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GESCHICHTE/418: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 223 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 37 / 10. September 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1995/VIII: 100 Jahre Olympische Bewegung in Deutschland
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 223)

Eine Serie von Friedrich Mevert



In Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft, Medien und Sport feierte das Nationale Olympische Komitee für Deutschland (NOK) mit einer Festveranstaltung am 13. Dezember 1995 im Berliner Rathaus "100 Jahre Olympische Bewegung in Deutschland." Der Einladung gefolgt waren beispielsweise Bundespräsident Roman Herzog, Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch, die IOC-Ehrenmitglieder Berthold Beitz und Willi Daume, der Präsident der europäischen NOKs, Jacques Rogge, DSB-Präsident Manfred von Richthofen sowie zahlreiche Olympiasieger und Spitzensportler.

Hundert Jahre zuvor hatte an der Spitze der vierzigköpfigen Schar der Gründerväter als treibende Kraft der adligen und bürgerlichen Turner und Sportler Willibald Karl August Gebhardt gestanden, als am 13. Dezember 1895 im Hotel "Zu den Vier Jahreszeiten" in Berlins Mitte das "Komitee für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen zu Athen" gegründet wurde. Zum ersten Präsidenten des Komitees wurde Erbprinz Philipp Ernst zu Hohenlohe-Schillingsfürst gewählt, ihm folgte 1899 Prinz Aribert von Anhalt. Die neue olympische Vereinigung wechselte im Lauf der folgenden Jahrzehnte auch mehrfach ihren Namen, nicht jedoch ihr Programm. Bei der Jubiläumsfeier sprach Bundespräsident Roman Herzog auch den politischen Druck auf den Sport nach dem Mauerbau im August 1961 an und die schmerzlichen Diskussionen um den Olympiaboykott von Moskau 1980, die in der Rückschau heute vielleicht etwas anders als damals gesehen würden.


Hier in Auszügen die Rede des Bundespräsidenten:

"Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie werden es sich gewiss schon gedacht haben, ich bin gekommen, um mit Ihnen gemeinsam das 100jährige Jubiläum der Olympischen Bewegung in Deutschland zu begehen. Wir Deutschen haben in diesem Jahr eine Reihe von Rückblicken auf Ereignisse gehabt, die sich rundeten, bei denen es aber beim besten Willen nicht möglich ist, von Jubiläen zu sprechen. Kriegsende und die Befreiung der Konzentrationslager sind Stichworte, die schmerzlich an Tod und Gewalt erinnern. Da tut es gut, auf etwas zu schauen, das letztlich von uns allen mit Freude und Begeisterungen getragen wird: Olympia. Ich sage ausdrücklich letztlich, denn selbst im Sport ist es so, dass wir uns nicht auf einer Insel der Seligen befinden, sondern mitten im Leben.

So zeugt der Sport und zeugen ganz besonders Olympische Spiele stets auch von der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Situation im eigenen Land wie in der gesamten Welt. Denn das Grandiose der Olympischen Idee, die völkerverbindende Kraft des sportlichen Wettbewerbs, steht selbstverständlich im allgemeinen Spannungsfeld der Politik und des gesellschaftlichen Raumes überhaupt. Der Sport in unserem Land ist zwar autonom, und das ist gut so. Aber auch er - und damit auch das Nationale Olympische Komitee für Deutschland - ist eingebunden in die weltpolitische Großwetterlage, die nicht nur die deutsche Politik prägt, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld. Politische Spannungen haben Organisationen, die sich im internationalen Rahmen betätigen, deshalb immer auszuhalten gehabt - auch das NOK, und es hat dabei stets großes Verantwortungsbewusstsein gezeigt. Ich brauche nur an 1961 zu erinnern, als sich zusätzlich zum Mauerbau von interessierter Seite massiv der Druck verstärkte, zwei getrennte Olympiamannschaften aufzustellen; ebenso an 1980 mit seinen schmerzlichen Diskussionen um den Olympiaboykott der Moskauer Spiele. In der Rückschau sieht man heute manche Dinge vielleicht etwas anders als damals, aber es bleibt festzuhalten, dass das NOK damals seine Entscheidungen großem Ernst und in großer Verantwortung getroffen hat in und Geschichte behaupten kann.

