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GESCHICHTE/449: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 250 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 16-17 / 15. April 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1998/IX: Zur Lösung der wachsenden Probleme der Gesellschaft beitragen
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 250)

Eine Serie von Friedrich Mevert



Die gesamte Breite der aktuellen sport- und gesellschaftspolitischen Aufgabenstellungen und Herausforderungen sprach DSB-Präsident Manfred von Richthofen in seinem "Bericht zur Lage" beim Bundestag des Deutschen Sportbundes am 28. November 1998 in Baden-Baden an und machte gleichzeitig deutlich, dass der in Vereinen und Verbänden organisierte Sport zur Lösung der wachsenden Probleme der Gesellschaft beitragen wolle und werde.

Aus diesem Spektrum hier die folgenden Auszüge:

"Die Antworten des organisierten Sports auf die vielen Fragen unserer Zeit sind und bleiben unverzichtbar. Sie werden sogar immer wichtiger in ihrer gesamtgesellschaftlichen Dimension und Wirkung. Und ich wage auch zu behaupten, dass sie in Substanz und Inhalt weitgehend überzeugend sind. Der organisierte Sport mit seinen Vereinen und Verbänden ist in der Tat das weitgefächerte und flächendeckende soziale Netz in unserem Lande, dessen Tragfähigkeit wir auf Dauer sichern und schützen müssen. Und dazu brauchen wir die Einheit der Sportbewegung mehr denn je.

Spezifische Interessen dürfen keine Kluft entstehen lassen zwischen den einzelnen Säulen der Sportbewegung. Wir brauchen den Breiten- wie den Spitzensport, die Landessportbünde wie die olympischen und nicht-olympischen Verbände sowie die Organisationen mit besonderer Aufgabenstellung. Aber wir brauchen sie über ihre unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkte hinaus vor allem auch gemeinschaftsorientiert. Denn dies macht unsere eigentliche Stärke aus. Das große Ganze als Grundlage des Gemeinwohls sollte uns alle immer wieder zum engen Schulterschluss bringen. (...)

Die gestärkte Politikfähigkeit des Sports ist längst kein Schlagwort ohne Substanz mehr. Sie wurde vielfach zur Realität bis hinunter zur Vereinsbasis. Was uns allerdings nicht daran hindern sollte, sie permanent auf den Prüfstand der Verbesserung zu stellen. Denn der politische Handlungsbedarf wird zweifellos mehr - ob in Bonn, Berlin, Brüssel oder Brensbach im Odenwald. Ich nenne in dem Zusammenhang auch ungezählte Gespräche und Verhandlungsrunden mit Vertretern der Wirtschaft und mit Repräsentanten anderer gesellschaftlicher Institutionen. Hier sind von den Kirchen über Wohlfahrtsverbände und Naturschutz-Organisationen bis zu den Gewerkschaften und Arbeitgebern immer wichtiger werdende Partner für eine gesamtgesellschaftliche Kooperation zu erwähnen. (...)

Zum Leistungssport: Es war notwendig und richtig, die Rahmenbedingungen für die leistungssportlichen Entwicklungen auf neue Fundamente zu stellen. So sind in den vergangenen zwei bis drei Jahren Konzepte und Konzeptionen entwickelt und beschlossen worden, die die Nachwuchsförderung umfassend regeln, die Trainerarbeit verantwortungsbewusst gestalten und auch das Stützpunktsystem in seinen Möglichkeiten logisch mit einbeziehen. Dieses ganze Geflecht bedeutender Teilaspekte der Leistungsförderung wurde schließlich im Nationalen Spitzensport-Konzept zusammengeführt und gebündelt.

