom freiwilligen, ehrenamtlichen Engagement ihrer Bürger. Den Menschen zu helfen, ihre sozialen Begabungen wiederzuentdecken, ist daher nicht nur Gebot der Nächstenliebe, sondern Maßstab und Gradmesser für die Humanität und Freiheit unseres Gemeinwesens. Das Ehrenamt ist eine der wichtigsten Quellen unserer Demokratie. Hier können Tugenden wie Eigenverantwortung und Verantwortung für andere, Übernahme von Aufgaben auf Zeit, Mitbeteiligung und Mitsprache eingeübt und praktiziert werden. Gemeinsam aktiv zu werden ist ein wichtiges Motiv für ehrenamtliches Engagement. Kirchengemeinden und Sportvereine werden ihre Möglichkeiten nutzen, um die Motivation, Qualifikation und Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeiten zu fördern und auszubauen.

2) Gesundheit und Wohlbefinden in ihren körperlichen, seelischen und sozialen Dimensionen - Eine sinnvolle und würdige Lebensperspektive für den Menschen entwickeln.
Gesundheit ist ein wertvolles Gut und ihre Erhaltung ist für viele Menschen der wichtigste Zugang zu sportlichen Aktivitäten. Die Kirchen und der Sport begrüßen alle Bemühungen und Programme zur Förderung einer gesunden Lebensweise. Ziel solcher Aktionen sollte dabei sein, jeden Menschen zu einem selbstverantwortlichen, würdigen und realistischen Umgang mit sich selbst, seinen Mitmenschen und der uns umgebenden Schöpfung anzuleiten.

Die gegenwärtigen Drogen- und Suchtprobleme zeigen, dass ein sinnvolles, vertrauensvolles Leben in Verantwortung und Freiheit zum besonderen Anliegen in den pädagogischen und sozialen Handlungsfeldern unserer Gemeinden und Vereine werden muss. Vertrauen kann erfahren, Konfliktfähigkeit gelernt werden; sie wachsen und gedeihen in überschaubaren, alltagsnahen Gemeinschaften, wo Raum für Bewegung und Anerkennung ist. Schutz vor Drogen braucht glaubhafte Vorbilder und konkrete Verhaltensweisen. So sollten z.B. in Gemeinden und Vereinen nicht-alkoholische Getränke günstiger angeboten werden.

3) Besinnung und Bewegung in Gemeinsamkeit - Menschen brauchen "Sozialzeiten"
Kirchen und Sportverbände sehen die Einführung der Pflegeversicherung als eine wichtige Voraussetzung für die Pflege hilfsbedürftiger Menschen an. Die Kirchen bekräftigen ihre Stellungnahmen, in denen sie die Kompensation des Arbeitgeberanteils durch die Streichung von Feiertagen ("Sozialzeiten") ablehnen. Die Partner stimmen aber darin überein, dass abgewogen werden muss, welche Entwicklungen notwendig sind, um Arbeitsplätze zu erhalten oder ob dies nur vorgeschobene Argumente sind. In jedem Fall sind "Sozialzeiten" notwendige Zeiten der Besinnung auf das, was uns - als Kirchen und Sport - wichtig ist: die Sinnfrage des menschlichen Lebens.

"Sozialzeiten" dürfen nicht zur unreflektierten Verfügungsmasse für politische und wirtschaftliche Entscheidungen werden. Das Eintreten für ihren Schutz geschieht nicht aus Eigennutz, sondern weil sie unverzichtbarer Bestandteil der gesamtgesellschaftlichen Kultur sind.

"Sozialzeiten" geben Zeit zum Aufatmen und zum gemeinsamen Nachdenken, für das Familienleben, zur Begegnung mit Freunden und Nachbarn sowie für kulturelle, kirchliche und sportlich-spielerische Aktivitäten in der Gemeinschaft. Wer Gemeinschaft will, muss für den besonderen Schutz gemeinsamer arbeitsfreier Zeiten (Feierabend, Wochenenden, Feiertage) eintreten. Kirchen und Sportverbände wollen dies mit Nachdruck tun.

