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GESCHICHTE/472: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 268 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 38 / 16. September 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

2000/VIII: Manfred von Richthofen zum Jubiläumsauftakt 50 Jahre DSB
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 268) (*)

Eine Serie von Friedrich Mevert



DSB-Präsident Manfred von Richthofen hat bei der Festveranstaltung "50 Jahre Deutscher Sportbund" am 8.12.2000 in Hannover im Beisein von Bundespräsident Johannes Rau und vieler in- und ausländischer Ehrengäste die DSB-Geschichte in seiner Auftaktrede in größeren Zusammenhängen dargestellt.

Dabei sagte er unter anderem:

"Seien Sie alle dem Deutschen Sportbund herzlich willkommen. Ich danke Ihnen, dass Sie der größten Bürgerinitiative unseres Landes die Ehre geben. Wir wollen gemeinsam das Fest zum 50-jährigen Jubiläum der Dachorganisation des Sports in Deutschland feiern und mit Freude und Dankbarkeit auf ein Gesamtwerk zurückblicken, an dem Millionen Menschen ihren Anteil haben. Historiker bezeichnen es heute als Notgeburt, was am 10. Dezember 1950 hier im ehrwürdigen Hodlersaal des Rathauses zu Hannover aus der Taufe gehoben wurde. In der Tat war ein Kraftakt erforderlich, um eine unrühmliche Vergangenheit zu bewältigen, unterschiedlichen sportlichen Wurzeln gerecht zu werden und verschiedene Interessen und Strömungen letztlich unter einem Dach zu vereinigen.

Die Gründerväter des DSB haben mit ihrem Werk der Solidarität und Gemeinsamkeit der noch jungen Demokratie zweifellos einen großen Dienst erwiesen. Ich will aus einer langen Liste von Persönlichkeiten der ersten Stunde nur einige Namen in Erinnerung rufen, die das Geschehen damals im Hodlersaal entscheidend mitgeprägt haben. Zu nennen sind etwa Dr. Peco Bauwens, Dr. Max Danz, Oscar Drees, Heinrich Hünecke, Dr. Walter Wülfing, Heinrich Sorg, Walter Kolb, Prälat Ludwig Wolker und natürlich Willi Daume. Zwei weitere Namen gehören dazu, die ich hier ganz besonders hervorhebe. Ich meine Bernhard Baier und Herbert Kunze. Mit großer Freude und Herzlichkeit begrüße ich diese beiden DSB-Gründungsmitglieder und Zeitzeugen in unserer Mitte. Sie sind, meine Herren, leuchtende Beispiele für die Segnungen einer lebenslangen Verbundenheit zum Sport.

Nicht ohne Selbstbewusstsein hat der DSB das Motto zum Jubiläum formuliert. "Der Sport - ein Kulturgut unserer Zeit" heißt diese Leitlinie für den unverklärten Blick zurück und für eine zielbewusste Orientierung nach vorne. Es war Willi Daume, der erste Präsident des DSB, der die Kulturdimension des Sports vom Beginn seiner Amtszeit an in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung richtig eingeschätzt und für sie geworben hat. Aus heutiger Sieht darf man feststellen, dass diese Kulturdimension sogar im Mittelpunkt seines großartigen sportlichen Lebenswerkes steht.

Professor Ommo Grupe, über Jahrzehnte ein enger Mitarbeiter Willi Daumes, hat in unserem Jubiläumsbuch formuliert, dass es wichtig sei, "Sport nicht nur als trivialen und beliebigen Teil kulturellen Lebens zu sehen, sondern seine Gestaltung und Kultivierung als die Aufgabe zu begreifen, ihn zu einem wertvollen Kulturgut zu machen".

Willi Daumes Vermächtnis verpflichtet uns also die sportlichen Entwicklungen in größeren Zusammenhängen zu bewerten. Dazu gehört zum Beispiel auch, die täglich neuen Aufgeregtheiten des Medienzeitalters nicht unbedingt als das Maß aller sportlichen Dinge zu betrachten.

Sport ist mehr als das Ergebnis, das Sieg oder Niederlage verkündet. Da mögen Zeiten und Weiten, Punkte und Tore noch so große öffentliche Aufmerksamkeit beanspruchen - das sportliche Spektrum erreicht den Menschen und die Gesellschaft in viel umfassenderer Form.

Wir sind wieder beim "Kulturgut" unserer Zeit, dem der Deutsche Sportbund seit fünf Jahrzehnten in seinen Aufgabenstellungen und Arbeitsinhalten Rechnung trägt. Ich denke, dass gerade die Verantwortlichen der Gründerjahre ein besonderes Gespür für die sportlichen Entwicklungsmöglichkeiten und gesellschaftlichen Einflussnahmen hatten. Sie haben frühzeitig Weichenstellungen vorgenommen, die sich im Laufe der Zeit auch unter veränderten Vorzeichen immer wieder als richtig erwiesen. Als in den fünfziger Jahren in Deutschland die Begeisterung über einen erfolgreichen olympischen Neubeginn und den Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft hohe Wellen schlug, dauerte es nicht mehr lange, bis der Begriff "Zweiter Weg" auch die andere Seite des Sportes ins öffentliche Bewusstsein rückte. Es wurde deutlich, dass neben den großen Ereignissen auch die kleinen sportlichen Freuden ihren Platz haben müssen.

