Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

GESCHICHTE/432: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 234 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 48 / 26. November 2013
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1997/II: Bildungsnotstand erforderte geänderte Prioritäten beim Schulsport
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 234)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Negative Entwicklungen im Berufsschulsport in Hamburg und Entscheidungen zur Reduzierung des Schulsports in Bayern und im Saarland veranlassten das DSB-Präsidium, in seiner Sitzung am 21. Februar 1997, die Kultusminister der Länder in einer Erklärung aufzufordern, ihren Verpflichtungen nachzukommen und festzustellen, dass der Sportverein keine Ersatzschule sei. Vorangegangen war die am 8. Februar 1997 vom DSB mit den Bundes- und Landeselternvertretern vereinbarte "Stuttgarter Erklärung zum Schulsport".

In Stuttgart hatten sich aus Sorge um die Bildung und Erziehung auf Einladung des DSB der Bundeselternrat und der Deutsche Sportlehrerverband (DSLV) sowie die Präsidenten der süddeutschen Landessportbünde, der DSLV-Landesverbände und die Vertreter der Landeselternbeiräte getroffen. Nach eingehenden Beratungen wurde die "Stuttgarter Erklärung zum Schulsport" formuliert, die nachstehend mit der entsprechenden Erklärung des DSB-Präsidiums vom 21. Februar 1997 und der Niedersächsischen Erklärung zum gleichen Thema vom 25. Juni 1997 wiedergegeben wird:

"Stuttgarter Erklärung zum Schulsport

Die Bundesrepublik Deutschland ist als ehemals im internationalen Vergleich führende Bildungsnation mehr und mehr dabei, auf die hinteren Ränge abzugleiten. Aus Sorge um die Bildung und Erziehung in Deutschland haben sich auf Einladung des Deutschen Sportbundes der Bundeselternrat und der Deutsche Sportlehrerverband sowie die Landessportbünde und die DSLV-Landesverbände der sechs Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen am 8. Februar 1997 in Stuttgart getroffen.

Bei dieser Gelegenheit wurde die "Stuttgarter Erklärung zum Schulsport" formuliert, die folgenden Wortlaut hat:

Zunehmend häufiger versuchen Landesregierungen, sich aus ihrer Verantwortung für den staatlichen Bildungsauftrag zurückzuziehen. Dies gilt auch für den Schulsport. Dabei ist es allgemein akzeptiert, dass zur ganzheitlichen Bildung und Erziehung junger Menschen der Sportuntericht als "physical education" wegen seines im Rahmen der Schulfächer einzigartigen Handlungscharakters einen wesentlichen, nicht austauschbaren Beitrag leistet. Er fördert motorische Entwicklung und damit Entwicklung überhaupt, individuelle Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit, soziales Verhalten und Wertorientierung bei allen Schülerinnen und Schülern. Der Schulsport leistet damit einen wesentlichen Beitrag zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen.

Deshalb fordern die Vertreterinnen und Vertreter der Elternschaft, der Sportlehrerschaft und der Landessportbünde einmütig:

  • Erhaltung des Sportunterrichts als staatliche Aufgabe,
  • keine Delegierung an außerschulische Einrichtungen,
  • mindestens drei Stunden Sportunterricht pro Woche,
  • Sicherung der notwendigen Rahmenbedingungen für den Schulsport,
  • Einführung einer zusätzlichen täglichen Bewegungszeit in allen Grundschulen,
  • Sicherung eines regelmäßigen Sportunterrichts im beruflichen Schulwesen,
  • vermehrte Einrichtung sowohl von Sportarbeitsgemeinschaften als auch von Sportförderunterricht,
  • Erteilung des Sportunterrichts durch akademisch ausgebildete Lehrkräfte in allen Schularten,
  • kontinuierliche Einstellung junger Sportlehrkräfte. Dazu ist eine grundsätzliche Neubesinnung und geänderte Prioritätensatzung in unserer Gesellschaft - in Parlamente, Regierungen und öffentlicher Meinung - dringend erforderlich.

Die in Stuttgart versammelten Vertreter der obengenannten Organisationen fordern die Bundesländer auf, auch in schwierigen Zeiten ihrer originären Verfassungsaufgabe von Bildung und Erziehung uneingeschränkt und angemessen nachzukommen."


"Der Sportverein ist keine Ersatzschule Erklärung des DSB-Präsidiums zum Schulsport

Der Staat hat die Pflicht, Bildung und Erziehung zu garantieren. Wichtiger Bestandteil eines umfassenden Bildungsangebots ist der Schulsport. Er ist nach dem Beschluss der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder, der als "Zweites Aktionsprogramm für den Schulsport" am 17. April 1995 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Sportbund in Bonn veröffentlicht wurde, als "ein eigenständiger und unaustauschbarer Bereich von Bildung und Erziehung" politisch festgeschrieben worden. Für die erzieherischen, sozialen und gesundheitsorientierten Funktionen des Schulsports gibt es keine Alternative.

Auch die am 8. Februar 1997 vom DSB mit den Bundes- und Landeselternvertretern vereinbarte "Stuttgarter Erklärung zum Schulsport" unterstreicht die Bedeutung motorischer Entwicklung im Kindes- und Jugendalter. Sie hält fest, dass der mindestens dreistündige Sportunterricht pro Woche als staatliche Aufgabe keine Delegierung an außerschulische Einrichtungen erlaubt.

Mit großer Sorge verfolgt das DSB-Präsidium Entwicklungen, die diesen Grundsätzen widersprechen. Weder die Sportorganisationen noch andere Bereiche der Gesellschaft können die durch Bildungsversäumnisse entstehenden individuellen Benachteiligungen ausgleichen. Sportunterricht muss staatlicher Auftrag bleiben und darf im Fächerkanon der Schule keine Abwertung erfahren.

Das DSB-Präsidium fordert daher alle Kultusminister der Länder auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Öffnung von Schule darf nicht so verstanden werden, dass externe Partner für die Schule oder gar anstelle der Schule handeln. Das DSB-Präsidium rät allen Mitgliedsorganisationen, die Übernahme des in staatlichem Auftrag durchzuführenden Sportunterrichts abzulehnen. Der Sportverein ist keine Ersatzschule. Davon unberührt bleibt die wünschenswerte und vielfach bereits erfolgreich praktizierte Zusammenarbeit von Schule und Verein."

*

Quelle:
DOSB-Presse Nr. 48 / 26. November 2013, S. 24
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund
Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt/M.
Telefon: 069/67 00-255
E-Mail: presse@dosb.de
Internet: www.dosb.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2013