Insgesamt wurden also optimale Eckdaten geschaffen für das Streben nach sportlicher Höchstleistung. Die gesellschaftspolitische Botschaft lautet: Wenn talentierte junge Menschen sich zum Ziel gesetzt haben, im Sport Spitze zu werden, dann muss das möglich sein - und zwar auf der Basis bester fachlicher Voraussetzungen, hervorragender sozialer Begleiterscheinungen und verantwortungsbewussten Handelns aller Beteiligten. Alle diese Lichtblicke können nicht verhindern, dass wir uns um die Zukunft des Leistungssports große Sorgen machen. Das Dopingproblem als gefährlicher Begleiter hat sich in jüngster Zeit in verschärfter Form ins Geschehen gedrängt und lässt oft schon mutlose Beobachter zurück. Was tun, so lautet die Dauerfrage, auf die es viele Ratschläge, aber doch weitgehend unbefriedigende Antworten gibt.

Und der Ruf nach der Politik ist dann schlecht, wenn er eigene Ratlosigkeit oder fehlendes Handeln im Verband überdeckt. Trotzdem erscheint mir Resignation der schlechteste aller Wegweiser zu sein. Ich denke vielmehr, wir sollten zuerst alle Möglichkeiten, die uns zu Gebote stehen, optimal ausschöpfen. Und das geschieht sicher noch keineswegs flächendeckend und mit der notwendigen Härte. Die Rahmenbedingungen immerhin sind vorhanden. Von den satzungsmäßigen und personellen Voraussetzungen bis zu den Kontrollen in Training und Wettkampf haben wir ein Raster zur Bekämpfung der Dopingseuche, dem sich alle olympischen und die Mehrzahl der nicht-olympischen Verbände angeschlossen haben. Doch das reicht nicht! Deshalb sage ich mit Nachdruck: Doping ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein krimineller Akt, der die Fundamente des sportlichen Leistungsvergleichs langfristig zusammenbrechen lässt. Solche Sabotage am Gesamtsystem des Sports gehört empfindlich bestraft. Und zwar im Athletenbereich mit dem Entzug von Startberechtigungen dort, wo es richtig weh tut, nämlich bei internationalen Meisterschaften und Olympischen Spielen; und im Dunstkreis der Wegbereiter von Manipulation muss eine Strafmaß-Elle angelegt werden, die auch für Dealer gilt. Insgesamt wird der Ruf nach dem Staat in diesem Falle lauter.

Ich denke, die Änderung unseres Arzneimittelgesetzes eröffnet neue Möglichkeiten gegen die Manipulation und vor allem gegen die Manipulateure. Bevor also nach neuen Gesetzen gerufen wird, sollten wir erst einmal die bestehenden rechtlichen Gegebenheiten ausloten. Im übrigen unterstreiche ich die Forderungen nach intensiverer Aufklärung und Anti-Doping-Erziehung, nach besserer Ausstattung von Forschungsvorhaben und nach zielstrebigem internationalem Vorgehen. Der saubere Weg zur sportlichen Spitzenleistung allein legitimiert uns, Jugendarbeit und Talentförderung zu betreiben, nationale Anstrengungen der Athletenförderung zu unternehmen und hochgesteckte Ziele im internationalen Leistungsvergleich anzustreben. (...)

