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GESCHICHTE/443: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 244 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 9-10 / 25. Februar 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1998/III: "Goldener Plan Ost" ist als Orientierungsgrundlage unverzichtbar
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 244)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Anlässlich des 40. Jahrestages der Gründung des SC Chemie/SV Halle hielt DSB-Präsident Manfred von Richthofen am 27. Juni 1998 in Halle/Saale die Festrede, in der er sich schwerpunktmäßig mit dem "Goldenen Plan Ost" und der sportlichen Infrastruktur in den neuen Bundesländer befasste.

Dabei sagte der DSB-Präsident unter anderem:

"Nach wie vor hält es das DSB-Präsidium für eine Fehlentscheidung der Bundesregierung, für den Goldenen Plan Ost keine direkten Fördermittel aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Schließlich ist die Herstellung gleichwertiger Lebensbedingungen im ganzen Land eine wichtige politische Zielsetzung. So steht es im Grundgesetz, und so fordert es auch der Einigungsvertrag. Gleichwertige Lebensbedingungen ergeben sich aber nicht von selbst, sondern bedürfen der konkreten politischen Lenkung. Die pauschale Bereitstellung von Mitteln im Investitionsprogramm "Aufbau Ost" ist jedenfalls hier nicht der richtige Ansatz, weil Sportanlagen zumeist vergessen werden. Das belegen die Erfahrungen der letzten Jahre. Zwar dürfen die Länder diese Investitionsfördermittel auch für den Sportstättenbau einsetzen, sie tun dies aber überwiegend nicht. Daran konnten auch klarstellende Empfehlungen des Bundeskanzlers an die Adresse der Landesregierungen nichts ändern.

Inzwischen haben wir wertvolle Zeit verloren, das Vertrauen in die Politik ist vielfach geschwunden, und Anzeichen von Frustration sind nicht zu übersehen. Dies beeinträchtigt ganz ohne Zweifel auch die Freude am Ehrenamt im Sport. Eine Reaktion, für die ich volles Verständnis habe. Die Sportstättensituation in den neuen Bundesländern war und ist ein Ärgernis. (...) Im Osten Berlins gibt es lange Wartelisten von Kindern, die Sport treiben wollen, dies aber wegen des Sportstättenmangels nicht tun können. Bei den Sportanlagen gibt es ohne Zweifel den drückendsten Engpass für eine positive Sportentwicklung in den neuen Bundesländern. Wenn die Politiker es ernst meinen mit ihrer häufig vorgebrachten Würdigung der großen Bedeutung des Sports für die Gesellschaft, wenn sie also nicht bloß Sonntagsreden halten, dann kann man auch erwarten, dass sie erkennen, wo wirklich Handlungsbedarf besteht. Dann sollten sie registrieren, wo die Eigenkräfte des Sports weit überfordert sind, wo der Gedanke der Subsidiarität greifen muss, wo letztlich Staat und Politik gefordert sind.

(...) Wir haben so früh wie irgend möglich die Situation in den neuen Bundesländern analysiert und ein Konzept für die Angleichung der Sportstättenversorgung an das Niveau in den alten Ländern im Laufe von 15 Jahren vorgelegt: den Goldenen Plan Ost. Damit haben wir auch stellvertretend für die Schulträger gehandelt. Schließlich sind die meisten Sportanlagen für die Grundversorgung Schulsportstätten. Diese Analyse wäre also eigentlich Aufgabe der Kultusminister-Konferenz gewesen. Wir haben also unsere Hausaufgaben längst gemacht und die der Kultusminister gleich mit. Manchmal habe ich den Eindruck, dass man jetzt auch noch von uns erwartet, die Finanzierung sicherzustellen.

Wir konnten immer wieder den Beweis liefern, dass der Sport nicht in passiver Anspruchshaltung verharrt, sondern mitdenkt und dort anpackt, wo Probleme bestehen. So ist das auch im Sportstättenbereich. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um mich bei all denen in den neuen Bundesländern herzlich zu bedanken, die Konzepte entwickelt haben, wie man mit weniger Geld viel erreichen kann, bei denen, die selbst Hand angelegt haben, um Mängel an bestehenden Anlagen zu beseitigen oder neue zu bauen, und schließlich bei den Vereinen, die dafür auch Risiken eingegangen sind.

Diese Signale des Handlungswillens und der Einsicht in schwierige Verhältnisse zeigen, dass die Sportorganisationen enorme Energien freisetzen können. Allerdings sollten die Signale nicht missverstanden werden: Es ist und bleibt Aufgabe der Politik, die Grundversorgung bei den Sportstätten zu schaffen und zu erhalten; es ist und bleibt Aufgabe der Politik, die Schulen mit den erforderlichen Sportanlagen zu versorgen; es ist und bleibt Aufgabe der Politik, die Schieflage der Lebensverhältnisse in Ost und West abzubauen.

Die Volksweisheit "Jedem wohl und keinem wehe" darf man gerade hier als völlig ungeeignete Richtschnur politischen Handelns in schwierigen Zeiten abhaken. Politik heißt Prioritätensetzung. Und da sind kritische Worte durchaus angebracht. Zum Beispiel bei den Entscheidungen zum Ausbau der Infrastruktur in den neuen Ländern. Für die von mir erwähnten 24 Mannschaften auf einem Fußballplatz sind noch so moderne Autobahnen und noch so wirksame Kläranlagen keine Kompensation:

Sie brauchen ganz schlicht einen oder zwei zusätzliche Plätze. Und, um die Entwicklung im Sportstättenbau auch in den eigenen Reihen nicht unkritisch zu betrachten: Die Kinder in Ost-Berlin, die wegen fehlender Sportanlagen zur Sportabstinenz verurteilt sind, haben herzlich wenig davon, dass es in den neuen Bundesländern mittlerweile eine ganze Reihe hochmoderner Leichtathletik-Hallen gibt.

Wir lassen uns nicht mit Worten abspeisen. Ich betone noch einmal: Wer eine positive Sportentwicklung in den neuen Bundesländern wirklich will, wer mittelfristig den Organisationsgrad der Bevölkerung in den Sportvereinen von 10 Prozent auf das in den alten Bundesländern gewohnte Niveau von über 30 Prozent wachsen sehen möchte, der muss aktiv an der Beseitigung des größten Hindernisses für steil ansteigende Mitgliederkurven arbeiten. Und das sind ganz unzweifelhaft die Mängel bei der Qualität und der Zahl der Sportstätten. Die gesellschaftspolitische Dimension einer intakten sportlichen Infrastruktur sei mit Blick auf die Perspektiven von Jugendlichen, deren Orientierungslosigkeit vielfach erschreckend ist, hier nicht unterschlagen. Schwerwiegende Gründe genug, so glaube ich, um im Sinne eines neuen politischen Anschubs für den Goldenen Plan Ost ein weiteres Mal gemeinsam die Ärmel aufzukrempeln. Der Aufschwung Ost im Sport hat unsere besondere Aufmerksamkeit und außergewöhnliche Anstrengungen auch in Zukunft verdient."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 9-10 / 25. Februar 2014, S. 23
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2014