Aus den Anfängen dieser Breitensportorientierung ist eine geradezu spektakuläre Millionenbewegung und ein beachtliches Stück Alltagskultur in unserer Gesellschaft geworden. Das Schlagwort vom "Sport für alle" - mit der Trimmaktion geprägt - ist längst keine Utopie mehr. Und was dies für die Volksgesundheit im Allgemeinen und die Lebensqualität der Menschen im Besonderen bedeutet, beginnen wir erst heute so richtig zu begreifen. Gesellschaftliche Mitverantwortung des Sports heißt die selbst auferlegte Verpflichtung, die sich wie ein roter Faden durch 50 Jahre DSB-Geschichte zieht. Sie lässt sich an Problempunkten und Aufgabenfeldern gleichermaßen festmachen. Der Schulsport zum Beispiel ist ein Thema, das den DSB seit den Gründertagen herausfordert. Die Erfolgskurve verzeichnet Höhen und Tiefen, und es ist alles andere als ein Ruhmesblatt zum Jubiläum, dass der Schulsport ausgerechnet im Jahr 2000 ganz nach unten zeigt. Ein wichtiges Aufgabenfeld für die zweite Jahrhunderthälfte des DSB ist also bereits abgesteckt. Position bezogen und Brücken geschlagen hat der Sport auch in den 40 Jahren deutsch-deutscher Zweisamkeit.

Ganz abgerissen sind die Kontakte "nach drüben" - so hieß das geflügelte Wort damals - nie. Selbst in den kältesten Phasen des Kalten Krieges kam es zu Begegnungen auf sportlicher Ebene - und zwar weit über die von der politischen Großwetterlage abhängigen offiziellen Kalender-Beziehungen hinaus. Logischerweise war es wiederum der Sport, der das Geschenk der deutschen Vereinigung pragmatisch und schnell in die sportpolitische Tat umsetzte und früher als andere Bereiche der Gesellschaft deutsche Gemeinsamkeit demonstrierte. 50 Jahre DSB - das heißt schließlich auch 10 Jahre Einheit im Sport. Heute dürfen wir uns über einen sportlichen "Aufschwung Ost" von beachtlichem Ausmaß freuen, zu dem ich unseren Freunden und Partnern aus den ostdeutschen Bundesländern herzlich gratuliere.

Das Kulturgut Sport hat viele weitere Bewährungsproben bestanden. Ich nenne den Bereich der Integration, wo sich die gemeinschaftsfördernde Plattform der sportlichen Begegnung für Menschen aller Altersstufen, jeglicher Herkunft und Hautfarbe, unterschiedlicher Interessen, Problemlagen und sozialer Bedingungen als geradezu ideal erwiesen hat. Die große Sportfamilie bietet mit ihrem unvergleichlichen sozialen Netzwerk der Vereine und Verbände Platz für jeden. Ein Netzwerk, das auf der soliden Grundlage ehrenamtlichen Engagements und millionenfachen Einsatzes für das Gemeinwohl noch viele gesellschaftliche Belastungsproben bestehen wird.

In der Geschichte des Deutschen Sportbundes ist dem Ehrenamt immer besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden. Vom Visionär Willi Daume über den behutsamen Lotsen Dr. Wilhelm Kregel und den Vollblutpolitiker Willi Weyer bis zum ebenso überzeugten wie überzeugenden Mann der Basis Hans Hansen haben alle Präsidenten des DSB in den verschiedenen Epochen ihres Wirkens die sportliche Hilfe zur Selbsthilfe gefördert. Sie sind an der Spitze der Dachorganisation dafür eingetreten, dass in der vielgestaltigen Sportlandschaft das Ehrenamt trotz aller Anfechtungen attraktiv blieb. Sie haben in entscheidender Position mit dafür gesorgt, dass nach 50 Jahren der heute amtierende DSB-Präsident der großen deutschen Sportfamilie und vor allem den Millionen Ehrenamtlichen mehrerer Generationen Dank abstatten kann. Dank für eine im wahren Wortsinn historische Leistung im Sinne des Gemeinwohls und der Gemeinschaftskultur. Sie alle haben dazu beigetragen, dass wir heute ganz selbstbewusst feststellen dürfen: Der Sport ist ein Kulturgut unserer Zeit, und sein gesellschaftlicher Rang macht Mut für die Arbeit der nächsten 50 Jahre."


(*) Anmerkung der DOSB-Redaktion:
Seit den 1990-er Jahren sind verschiedene sportpolitische Dokumente wie Sportberichte der Bundesregierung, Veröffentlichungen der Sportministerkonferenz der Länder, des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), des Deutschen Sportbundes oder von anderen Institutionen und auch Personen zunehmend im Internet dokumentiert und einsehbar. Sie wurden im Rahmen der Serie nicht mehr ausführlich zitiert.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 38 / 16. September 2014, S. 31
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. September 2014