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GESCHICHTE/429: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 231 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 45 / 5. November 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1996/VIlI: Sportministerkonferenz (SMK): Jugend und Sport gegen Gewalt
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 231)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Insgesamt 13 Beratungspunkte - von der Sportstättenstatistik der Länder bis zur Finanzierung der Führungsakademie des DSB in Berlin - standen auf der Tagesordnung der 8. (bzw. 20.) Sitzung der Sportministerkonferenz der Länder (SMK), die auf Einladung der sächsischen Landesregierung am 5./6. Dezember 1996 in Dresden stattfand. Einen Schwerpunkt der Ministerberatungen bildete aus aktuellem Anlass das Thema "Jugend und Sport gegen Gewalt". Die Einführung in die Problematik und die sich aus den

Beratungsergebnissen ergebenden Beschlüsse werden nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben:

"Einführung

Gewalt, fremdenfeindliches Verhalten und rassistische Tendenzen sind trotz aller Anstrengungen, dieses Phänomen zu überwinden, noch immer beklagenswerte Erscheinungen in unserer Gesellschaft, auch im Sport.

Nach Erkenntnissen wissenschaftlicher Forschung treten sie vor allem dort auf, wo es beispielsweise an Wohnraum, Arbeits- und Ausbildungsplätzen, Sozialleistungen, Freizeit- und Sporteinrichtungen mangelt, wo fehlende familiäre Bindungen am bedrängendsten wahrgenommen werden, bei sozial schwächeren und sich ungerecht behandelt fühlenden jungen Menschen. Hier sind bedeutende Integrationsdefizite und Desorientierungen häufiger anzutreffen. Vorkommnisse, wie beim Spiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Polen in Zabrze und auch bei einigen anderen Sportereignissen, zeigen, dass es immer noch ein Potential von gewaltbereiten Jugendlichen gibt, die - trotz einer im Grunde gesicherten beruflichen und sozialen Integration - vor zerstörerischer Gewalt gegen Einrichtungen und auch Personen nicht zurückschrecken, gewalttätige Auseinandersetzungen sogar suchen. Gewalt wird zwar nur von einer kleinen Minderheit von Jugendlichen ausgeübt, sie wird auch nur von einem geringen Teil der Jugendlichen toleriert. Dennoch ergeben sich hieraus für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und für die internationale Reputation des Standortes Deutschland schwerwiegende Beeinträchtigungen, die nicht zu tolerieren sind.

Um Gewaltphänomenen wirksam zu begegnen, sind umfassende präventive Maßnahmen in vielen Lebensbereichen erforderlich. Hierzu zählen insbesondere eine zukunftsorientierte Bildung und Ausbildung sowie berufliche Perspektiven. Hierzu gehören auch gezielte freizeit- und sportpädagogische Angebote, die mit sozialem Training zur gewaltfreien Konfliktlösung und mit Beratungsangeboten zur krisenfreieren Lebensbewältigung einhergehen müssen.

Dem Sport wächst in diesem Zusammenhang eine außerordentlich wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu. Mit ihm verbindet sich die Erwartung, dass - über soziales Krisenmanagement hinaus - ein Beitrag zur sozialen Integration von Jugendlichen geleistet werden kann, die Gefahr laufen, im sozialen Abseits zu landen. Sportliche Jugendarbeit kann dabei nur bedingt außerhalb des Sports liegende Konflikte lösen. Sie bietet aber die Chance, als deviant geltende Verhaltensweisen für die Jugendlichen durchschaubar zu machen, sie aufzubrechen und Möglichkeiten ihrer Veränderung aufzuzeigen; also die Chance, über positiv erlebte Sportsituationen und Kontakte wieder mehr Selbstgefühl zu entwickeln, Gemeinsinn, Verantwortlichkeit und Solidarität zu erleben.

Wegen dieser im Sport liegenden Möglichkeiten haben Bund, Länder und Kommunen sowie Sportorganisationen zahlreiche Programme und Projekte auf den Weg gebracht und finanziell unterstützt. Erfahrungen und wissenschaftliche Evaluationen belegen, dass mit umfassenden und innovativen Maßnahmen ein beachtlicher Beitrag zur Gewaltprävention geleistet werden kann. Diese Programme sind deshalb nicht unwesentliche Voraussetzung für das soziale Leben in unserer Gesellschaft und für ihre Zukunftsentwicklung. Nachhaltige Erfolge werden sie nur erzielen können, wenn sie auf Dauerhaftigkeit angelegt sind.