Einige Anmerkungen zum Breitensport. Die Vereine und ihre vielfältigen Angebote positiv in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken, ist für mich eine zeitlos wichtige Aufgabe des DSB und seiner Mitgliedsorganisationen. Mit der Kampagne "Sportvereine. Für alle ein Gewinn" ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Vereine noch besser als unverzichtbare Träger des Sports in unserer Gesellschaft zu positionieren. Kein Zweifel, dass sie ihre Stärken oftmals aus gewachsenen Traditionen ziehen. Doch das heißt nicht, dass sie sich notwendigen Innovationen versperren. Im Gegenteil, die Überlebensfähigkeit der Sportvereine hängt in großem Maße davon ab, inwieweit es ihnen gelingt, sich den Herausforderungen der heutigen Zeit und Gesellschaft erfolgreich zu stellen. Und das tun sie in wachsender Zahl sehr überzeugend. Dabei folgen sie nicht unreflektiert jedem Trend, der sich oftmals als kurzlebiges Strohfeuer entpuppt hat, sondern zeigen ein gutes Gespür für sinnvolle und logische Programm- und Angebotsvariationen. Wir wollen sie dabei unterstützen. Das Ziel unserer gemeinsamen Strategie ist der moderne und nicht der modische Sportverein. Es geht auch darum, die Sportvereine als die führenden Anbieter von qualitativ hochwertigen Fitness- und Gesundheitsprogrammen herauszustellen. Und wir erwarten einen gesundheitspolitischen Neuanfang. Im Mittelpunkt der von uns geforderten Änderung der gesetzlichen Grundlagen muss wieder die Förderung der Infrastruktur unserer Vereine stehen. Wir können wie keine andere Organisation in diesem Land die Gesundheitsangebote der Vereine kontinuierlich weiter ausbauen und neben einer starken Qualität eine Flächendeckung bieten. Denn Prävention macht aus meiner Sicht nur Sinn, wenn sie flächendeckend ist. (...)

Das soziale Leitbild des Sports, das diesen DSB-Bundestag in besonderer Weise prägt, ist ohne eine Würdigung des Ehrenamts nicht denkbar. Wir haben uns in den letzten Jahren darum bemüht, dem ehrenamtlichen Engagement im Bewusstsein der Öffentlichkeit neuen Glanz zu verleihen. Dabei sind wir sogar zum Wortführer für viele gesellschaftliche Institutionen geworden. Es geht, wenn man einmal die finanzielle Messlatte anlegt, um Milliardenbeträge, die niemand bezahlen kann und soll. Deshalb müssen wir die Wertmaßstäbe verändern. Dank und Anerkennung statt Frust und Ärger zum Leitmotiv erheben, die Rahmenbedingungen der Arbeit erleichtern und auf diese Weise das Ehrenamt attraktiv machen.

Wenn wir über die deutsche Vereinigung im Sport resümieren, dann gilt es vor allem, Lob auszusprechen und Hochachtung zu bekunden. Die Aufbauleistung in den Landessportbünden, Verbänden und Vereinen in Ostdeutschland ist enorm. Der sportliche Organisationsgrad der Bevölkerung stieg von unter acht Prozent in den Anfangsjahren auf mittlerweile weit über zehn Prozent. Die Aufbruchstimmung bleibt trotz widriger Umstände. Deshalb gilt der Sportstättensituation auch unsere besondere Aufmerksamkeit, vor allem dann, wenn das Sportstättenangebot zum Engpass für die weitere Entwicklung wird. (...)

Keine Frage: Der Schulsport ist staatliche Aufgabe und muss es bleiben. Daran ändern auch gute Kooperationen zwischen Sportvereinen und Schulen nichts. Diese wachsenden Partnerschaften sind allerdings Lichtblicke, die hier und da den bildungspolitischen Grauschleier sogar durchdringen. Mut macht auch das "Aktionsbündnis für den Schulsport". Man kann es sogar als ein erfreuliches Signal bezeichnen. Denn: Elternverbände, Ärzteschaft und Sportärzte, Lehrer und Sportlehrer haben sich in allen Landessportbünden und in der Regel unter deren Federführung zusammengetan, um das schulsportliche "Trauerspiel" öffentlich zu machen. Wir brauchen realistische Daten und verlässliche Fakten über den tatsächlich erteilten Sportunterricht. Ich fordere die Kultusministerkonferenz - auch im Namen der Eltern, Lehrer und Ärzte - heute nochmals auf, den Gesprächsfaden aufzugreifen und die Chancen zu nutzen. Aus immerwährenden Klagen müssen endlich konstruktive Kraftakte zur Verbesserung der Schulsportsituation bundesweit werden."

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 16-17 / 15. April 2014, S. 34
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014