4) Gemeinden und Vereine als Orte des Zusammenlebens in einer offenen Gesellschaft - Fremde brauchen Freunde
Kirchen und Sport unterstützen alle Bemühungen, die sich gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit richten. Toleranz, Achtung und Wahrnehmen anderer Menschen können Vorurteile abbauen und als Bereicherung erfahren werden. Gemeinden und Vereine sind gefordert, im konkreten Alltag vor Ort glaubwürdige Modelle des Zusammenlebens zu entwickeln. Sport und Kirche müssen nicht nur für die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Lobby sein, sondern auch für andere benachteiligte Gruppen unserer Gesellschaft. Menschenwürde und Fairness haben ihren ureigenen Platz in Gemeinden und Vereinen.

Kirchen und Sport wissen sich in Mitverantwortung für das soziale Klima in unserem Land. Die Kirchen laden den Deutschen Sportbund ein, sich am Konsultationsprozess über die Diskussionsgrundlage für ein gemeinsames Wort der Kirchen "Zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland" zu beteiligen. Der Deutsche Sportbund sagt seine Mitwirkung zu und verweist in diesem Zusammenhang auf seine "Kieler Erklärung". Unsere Gesellschaft braucht die pädagogischen, sozialen, therapeutischen, integrativen, kreativen und kulturellen Möglichkeiten der Kirchen und des Sports für das gemeinsame Wohlergehen der Menschen in unserer Zeit.

Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Katholische Kirche Deutschlands und der Deutsche Sportbund danken ihrer Kontaktkommission und den Arbeitskreisen "Kirche und Sport" für die bisherige Zusammenarbeit und beauftragen sie, die Kooperation zwischen Kirche und Sport mit den erörterten Aufgabenschwerpunkten fortzusetzen."

Zu Beginn des Spitzengesprächs hatten sich die drei Repräsentanten in einführenden Referaten zu den Grundsätzen der Partnerschaft von Kirche und Sport geäußert. In dem Statement von DSB-Präsident Manfred von Richthofen hieß es unter anderem:

"Die Sportvereine machen für uns in erster Linie die soziale Dimension des Sports aus, die es zu stärken gilt. Die Sportvereine bilden in ihrer Vielfalt und Offenheit für alle ein riesiges Netzwerk sozialer Kontakte und alltäglicher Integration. Als Selbsthilfe-Organisationen, die ehrenamtlich geführt werden, gewährleisten sie eine ganz besondere Art der sozialen Einbindung. Dies gilt für die sporttreibenden Mitglieder ebenso wie für die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als "Moderatoren der Integration". Während sich die sporttreibenden Mitglieder in unabhängiger Weise Bewegungs- und gesellige Bedürfnisse erfüllen können, finden die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Verein - auf der Basis der Freiwilligkeit - erweiterte Möglichkeiten der Selbstdarstellung und der gesellschaftlichen Anerkennung. Eine besondere, unverwechselbare und nicht austauschbare Möglichkeit der Sportvereine liegt in ihrer Öffnung für bestimmte, in der Gesellschaft oft benachteiligte und im Sport unterrepräsentierte Zielgruppen wie Familien, Senioren, Behinderte sowie ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger oder überhaupt die "Fremden" unter uns.

Von den beiden Kirchen und ihren Untergliederungen, insbesondere von den Kirchengemeinden, erhoffen wir uns dabei enge Zusammenarbeit und partnerschaftliche Hilfe. Selbstverständlich muss diese Partnerschaft wechselseitig sein, denn die Kirchengemeinden haben weitgehend ähnliche Probleme wie die Vereine, denken wir nur an die ehrenamtliche Mitarbeit und an bedürfnisgerechte Veranstaltungen. Allerdings müssen wir die Partnerschaft auf eine breitere Basis stellen. Gerade im Zusammenhang mit unserer Vereinskampagne ist eine Zusammenarbeit zwischen Kirchengemeinden und Sportvereinen dringend erforderlich. Gemeinsam könnten sie zum Beispiel dafür sorgen, dass auf örtlicher Ebene Sportforen zustande kommen, bei denen sich alle vor Ort für die Entwicklung von Sport und Kirche verantwortlichen Institutionen an einen Tisch setzen. Hier an der Basis wie auch auf der Landesebene gibt es in unserer Partnerschaft noch viele weiße Flecken, die farblich gestaltet werden müssen. Vielleicht haben es die Pfarrer leichter, auf die Vereinsvorsitzenden zuzugehen, als umgekehrt."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 32 / 6. August 2013, S. 43
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2013