Beschlüsse

1. Die Sportministerinnen und Sportminister der Länder bekräftigen die Notwendigkeit, alle Möglichkeiten des Sports auszuschöpfen, um gewaltbereite Randgruppen wirksam zu integrieren. Ziel muss es sein, Räume für selbstorganisiertes und selbstbestimmtes Handeln zu öffnen. Werte wie Teamfähigkeit, Fairness und Toleranz zu vermitteln. Das sind Werte, die weit über den Sport hinauswirken und fundamentale Elemente für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft darstellen.

2. Die Sportministerinnen und Sportminister der Länder verurteilen scharf jede Form gewalttätiger, rassistischer und fremdenfeindlicher Ausschreitungen von Gewalttätern, wie beim Länderspiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Polen in Zabrze. Die Sportministerinnen und Sportminister sind der Auffassung, dass solche Ausschreitungen dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland und auch dem Ansehen des Sports in unserem Land Schaden zufügen. Diese Vorkommnisse zwingen zu der Einsicht, dass im Rahmen des Nationalen Konzeptes Sport und Sicherheit und der Fan-Arbeit besondere Akzente für durchgreifende Präventionsmaßnahmen gesetzt werden müssen, die Vandalismus mit rassistischen und fremdenfeindlichem Hintergrund wirksam eindämmen und verhindern. Die Sportministerinnen und Sportminister bitten die Innenministerkonferenz der Länder, sich dieser Thematik weiterhin anzunehmen.

3. Die Sportministerinnen und Sportminister der Länder würdigen ausdrücklich die zahlreichen Initiativen des Bundes, der Länder, Kommunen und der Sportorganisationen, Programme und Projekte zur Gewaltprävention bei Jugendlichen zu entwickeln und zu fördern. Die anliegende Übersicht zeigt das begrüßenswerte Spektrum der ergriffenen Maßnahmen.

Die Sportministerinnen und Sportminister betonen, dass durchschlagende Erfolge der Maßnahmen nur auf der Basis kontinuierlicher Förderung zu erzielen sind. Sie bitten die Finanzminister der Länder eindringlich, trotz enger Haushaltsspielräume die Förderung dieser Programme und Projekte nicht einzuschränken, sondern sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten dauerhaft finanziell abzusichern.

Die Sportministerinnen und Sportminister der Länder bitten das Bundesministerium des Innern, an das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem Ziel heranzutreten, der Förderung von Gewaltprävention weiterhin höchste Priorität einzuräumen. Die Sportministerkonferenz würde es begrüßen, wenn das bis Ende 1996 befristete Aktionsprogramm zur Gewaltprävention in dieser oder ähnlicher Form neu aufgelegt werden könnte.

4. Die Sportministerinnen und Sportminister begrüßen den Beschluss des Initiativkreises Sport und Wirtschaft, ein Aktionsprogramm "Jugend gegen Gewalt" aufzulegen. In die Umsetzung dieses Programms sollen auch Vertreter der Kommunen, Gewerkschaften und Kirchen einbezogen werden.

Die Sportministerinnen und Sportminister erklären ihre Bereitschaft, bei der Planung und Umsetzung des Programms verantwortlich mitzuwirken, da sie der Überzeugung sind, dass eine effektive Koordinierung und Verzahnung der "Jugend-gegen-Gewalt-Programme" die Erfolgsaussichten der Gewaltprävention erheblich verbessern.

5. Die Sportministerinnen und Sportminister der Länder bewerten den Beschluss des Ministerrates der Europäischen Union, 1997 zum Europäischen "Jahr gegen Rassismus" zu erklären, als positives Signal. Sie sind der Auffassung, dass in den Kanon der von der Europäischen Union geplanten Kampagne gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus auch Projekte länderübergreifender Sportjugendarbeit eingebracht werden sollten. Die Sportministerinnen und Sportminister werden sich über die Möglichkeiten unterstützender Projekte informieren und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten engagieren."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 45 / 5. November 2013, S. 26
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2013