Auch mit seinem Eintreten für eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft bis zum Jahre 1964 hat das NOK bewiesen, dass es nicht den einfachen, bequemen Weg gehen wollte, obwohl die internationale Sportwelt immer weniger Verständnis für die vermeintlichen "querelles allemandes" zeigte. Damit wurde auf einem wichtigen Feld ein Stück gesamtdeutschen Bewusstseins wachgehalten, und es wurden mit Hilfe des Sportes Brücken gebaut, die anderwärts schon nicht mehr trugen. Und auch nach dem Fall der Mauer gehörte der Sport zu den ersten Bereichen, die zu einem Zusammenfinden der Deutschen in Ost und West beitrugen. Das wurde besonders deutlich bei der ersten gemeinsamen Mannschaft nach der Wiedervereinigung, die sich 1992 bei den Olympischen Spielen in Albertville und Barcelona durch hervorragenden Teamgeist auszeichnete.

Das ist, glaube ich, unbestritten, und es ist ein Beweis dafür, dass der Sport eben wie kaum eine andere Beschäftigung die Möglichkeit bietet, auf die Menschen zuzugehen, zum Mitmachen aufzufordern, sie mitzureißen, zu integrieren und zwischen ihnen Freundschaften zu stiften. Aber, wie stets im Leben, es gibt immer auch die "Chance zum Negativen". In Zeiten der Diktatur ist Sport zum Instrument der Propaganda und des Totalitarismus eingesetzt worden. Sowohl der Nationalsozialismus als auch die kommunistischen Machthaber spielten virtuos auf dieser Klaviatur. Vor solchem Missbrauch müssen wir den Sport bewahren, davor muss der Sport sich auch selbst bewahren. Wenn auch heute, am Ende unseres Jahrhunderts, Chauvinismus und nationale Überheblichkeit bei uns keine große Gefahr mehr sind, so sind doch ganz andere Gefährdungen erkennbar. (...) Aber ich möchte unsere heutige Zusammenkunft nicht dazu nutzen, nur Sorgen und Nöte anzusprechen. Denken wir bei allen Schwierigkeiten daran, dass der Sport einer der wichtigsten Wege zur Gestaltung der Freizeit ist und darüber hinaus - ich habe es bereits angesprochen - wahrhaft integrierend und völkerverbindend wirkt. Das ist auch das Ziel aller Förderung des Spitzensports, aber auch der Förderung der Sportler, der Olympiateilnehmer selbst: Vorbild zu geben für die eigene sportliche Betätigung und für das Miteinander, die Begegnung mit anderen Menschen. (...)"


Bundeskanzler Helmut Kohl hatte seine Glückwünsche in einem Grußschreiben zum Ausdruck gebracht, in dem es u.a. hieß:

"Die Olympische Bewegung in Deutschland kann am 13. Dezember 1995 auf ihr 100jähriges Bestehen zurückblicken. Zu diesem Jubiläum, das Sie in Berlin festlich begehen, übersende ich Ihnen und dem gesamten Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland meine herzlichen Glückwünsche. (...)

Nur ein Jahr nach Gründung des Internationalen Olympischen Komitees konnten sich auch in Deutschland die Ideen von Pierre de Coubertin zur Wiederbegründung der Olympischen Spiele durchsetzen. Sein Aufruf an die Jugend der Welt, als Botschafter des Friedens zu wirken, hat die wechselvolle Geschichte unseres Jahrhunderts unbeschadet überstanden und ist noch heute Vermächtnis wie Auftrag zugleich.

Der olympische Geist des fairen und friedlichen Wettstreits strahlt auf den gesamten Sportbereich aus. Sich für ihn einzusetzen, ist eine lohnende Aufgabe. (...)"


Die im Rahmen der Festversammlung in Berlin von IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch vorgenommene Auszeichnung der langjährigen NOK-Repräsentanten Dr. Claus Heß, Werner Göhner und Fritz Wagnerberger mit dem Olympischen Orden war beispielhaft für die Verdienste der vielen Deutschen, die in verschiedensten Funktionen wichtige Beiträge zur Entwicklung der Olympischen Bewegung geleistet haben.

Für viele Teilnehmer war die Berliner Feier die letzte Begegnung mit dem bereits von Krankheit schwer gezeichneten DSB- und NOK-Ehrenpräsidenten Willi Daume, der im April 1996 wiederum ins Krankenhaus eingeliefert werden musste und wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag am 20. Mai 1996 in seiner Olympiastadt München starb.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 37 / 10. September 2013, S. 32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2013